#Sachbuch

Joseph Roth

Wilhelm von Sternburg

// Rezension von Peter Michael Braunwarth

Nein, Joseph Roth hat es seinen Biographen wirklich nicht leicht gemacht. Da ist einerseits ein nur in puzzleartigen Fragmenten dokumentiertes Leben eines „Juden auf Wanderschaft“. (Sein Verleger Gustav Kiepenheuer hat Roth einen ewigen Passagier genannt.) Da sind die zahllosen verschiedenen Versionen einer Lebensgeschichte, die Roth selbst in Umlauf gebracht hat. Vielleicht war das angestrengte Bemühen des in Galizien Geborenen, nach dem Zerfall der Donaumonarchie einen österreichischen Pass zu bekommen, der Beginn dieser Fabuliererei.

Da ist eine Krankheit (der Alkoholismus), die die Zuverlässigkeit jeder Aussage in höchstem Maße fragwürdig erscheinen lässt. In seinem Roman „Das falsche Gewicht“ hat Roth den Zustand beschrieben: „Aber in seinem Innern brannte der Schnaps, wenn er ihn getrunken hatte, und die Sehnsucht nach dem Schnaps, solange er ihn nicht getrunken hatte.“ Da ist eine chamäleonhafte Neigung, Ideologien und Weltanschaungen immer rasanter auszuwechseln. In ihm hat man einen, auf den kann man nicht bauen. Oder, wie es einer von David Bronsens Interviewpartnern einmal ausdrückte, als dieser Erinnerungen an Roth sammelte: „Alles ist wahr und nicht wahr, wie in einer Karikatur.“ Eine Folge dieser Polyvalenzen war es dann auch, dass Roth bei seinem Pariser Begräbnis von sämtlichen Richtungen in Anspruch genommen wurde, von den Sozialisten ebenso wie von den Monarchisten, von den Katholiken genau wie von den Juden. Wenn es überhaupt eine unwandelbare Position bei ihm gab, dann war das seine unzweideutige Ablehnung des Nazismus, die ihn unversöhnlich machte all jenen gegenüber, die zunächst noch nach Kompromissen strebten.

Aber da ist eben auch ein grandioses Werk von anhaltender Gültigkeit und stilistischer Brillanz. Alma Mahler soll bei einem Besuch Roths in ihrer bekannt behutsamen Art zu Franz Werfel gesagt haben: „Du glaubst, Du kannst Deutsch. Schau Dir den an. Der kann Deutsch.“ Der Journalist und Autor Wilhelm von Sternburg hat termingerecht zum 70. Todestag Roths eine neue Biographie in Roths angestammtem Verlag Kiepenheuer & Witsch publiziert. Auf 560 Seiten rekonstruiert er dieses gehetzte Leben eines Starjournalisten der Weimarer Republik. Stilistische Glanzlichter sucht man in der Lebensbeschreibung vergebens. Im Gegenteil, manches kommt ein wenig betulich daher. Zitate: „Er sieht keine Chance, im Schatten des Stephansdoms seine journalistische Karriere fortzusetzen.“ Oder, über Roths Verhältnis zum „Prager Tagblatt“: „Er schätzt das weit über die Moldau-Metropole hinaus gelesene Blatt.“ Oder, beinahe eine Katachrese: „Die Besten unter den Feuilletonisten können schreiben, dass ihren Lesern die Tränen kommen. Und sie wissen nicht immer genau, ob es Lachen oder Empörung ist, was ihnen die Wangen nass werden lässt.“ Manchmal stolpert man über Ungereimtheiten. Wenn Sternburg den großartigen Roth-Satz zitiert: „Der Zweck heiligt nicht die Mittel! Die Mittel profanieren den Zweck.“, so wird daraus (womöglich wurde ein Fraktur-Buchstabe missdeutet?) ein sinnloses „prosanieren“.

