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Jakob Wassermann: Deutscher, Jude, Literat

Dirk Niefanger, Gunnar Och, Daniela F. Eisenstein (Hg.)

// Rezension von Klemens Renoldner

Neue Untersuchungen zu einem ehemaligen Bestseller-Autor…
Wenn man dem Vorwort der Herausgeber dieses Bandes Glauben schenken darf, so wächst das Interesse der Leser, die sich dem Werke des deutschen Schriftstellers Jakob Wassermann (1873-1934) widmen, stetig. Könnte sein, dass wir Österreicher das noch nicht in voller Tragweite erfassen konnten, jedenfalls, eines ist nicht zu bestreiten, einige deutsche Germanisten sind im Falle Wassermann sehr eifrig.

Nicht nur die Neu-Auflagen einzelner Wassermann-Werke sind demzufolge anzuzeigen, sondern es sollen demnächst sogar Tagebücher und Briefe des ehemaligen Bestseller-Autors veröffentlicht werden. Eine tatsächliche Lese-Renaissance der Romane „Caspar Hauser oder die Trägheit des Herzens“, „Christoph Columbus“ oder „Der Fall Maurizius“ – um nur die drei bekanntesten Titel zu nennen – dürfte aber wohl doch noch ein wenig auf sich warten lassen.

Vor uns liegt ein Zwitterwesen, ein wissenschaftlicher Sammelband, der sowohl Beiträge eines Jakob-Wassermann-Symposiums als auch ausgewählte Dokumente einer Ausstellung veröffentlicht. Ausstellung und Tagung fanden im Jahre 2006 statt, und zwar in einer Kooperation von Universität Erlangen-Tübingen und Jüdischem Museum in Fürth. Fürth ist der Geburtsort Jakob Wassermanns.

Im Zentrum des Buches stehen vier Referate resp. Aufsätze, die Wassermanns Beziehung zum Judentum untersuchen. Das Thema ist höchst ergiebig und vielschichtig, denn schon die zweite Buchveröffentlichung, ein Roman, heißt „Die Juden von Zirndorf“ (1897). Wassermann schildert in einem historischen Fall aus dem 17. Jahrhundert und in einer erfundenen Geschichte aus der Gegenwart zwei Varianten über das Auftreten eines jüdischen Messias. Das Buch machte den Autor in Literatenkreisen bekannt, so begründete es später die Freundschaft mit Arthur Schnitzler, der von diesem Buch begeistert war. („Ich glaube, das ist der Mensch, der den deutschen Roman vom Anfang des nächsten Jahrhunderts schreiben wird.“)

Sein Leben lang war Wassermann bemüht, seine Identität als deutscher Jude zu bestimmen und die Auseinandersetzung schlug sich in mehreren Büchern und Aufsätzen nieder. So auch in seinem vielleicht bekanntesten Roman „Der Fall Maurizius“, in dem Wassermann „alles versammelt… was er zeitlebens über Juden, Judentum und die sogenannte jüdische Frage gefühlt, gedacht und geschrieben hat“ (Peter de Mendelssohn). Aber es lassen sich nicht nur zahllose Bezüge im literarischen Werk herstellen, sondern es sind auch – wie etwa Hans Otto Horch in seinem exzellenten Betrag feststellt – jüdische Konnotationen in Zusammenhängen zu erkennen, wo man sie nicht vermuten würde, so etwa in der Roman-Figur des Außenseiters Caspar Hauser. Wassermann hat überdies wiederholt versucht die Rolle des künstlerisch tätigen Juden in Deutschland zu definieren, er reagiert auf Spott und Antisemitismus und greift Positionen verschiedener zeitgenössischer Diskussionen, Gedanken prominenter jüdischer Wissenschaftler, Intellektueller und Schriftsteller auf. In diversen kulturhistorischen Aufsätzen redet Wassermann einer Assimilation der beiden Kulturen das Wort und versucht zugleich das deutsche Judentum als kosmopolitisch zu bestimmen.

Im Zentrum der Untersuchungen steht für alle, das gilt damals wie für die neue Forschung heute, sein 1921 erschienener autobiographischer Essay „Mein Weg als Deutscher und Jude“, der in Deutschland eine besondere (und natürlich kontroverse) Beachtung fand. Wassermann versucht in einem fiktiven Dialog mit einem „nichtjüdischen Freund“ seine Herkunft darzustellen und seine kulturelle Doppelidentität zu behaupten, gleichzeitig erteilt er sowohl dem Judentum als Religion als auch der zionistischen Bewegung eine entschiedene Absage.

