#Sachbuch

Ingeborg Bachmann. Neue Bilder zu ihrer Figur

Friedbert Aspetsberger (Hg.)

// Rezension von Wolfgang Straub

Die Bachmann-Forschung ist im vierten Dezennium nach dem Tod der Dichterin ungebrochen rege, Sekundärliteratur erscheint nach wie vor sonder Zahl – etwa jüngst die Ergebnisse des Internationalen Ingeborg-Bachmann-Symposiums 2006 unter dem Titel „Topographien einer Künstlerpersönlichkeit“. Wenn sich nun der Klagenfurter Germanist Friedbert Aspetsberger daran machte, eine seiner Landsfrau gewidmete „Literaturtagung“ zu organisieren, kann man – Aspetsbergers vergleichbarer Annäherungen eingedenk – davon ausgehen, dass die herkömmlichen germanistischen Wege verlassen werden. Das verspricht gerade bei einem Thema wie der „Figur Bachmann“ spannend zu werden. Ist es doch auf den ersten Blick ein „evidentes“ Thema – La Bachmann war spätestens seit dem „Spiegel“-Cover 1954 eben auch eine Figur, eine Ikone des Literaturbetriebs.

Wie bei von Aspetsberger initiierten Projekten und Publikationen zu erwarten, spielt das Bildliche eine große Rolle, ist das Buch mit vielen Abbildungen versehen. Diese lustvolle Grenzüberschreitung rührt in diesem Fall einfach daher, dass der Titel der Veranstaltung/des Buches wörtlich genommen und Bild-Künstlerinnen zur Auseinandersetzung mit Ingeborg Bachmann eingeladen wurden. Angelika Kaufmann verarbeitet die bekannt gewordene Bachmann-Collage von Wolfgang Kudrnofsky (aus Hans Weigels „Stimmen der Gegenwart“ 1953) zu einem Bilder-Puzzle, das im Buch zwar nicht darstellbar ist, das aber zu einem wohlfeilen Preis erworben werden kann. Letzteres gilt auch für die zwei weiteren künstlerischen Bild-Erforschungen des Bandes: Ina Loitzl nähert sich mit einer „Videotrickarbeit“ an Bachmanns „Spuren in Kärnten“ an, Meina Schellander unternimmt mit einem „Parallelvideo“ eine „Annäherung innerhalb einer Strecke Klagenfurt-Wien und retour“. Beide Videoarbeiten können im Buch naturgemäß nur rudimentär wiedergegeben werden, die Künstlerinnen bieten jedoch eine kostengünstige Erwerbsmöglichkeit an. Schellander parallelisiert als Basis ihrer „Annäherung“ ihre eigene Biographie mit jener Bachmanns („Ich kann mich noch an die Todesmeldung im Radio erinnern“) – eine radikale Subjektivität, von der die Literatur-ForscherInnen (wie sie der Herausgeber am Cover tituliert) nur träumen können.

Auch SchriftstellerInnen dürfen „radikal subjektiv“ sein: Elfriede Gerstl erinnert sich an ihre wenigen Begegnungen mit der Bachmann (unter dem Titel „bachmann traurig – bachmann froh – in berlin und anderswo“) und an ihre eigene Zurückhaltung bei der Kontaktaufnahme: „sie wohnte gleich neben der spanischen treppe und bot mir an, sie zu besuchen (auf gut glück anzuläuten) wenn ich in der nähe bin, das hab ich mich dann aber doch nicht getraut.“ Josef Winkler, der zweite von Aspetsberger eingeladene Dichter, liefert erwartungsgemäß keine „direkte“ Auseinandersetzung mit Bachmann – auch wenn sein Text „Gänsehaut hinter dem Hochaltar“ – mit einem Bachmann-Zitat anhebt. Winklers Prosa kreist um die topographischen und atmosphärischen Komplexe Rom und Klagenfurt (natürlich auch Indien) und streift dabei kurz das Bachmann-Grab.

