Schwab der Punk, Schwab die Pop-Ikone, Schwab das Ekel
Der erste Band der Werkausgabe, der im Herbst 2007 vorgelegt wurde, ist der Roman Joe Mc Vie alias Josef Thierschädl, der von Werner Schwab zwischen dem 1. Jänner und dem 11. März 1988 während eines Dänemark-Aufenthalts in einem Zug in sein Notizbuch geschrieben wurde. „Ein Text aus erster und letzter Hand, geschrieben in einem Wurf. Wie immer alles handschriftlich.“, schreibt die Herausgeberin Ingeborg Orthofer (1982-1991 Schwabs Ehefrau) im Nachwort. Dazwischen finden sich in diesem Notizbuch auch Skizzen für das Stück „Die Präsidentinnen“.
Danach geht es Schlag auf Schlag. 1990 wird in Wien „Die Präsidentinnen“ uraufgeführt, 1991 an den Münchner Kammerspielen „Volksvernichtung“. Ruhm, Preise, Aufträge. Bis Ende 1993 werden neun Schwab-Stücke aufgeführt, sieben weitere folgen in den Jahren nach der Nacht auf den 1. Jänner 1994, in der sich Schwab zur Legende und ins Jenseits soff.
Schwab der Sprachvirtuose, Schwab die Kompormisslosigkeit, Schwab das Arbeitstier
In Joe Mc Vie alias Josef Thierschädl wird die Eben-nicht-Vergangenheitsbewältigung der Österreicherinnen und Österreicher thematisiert. Schwab verarbeitet die Zeit zwischen der Waldheim-Kandidatur und dem Gedenkjahr „50 Jahre Anschluss“. Der Präsident Kurt Waldheim stellt das Böse, Vergangene, Verdrängte dar. Die beschriebene Gegenwart wird geprägt vom Präsidialen. „Das Präsidiale entsteht, wo sich zwei oder mehr Leute im Namen ihrer Nationalität versammeln, dachte Mc Vie.“ Der Protagonist „Joe Mc Vie“ (aus Philadelphia) ist auch „Johann Wolfsberger aus Gugging bei Kirchbach an d. Raab“. Der Roman ist eine Polit-Satire, ein eindrückliches und eigenartiges Zeitdokument und Abbild der gesellschaftlichen und politischen Debatten in jenen Jahren, in denen die unverdaute Vergangenheit österreichweit hoch kam und das Ausland wieder aufmerksam wurde auf die, die sich immer noch lieber als Opfer denn auch als Täter verstanden. Ein roher Klumpen Prosafleisch ist das, mit Fettadern durchzogen aber unzweifelhaft von besonderer Qualität und aus guter Haltung. Der Held gaunert und ärgert sich durch die Geschichte, bis ihn die Umstände zu Grunde richten.
„Wer am Fuße einer Bierflasche davonschläft, so unabsichtlich wie sich ein sich auflösender Greis anmacht, hat kein besseres Innenbild verdient : als das eines dilettierenden Selbstmörders.“ (S. 107).
Alles, was man später dann als „typisch Schwab“ bezeichnen wird, ist in „Joe Mc Vie alias Josef Thierschädl“ bereits in Ansätzen vorhanden: Fäkaldrama, Brutalität, Witz, Parodie („Je blöder der Mensch, desto schneller besoffen ist er, Mc Vie schlief ein.“ S. 99) und auch das sich aus vielerlei unterschiedlichster Quellen zusammensetzende Idiom „Schwabisch“ bzw. ausufernde Schwabschwurbeleien.
Es genügt, wenn irgendwann irgend jemand ein anderes irgend jemand falsch versteht, und es genügt, daß dieses Falschverständnis im äußersten Hintergrund eines Hintergrundes sich inszeniert, daß in einer vom Provinziellen abgeschobenen Provinz eine geäußerte Äußerung, und sei es bloß ein tierisch anmutendes Gestammel, in einem Verständnis, in einem von einem Gehirn zum Verständnis dirigierten Gehör, ein Bild, ein einziges Bildchen : durch einen Sinnesfehler eine semantische Schleife zieht, die unwiederbringlich, was unwiederbringliche?, einen globalen Prozeß (?) arschtrittmäßig initiiert.“ (S. 75f.)
Dieser erste Band der Werkausgabe macht Lust auf mehr Neues, was man mit Band 3 und 4 („Gesammelte Prosa I II“) und vor allem mit Band 5 („Frühe Stücke und Lieder“) auch geliefert bekommen wird. Im Übrigen sei – weil gerade Weihnachtszeit ist – angemerkt, dass die Werkausgabe zur Fortsetzung bestellt werden kann. Die einzelnen in Leinen gebundenen Bände mit transparentem Schutzumschlag und Fadenheftung sind ihren Preis wert und ein nachhaltiges Geschenk für alle LiteraturliebhaberInnen. Band 11 („Materialien zu Werner Schwab“) erscheint voraussichtlich 2014.