#Roman

Jetzt wirds ernst

Robert Seethaler

// Rezension von Bernhard Oberreither

Zwei recht lädierte Schulbuben stehen einander mit feierlichen Gesichtern gegenüber; jeder eine vom anderen blutig geschlagene Nase, jeder einen Finger in der Nase des Gegenüber. Den blutigen Finger lecken sie ab. „Blutsbrüder!“, beschließen sie. Das ist die vorherrschende Stimmungslage in Robert Seethalers Geschichten: Große Ernsthaftigkeit bandelt schnell einmal mit großer Komik an, und umgekehrt. Und das hat durchaus Allgemeingültigkeit, wie Seethaler mit seinem neuen Roman Jetzt wirds ernst beweist.

Die beiden Schulbuben, der Held und Icherzähler der Geschichte und sein Freund Max, werden beste Freunde und ein bisschen auch heimliche Rivalen; gemeinsam spielen sie mit Spielzeugautos, sie liegen in der Sonne, ziehen Rotz auf, machen Seniorenheime unsicher und kosten sich durch die Tabletten irgendeines der Heimbewohner; gemeinsam werden sie wieder gesund, kommen sie in die Pubertät und bekommen Pickel.

Was die Geschichte dann so richtig in Schwung bringt, ist, wie so oft bei Seethaler und eigentlich den meisten anderen, die Liebe. Und Schwung ist da durchaus ernst gemeint: Da springt schon mal ein nichtschwimmender Tankwart vom Fünfmeterbrett, um die angebetete Hallenbadputzfrau zu beeindrucken (wie im Vorgängerroman „Die weiteren Aussichten“). Hier ist es ein vielleicht noch viel halsbrecherischerer Sprung, den der Protagonist aus Liebe tut: den auf die Bühne. Denn gerade, als die Hormone einschießen, entdeckt er auf seiner gewohnten Bank im Schulhof ein Mädchen, das Tschechows „Möwe“ für die Theatergruppe der Schule lernt. Und eine Unterhaltung später (wohl eine Meisterleistung jugendlicher Peinlichkeitstreffsicherheit) ist klar, dass er auch in diese Theatergruppe muss, wegen der wunderschönen Zehennägel des Mädchens und der kleinen Narbe auf ihrem Knie.

Dann passiert noch unheimlich viel. Da gibt es große Enttäuschungen, große Räusche, große Textlücken. Einige Seiten später sitzen Vater und Sohn in der Küche beieinander, um nach dem offensichtlichen Scheitern des Vorhabens, aus einem Schulabbrecher einen Friseur zu machen, die Zukunftspläne des Filius zu besprechen. Von dessen Plan, Schauspieler zu werden, ist der Vater so begeistert, wie Eltern es eben sind: „Scheiße, murmelte er kraftlos.“

„Mein Weg zum Theater war verschlungen. Unvorhersehbar. Holprig“, lässt Seethaler (selbst Schauspieler) seinen Helden recht weit vorne im Buch sagen. Nicht zu unrecht: Jetzt wirds ernst ist sicherlich kein Roman vom zielstrebigen Heranreifen, nirgendwo geht es im engeren Sinne vor- oder gar aufwärts. Kein Held der Persönlichkeitsentfaltung à la Wilhelm Meister steht hier Pate, auch wenn dessen Weg bekanntlich ja auch übers Theater führt; in einem anderen Bühnenaficionado findet man da schon eher einen Geistesverwandten, in Carl Phillip Moritz‘ Figur Anton Reiser nämlich, dem geprügelten Underdog, der immer gerade so durchkommt und der für jeden kleinen Erfolg schmerzhafte Niederlagen einstecken muss. Andererseits geht es ja doch irgendwie voran, ist Jetzt wirds ernst doch irgendwie ein Bildungsroman – wenn man unter Bildung auch die Beulen versteht, die man sich vom ständigen Irgendwo-Anrennen holt, bis man dann ziemlich zerknautscht dort landet, wo man eigentlich nicht unbedingt hinwollte.

So ist auch die beliebteste Fortbewegungsart im Buch das Davonlaufen: Wenn er die Gipsbüste des Schulheiligen zerstört, wenn er sieht, wie sein bester Freund seine heimliche Flamme küsst, wenn er im Friseursalon feststeckt, wo er doch aufs Theater will, wenn er aus dem ersten Film, in dem er auftritt, einfach herausgeschnitten wird – dann flieht der Protagonist, meistens besäuft er sich dabei auch noch, oder er driftet in irgendwelche Traumwelten ab. Dass damit die Aufbruchstimmung des Titels ein wenig unterlaufen wird, ist einer der angenehmen Effekte des Buches.

Zum Weglaufen ist auch so einiges in dem Kleinstadtportrait, das Seethaler liefert, und dessen pointierte Satire sicher zum Besten des Buches gehört: Da gibt es erst einmal die Eltern: schweigsame Väter, geistig abwesende Mütter. Mitschüler gibt’s nur in groß und gemein, Lehrer in hysterisch oder zornbebend. Die politische Kaste des Städtchens ist vertrottelt, gierig und streitsüchtig, die Künstler sind auf so nette wie beängstigende Art wahnsinnig. Seethalers Panoptikum ist voll von skurrilen Rollen. Und Rollen sind es ja wirklich, weniger Charaktere als vielmehr Typen – mit denen man dafür einigen Spaß haben kann.

(Und so nebenbei liefert der Protagonist, als er sich gerade im Stadtalkoholikerbeisl durch die Theatergeschichte liest, auch noch eine Kürzestcharakteristik österreichischer Dramatiker, die durchaus etwas für sich hat: „durchgedreht, witzig, hasszerfressen“.)

Nicht die großen inhaltlichen Innovationen bereichern dieses Buch – immerhin ist der Verlierertyp, der sich aus der Kleinstadttristesse herauswurstelt, kein neues Thema. Es ist der bierernst-ironische Erzählton, hinter dem manchmal Tiefgründiges, öfter Urkomisches hervorlugt, es ist die erzählerische Rasanz und die Ökonomie der Dialoge, und es ist vor allem die Sympathie, die er seinen Figuren angedeihen lässt, die dieses Buch zum Vergnügen machen.

Und wenn manche Charaktere auch ein wenig scherenschnittartig daherkommen, manche Situationen ein wenig klischeehaft anmuten – mein Gott, so ist eben das Heranwachsen, voller Klischees und aufgeblasener Wichtigtuer. Und dass Robert Seethaler sich dem Ganzen mit so viel Leichtigkeit widmet, mit einer solchen Vorliebe fürs schrullige Detail, macht Jetzt wirds ernst zur idealen Lektüre für den Restsommer.

Robert Seethaler Jetzt wirds ernst
Roman.
Zürich: Kein & Aber, 2010.
304 S.; geb.
ISBN 978-3-0369-5574-2.

Rezension vom 25.08.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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