Friedrich Hahn könnte man als Meister der Dekonstruktion von Biographien bezeichnen, sein erzählerisches Augenmerk gilt den Sprüngen, die verlässlich die Karrieren seiner Protagonisten heimsuchen, sein Schwerpunkt ist so etwas wie das Leben im Ausgedinge. „Das ganze Dorf ist im Modus des Ausgedinges“, (105) heißt es über das Waldviertel, wo die ehemals Ausgewanderten zum Sterben heimkommen oder zum Verkauf ihrer Häuser an die städtischen Makler.
Die entscheidende Stelle jeglicher Literatur ist jene Schweißnaht, mit der sie in die sogenannte Realität geklebt ist. Oft sind deshalb Warnhinweise über das Impressum eines Romans eingedruckt, wonach jegliche Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen rein zufällig sei.
Friedrich Hahn greift diesen Hinweis auf und macht ihn zum Thema des Romans. Im Hintergrund steht dabei die Frage, was wäre denn, wenn auch die Helden in der Realität genau so unbeabsichtigt von der Beschreibung betroffen wären wie jene im Text?
In der äußersten Realitätsschale sitzt also die Behauptung, dass zwischen diesen und jenen „Jeglichen“ keine Ähnlichkeit besteht. In der nächsten Schale tut sich eine typische Literaturszenerie auf: Der Held muss wegen eines Herzleidens w. o. geben. Als ihm ein neues Herz eingesetzt wird, versucht ein Verlag, darüber eine Reality-Herz-Geschichte zu formatieren. Aber das neue Herz wechselt die Konsistenz und wird zur Ich-Erzählerin einer eigenen Geschichte. Die Schwester des Transplantierten übernimmt nämlich anlässlich eines Krankenhausbesuches die Rolle der Erzählerin.
Freilich wechselt sie die Perspektive, vom Bruder bleibt nicht mehr viel übrig, außer dass er für alles zu schwach ist, offensichtlich sogar für das Sterben.
„Wir sind ständig beschäftigt. Meist mit Abschieden, Verabschiedungen. Den Rest der Zeit warten, verwarten wir.“ (7) Dieser Satz passt für beide, den geplanten Helden und die eingesprungene Heldin.
Aus der Perspektive der Schwester Friederike (Rike) kriegt die Geschichte gleich einen anderen Drive. Sie ist offensichtlich dazu auserkoren, die ab- und ausgestorbenen Dinge zu verwalten. Gleich zu Beginn kommt die Nachricht vom Tod des Vaters. Die Pflegerinnen Milena und Jelena, dem Kafka’schen Gehilfenpaar im „Schloss“ nachempfunden, melden aufgelöst und angetrunken, dass sie den Vater gefunden hätten.
Die Schwester gerät in einen seltsamen Schock, sie hat die Nachricht schon erwartet, ist aber jetzt so überwältigt, dass sie sofort Sex haben will. Ihr ist nicht ganz klar, ob sie sich diese Lust vielleicht bloß angelesen hat, denn in der Literatur gibt es Tod und Sex immer ganz nah zusammengeführt. Aber als sie mit ihrem Mann zu trauern beginnt, gibt es Sex, wie ihn das schusselig-reife Paar schon lange nicht mehr erlebt hat.
Das Begräbnis findet so minimalistisch statt, wie es im Waldviertel unter den Ausgestorbenen immer öfter stattfinden muss. Die Erzählerin, die Pflegerinnen, der Verstorbene, mehr ist da nicht.
Und quasi noch während des Begräbnisses beginnt die Auflösung. Das Haus des Vaters, das dieser vor Jahren gekauft hat, um in der ehemaligen Dorfschule den Lebensabend zu verbringen, wird verkauft.
Ein Makler ist gleich zur Stelle, und die Schwester empfindet, einmal vom Alterssex wach geküsst, schon wieder ein erotisches Verlangen. Kann sein, dass an den Maklern was Erotisches dran ist, immerhin handeln sie mit immobilisierten Träumen.
Der Makler heißt Kurt und stellt sich biographisch-pragmatisch vor. Seine Freundin ist gerade ausgezogen, seine Tochter kriegt soeben ein Kind, er hat eine Sesselsammlung und verliebt sich in die Immobilie, die er für sich selbst behalten wird. Wie im Waldviertel üblich, wird er daraus ein Museum machen.
Ab und zu unterbricht die Erzählerin die Geschichte und bedient sich der Erzählmethode des Films, wenn eingeblendet wird, was früher geschah.
Der Verkauf des Elternhauses ist so halbwegs unter Dach und Fach, auch der Herz-transplantierte Bruder gibt mit schwacher Handbewegung sein Einverständnis, da kommt schon die nächste Todesnachricht. Dieses mal ist es ihr Mann, der zusammengesunken zu Hause gestorben ist. Bei ihm stellt man schweren Drogen-Abusus fest und wundert sich, dass die Gattin nichts gemerkt hat.
Diese versucht die Sache zu ordnen und zitiert für sich Goethes Wahlverwandtschaften, wo es ja auch eine Weile dauert, bis die Reihenfolge des Todes und der Liebe passt.
Wenn jetzt schon zwei Katastrophen eingetreten sind, Vater und Gatte sind tot, dann muss es laut Volksglauben noch einen dritten Todesfall geben. Da ist nach dem Ritus der Literatur die Erzählerin selbst dran.
Bei einem Unfall sterben ein Makler und seine Beifahrerin. Die Leserschaft ist schon vorgewarnt und ahnt, wer es ist, ehe der schlaffe Bruder den Fall, den Roman und den Wissensstand finalisiert, indem er an der Unfallstelle ein Marterl aufstellen lässt.
Jetzt ist die Ordnung wieder hergestellt, alles ist an seinem Platz, jegliche und jegliche haben ihre Ähnlichkeiten verloren und sind ins Anonyme zurückgekehrt. Der Roman, eben noch so kunstvoll aufgebaut, hat sich selbst zu Ende gebracht.
Friedrich Hahn greift die Spielregeln der Romantheorie tiefernst auf und macht sie durch Ironie geschmeidig. Die Themen Herzinfarkt, Alterssex, Landsterben und Gang der Zeit verlieren ihren Schrecken, indem sie elegant als Notwendigkeit der Erzählkunst abgerufen werden. Wie so oft kümmert sich dabei das Schicksal nicht darum, ob die Menschen das auch aushalten, wovon sie heimgesucht werden.
Die Warnung vor der Realität ist ausgesprochen: Jegliche Personen, jegliche Ähnlichkeiten und jegliche Handlung können mit den Lesenden übereinstimmen!