Aber: Die Verflechtung von Werk und Leben nachzuzeichnen gelingt überzeugend, und was an Realien ausgebreitet wird, ist äußerst informativ. Seien es Zahlen und Fakten zur galizischen Herkunft Roths, seien es Details zur Studienzeit (man erfährt zum Beispiel, dass Heinz Kindermann immer schon deutschnational und antisemitisch war), zur spannungsgeladenen Mitarbeiterschaft an der „Frankfurter Zeitung“ oder zu den Reisen, über die Roth seine Berichte verfertigte (etwa in die Sowjetunion der beginnenden Stalinzeit oder ins Italien Mussolinis). Überraschend sind zahlreiche Beispiele für das lyrische Schaffen Roths, vor allem im Ersten Weltkrieg. Der Biograph beschreibt den permanenten Schatten, den die Schizophrenie von Roths Frau Friederike auf dieses Leben wirft (ein Jahr nach seinem Tod wurde sie von den Nationalsozialisten in einer Anstalt bei Linz ermordet). Schier unglaublich, was man zum „Radetzkymarsch“ liest: dass der Abdruck der ersten Fortsetzungen in der „Frankfurter Zeitung“ bereits begann, als Roth das Ende dieses meisterlich komponierten Textes noch gar nicht geschrieben hatte! Dass er das vierte Kapitel neu schreiben musste, weil er das Manuskript betrunken in einem Pariser Taxi liegen gelassen hatte. Angesichts der heute immer lauter werdenden Stimmen, die eine Heiligsprechung Pius XII. fordern, ist bemerkenswert, was Roth 1935 zu diesem Papst schreibt: „Alle geistigen Kräfte versagen, wie zum Beispiel auch der Vatikan. Er hätte eine entscheidende Wirkung in Europa und im Völkerbund gehabt, wenn er offen, mit Mut, wie es sich eigentlich für einen heiligen Vater geziemt, gesagt hätte, er verbiete, oder zum mindesten, er verbäte sich seine Unterstützung für einen italienischen Eroberungskrieg. Aber der Papst von heute ist das unter den Christen, was der Thomas Mann unter den Nobelpreisträgern ist, der Bermann Fischer unter den Verlegern, der Gottfried Benn unter den Ärzten, der Rothschild unter den reichen Juden.“ Die Kritik bekommt noch schärfere Kontur, bedenkt man, dass sich Roth zu diesem Zeitpunkt ganz im katholischen Lager zu Hause fühlt.

Roths tragischer physischer und psychischer Verfall lässt den Leser nicht kalt. Irmgard Keun, mit der Roth eine eineinhalbjährige Liebe verband, beschrieb es so: „Er war gequält und wollte sich selbst loswerden und unter allen Umständen etwas sein, was er nicht war. Bis zur Erschöpfung spielte er zuweilen die Rolle eines von ihm erfundenen Menschen, der Eigenschaften und Empfindungen in sich barg, die er selbst nicht hatte. Es gelang ihm nicht, an seine Rolle zu glauben, doch er empfand flüchtige Genugtuung und Trost, wenn er andere daran glauben machen konnte. Seine eigene Persönlichkeit war viel zu stark, um nicht immer wieder das erfundene Schattenwesen zu durchtränken, und so empfand er sich manchmal als ein seltsam wandelndes Gemisch von Dichtung und Wahrheit, das ihn selbst zu einem etwas erschrockenen Lachen reizte.“

Was einen Dichter ausmacht, bleibt ein Faszinosum. Etwa, dass der Legitimist Joseph Roth viel weniger genau als der gleichnamige Autor des „Radetzkymarsch“ weiß, dass eine überlebte Epoche sich selbst zugrunde gerichtet hat. Oder dass der Reporter Roth Einsichten formuliert, die an Leser von heute gerichtet scheinen, wie zum Beispiel in seinen Reiseberichten aus den Gruben des Saarlandes den Satz: „Wenn die ‚Rentabilität‘ wichtig ist, kann die Humanität nicht bestehen. Das scheint mir unabhängig von Gesellschaftsordnung und Revolution.“

Ein Postskriptum: Auf dem unüberschaubaren Markt an Hörbüchern gibt es erfreulicherweise gerade zu Roth einige Lichtblicke: Diogenes hat sowohl „Radetzkymarsch“ als auch „Die Geschichte von der 1002. Nacht“ mit dem Sprecher Michael Heltau herausgebracht, dem von der „Frankfurter Allgemeinen“ attestiert wurde, er habe mit seiner Interpretation gleichsam den Schlüssel zu Roth gefunden; und der ORF hat Heltaus Rundfunk-Lesung der „Kapuzinergruft“ auf CDs ediert.

Wilhelm von Sternburg Joseph Roth
Eine Biographie.
Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2009.
559 S.; geb.; m. Abb.
ISBN 978-3-462-05555-9.

Rezension vom 22.06.2009

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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