Bei Computerphilologie handle es sich um einen wissenschaftlichen Arbeitsbereich zwischen Literaturwissenschaft und Informatik, um die Verbindung aus dem Umgang mit literarischen bzw. kulturhistorischen Texten und dem Gebrauch von Computern. Als Arbeitsfelder der Computerphilologie nennen Eibl/Jannidis die Erstellung elektronischer Texte, die programmgesteuerte Erschließung von Texten, die Hypertext-Theorie und -Praxis und das philologische Programmieren sowie die Diskussion und Analyse von Strukturen, Funktionsweisen und Algorithmen der Computerprogramme, die in der Philologie zur Anwendung kommen.
Hat es denn Sinn, Computerphilologie als eigene wissenschaftliche Teildisziplin innerhalb der Literaturwissenschaften zu akzeptieren? Nimmt da nicht die Begeisterung für ein neues Arbeitsinstrument überhand, das als solches natürlich seinen Platz auch in den Humanities, den Geistes- und Kulturwissenschaften, längst erobert hat? In der Beschreibung der Tätigkeitsfelder der Computerphilologie klingt eine Veränderung des Objekts an, eine Erweiterung des Gegenstandes der traditionellen Philologie. Die Diskussion um den Medienwechsel vom Buch zum Internet an der Zeitenwende vom Industrie- zum Informationszeitalter erweitert die Beziehung zwischen Geisteswissenschaften und Informationstechnologie um neue theoretische Implikationen. Ist Computerphilologie Arbeitsmittel, inhaltlich bestimmtes Teilgebiet oder neues Theoriefach?
Das „Jahrbuch“ demonstriert, dass sie das alles ist, was sie verständlicherweise nicht zugleich sein kann. Darum ist sie eines vor allem nicht: eine neue, womöglich sogar geschlossene Methodenlehre. Statt dessen muss sie als Konglomerat einzelner Elemente angesehen werden (Forschungsinstrumente, Forschungsmethoden, Forschungsinhalte, Forschungsziele), die sich getrennt von einander entwickelt haben, getrennt von einander existieren und sich auch getrennt weiter entwickeln werden. Dass sie im „Jahrbuch“ gemeinsam repräsentiert sind, liegt an der relativen Neuheit der Computerphilologie innerhalb der Germanistik, besonders im deutschen Sprachraum.
Nach vier Jahren Betrieb lassen sich bereits Richtungen abschätzen, in die sich das Unternehmen bewegt. Ein Forum für disziplinäre Definitionsfragen zur Verfügung zu stellen, halten die Herausgeber wahrscheinlich auch weiterhin für wichtig, ebenso wie die wissenschaftliche bzw. kulturtheoretische Kommentierung des Medienwechsels, der sich vom Druck zur Digitalität vollzieht. Außerdem etabliert sich das Jahrbuch als Bazar für den Austausch von Information über laufende Editionsunternehmungen und Software-Entwicklungen. Die Diskussion der Verfahrens- und Formatfragen beim digitalen Editieren literarischer Quellenbestände unter Anwendung von Hypertextsystemen bildet wohl weiterhin den wichtigsten Schwerpunkt der Jahrbücher. Im Vorwort zu Jahrgang 4 stellen die Herausgeber einen Rückstand der Deutschen Philologie in mehreren zentralen Bereichen fest: die Herstellung von institutionellen Voraussetzungen für informatisch-philologische Vernetzung geht in den deutschsprachigen Ländern langsamer vor sich als in den englischsprachigen; bei der Beteiligung an der „Textencoding Initiative“, einem wichtigen Unternehmen zur Entwicklung von Textauszeichnungsstandards in digitalen Editionen, lassen Deutschland und Österreich ziemlich aus; auch die kultur- und medientheoretische Diskussion zur Digitalität wird bei uns weniger intensiv geführt als anderswo. (In den vier Jahrgängen findet sich übrigens noch kein einziger Beitrag eines/r österreichischen Computerphilologen/in!). Eine sehr deutliche internationale Ausrichtung von Jahrgang 4 des „Jahrbuchs“ trägt dem Defizit Rechnung; in englischsprachigen Beiträgen werden noch einmal intensiv grundsätzliche Fragen zu den methodologischen Fundamenten der jungen Disziplin diskutiert. Die Service-Komponente tritt bei der Druckausgabe mehr zurück. Buch- und CD-Rezensionen und der bibliographische Dienst haben sich fast völlig auf die Website – das „Forum Computerphilologie“ der Universität München mit einem im Vergleich zur Printversion erweiterten Informationsangebot – verlagert. Dass sich das Jahrbuch nicht auf die Online-Schiene beschränkt, ist vielleicht eine Konzession an die Übergangsgeneration, die Bücher und Zeitschriften noch als Medien zur wissenschaftlichen Kommunikation akzeptiert.
ie Literatur selbst, der Gegenstand der Computerphilologie? Bleibt sie, was sie ist? Die Antwort: Nein! Zweifler sollten sich die vier bisher erschienenen Jahrgänge der Zeitschrift bestellen und sich von den vielfältigen Beiträgen belehren lassen, wie tief der Medienwechsel die literarische Produktion und Rezeption und die Präsentation literarischer Werke bereits verändert hat. Einfach zu behaupten, „Bücher wird es immer geben“, ist zu wenig, das Buch ist schon jetzt nicht mehr das, was es war.