In weiterem Zusammenhang kommt Markus May in seinem kritischen Beitrag ausführlich auf die ausgeprägte Heine-Aversion des Autors zu sprechen, die Wassermann in dem genannten Essay überdeutlich vorgetragen hat. Für Wassermann ist Heine nicht nur (gemessen an Goethe, Hölderlin oder Mörike) ein Dichter dritter Güte, sondern er lehnt die Figur Heine auch deswegen ab, weil er seine jüdische Existenz verleugnet habe, um „ganz Deutscher“ sein zu können. Diese Diskussion darf getrost als eine historische betrachtet werden. Bemerkenswert ist der gewagte Versuch des Nürnberger Germanisten Theo Elm, das Werk von Kafka und Wassermann in Beziehung zu setzen, wohl wissend dass sich die beiden Schriftsteller mit entschiedenem Ressentiment gegeneinander abgegrenzt haben. Aber Elm geht über die Relationen hinaus und fragt in der Folge, ob es überhaupt so etwas wie ein „jüdisches Erzählen“ gebe.

Nur zwei Beiträge des Sammelbandes folgen den biographischen Spuren des Autors. Nicole Plöger berichtet über Wassermanns literarische Anfänge in München, wo er sich zuerst unter bescheidenen Lebensumständen als Journalist versuchte und Mitarbeiter des „Simplicissimus“ wurde, für den er später Theaterkritiken aus Wien schreiben sollte. Zuerst in München, später in Wien – es ist faszinierend zu beobachten, wie sich der junge Autor im Literaturbetrieb äußerst zielstrebig (und mit Erfolg) ein Netz an Beziehungen strickt.

Die Grazer Germanistin Beatrix Müller-Kampel berichtet, wie schon in einem Aufsatz aus dem Jahr 2005, von der ebenso tüchtigen Annäherung Wassermanns an die Wiener Literaturszene. Die vor allem aus eher anekdotischem Material erstellte Collage gibt Aufschluss über Wassermanns Beziehungen zu Schnitzler, Hofmannsthal und Beer-Hofmann. Geschildert werden die Szenen in Wien und Altaussee, informiert werden wir über Wassermanns Arbeit am Netzwerk im Wiener Literatur- und Kunstbetrieb. Die Verfasserin lässt aber auch die beiden Ehefrauen Julie Speyer und Martha Karlweis auftreten. Was für höchst dramatische Szenen in diesen beiden Wassermann-Ehen – was für ein Stoff! Natürlich haben beide Frauen ihre eigenen Erinnerungsbücher über „ihren“ berühmten Dichter geschrieben.

Vier weitere Aufsätze widmen sich dem Erzählprogramm des Autors, seiner Poetologie bzw. den Erzählstrategien einzelner Bücher. Der Zusammenhang mit den Autoren der Sprachkritik und Sprachskepsis (Hofmannsthal, Mauthner) wird untersucht. Ein Aufsatz breitet die germanistische Exegese des Buches „Der Aufruhr um den Junker Ernst“ vor uns aus, ein weiterer, von Dierk Rodewald, beschreibt mit akribisch-kriminalistischer Detailbesessenheit die Entstehungsgeschichte des Manuskripts zum Roman „Der Fall Maurizius“.

Der mit zahlreichen und gut reproduzierten Fotos ausgestattete Band wäre als Nachschlagewerk zum Autor noch besser tauglich, wenn man ihm eine biographische Zeittafel sowie eine detaillierte Bibliographie der Werke und Schriften Jakob Wassermanns beigegeben hätte.

Bei der Gelegenheit sei noch daran erinnert, dass schon zu der aus Anlass des 50. Todestages 1984 in Deutschland erstellten und 1985 auch in Wien und Altaussee gezeigten Ausstellung über Jakob Wassermann ein exzellentes Lesebuch (Jakob Wassermann.1873-1934. Ein Weg als Deutscher und Jude. Bonn, 1984) erschienen ist, in dem Biographie und Werk in einer kenntnisreich kommentierten Collage aus Text- und Brief-Zitaten vermittelt werden.

Dirk Niefanger, Gunnar Och, Daniela F. Eisenstein (Hg.) Jakob Wassermann: Deutscher, Jude, Literat
Biografischer Sammelband.
Göttingen: Wallstein, 2007.
278 S.; brosch.; m. Abb.
ISBN 978-3-8353-0158-0.

Rezension vom 08.04.2008

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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