Friedbert Aspetsberger stellt bewusst das Künstlerische an den Beginn, das Primäre vor das Sekundäre und nennt seinen ersten Beitrag konsequent ein „après-propos zu Winkler“, er sieht sich also in einem direkten Austausch mit den Bild- und SprachkünstlerInnen. Auch bei der Auswahl der BeiträgerInnen war ihm um Vielfalt, Buntheit zu tun; ein Beitrag ging aus einer Uni-Seminararbeit hervor, Dünkel des Standes oder der Etabliertheit fehlen hier erfrischenderweise. Bei aller Polyphonie spielt die Stimme des Herausgebers die erste Geige, Aspetsberger schrieb gleich zwei Beiträge im Band. Im ersten, dem erwähnten „après-propos zu Winkler“, breitet er präzise die männlichen Vereinnahmungen Bachmanns und Racheakte nach ihrem Tod aus. Ausführlich geht er auf den Literaturfunktionär Kurt Klinger ein, dessen zwei lyrischen Bachmann-Satiren „Einäscherung der Poetessa“ und „Ein Werktag der Poetessa“ (beide 1970/71) hier vollständig abgedruckt sind und somit eine nicht unwichtige Grundlage für weitere Diskussionen dieses nicht immer gustiösen Komplexes der Bachmann-Rezeption liefern. Asptesberger, der immer ein waches Auge auf das Geschlechtliche hat, führt die (Re)Aktionen der „Landsmannschaft“ auf Bachmanns Weggang, auf ihre Verweigerung der männlichen Hegemonie ihrer Förderer und „sfruttatori“ (Ausbeuter, auch: Zuhälter) wie Hans Weigel und deren daraus resultierender Gekränktheit zurück. So gesehen konsequent, wenn Aspetsberger schlussfolgert, dass „Schwule und Priester“, diese für eine Frau „geschlechtslosen“ Männer, für Bachmann „eine Entspannung im gesellschaftlichen Verkehr gewesen zu sein“ scheinen.

Konsequent auch, dass sich Aspetsberger in seinem zweiten Aufsatz dem Missbrauchsthema widmet, drückt sich männliches Hegemoniestreben, die Stabilisierung des Patriachats doch gesellschaftlich auch durch sexuelle Gewalt an Schwächeren aus. Der Gynäkologe Peter Frigo liefert die Basis, wobei der Arzt auch klare Sätze zu Bachmanns „Malina“ findet. An diesem Beitrag frappiert seine Kürze, im Vorwort zollt ihm der Herausgeber dafür Respekt: „Dass Frigo mit einem Zehntel des Textumfangs auskommt, den ein Literaturwissenschaftler zu einfachen Aussagen braucht, ist das Überraschende für mich gewesen und spricht sehr für die Publikationsgewohnheiten der Mediziner.“ Aspetsberger breitet auf 27 Seiten das Thema Missbrauch aus, mit seiner bildlich-assoziativen Methode geht er vielleicht mitunter zu sehr in die Breite, man hat das Gefühl, der Autor wolle hier alles umreißen, wobei er sich manchmal mit einem „etc.“ bescheiden muss. Aus dieser Missbrauchsgesellschaft unternehmen die Figuren Bachmanns, Aspetsberger skizziert das anhand von „Undine geht“ und „Drei Wege zum See“, ihre Loslösungsversuche. Schockierend im Anhang zum Aufsatz die statistischen Missbrauchs-Zahlen, deren Evidenz einen schaudern macht.

Explizit mit der „Figur Bachmann“ beschäftigt sich noch der Beitrag Daniela Strigls zu Bachmanns „kritischen Schriften“. Strigl schreibt von der zeitweisen Selbststilisierung der jungen Autorin in biografischen Skizzen, von ihrer notorischen „Unpünktlichkeit und Unzuverlässigkeit als Textlieferantin“ von Beiträgen für Rundfunk und Zeitschriften, von den Reaktionen auf die Veröffentlichung der Dissertation 1985, die „erhebliche Schönheitsfehler“ aufwies, sowie von Bachmanns Bedeutung in der Durchsetzung der Schriften Wittgensteins und ihrem Einsatz für den in den fünfziger Jahren noch wenig bekannten Musil. Für Bachmann-Afficionados mögen solche Informationen längst alle bekannt sein, für alle anderen sind die Ausführungen Strigls sehr erhellend. Strigl zeichnet abschließend die Spur der Bachmann-Figur in Elfriede Jelineks „Prinzessinnendramen“ nach.

Die drei weiteren Beiträge des Bandes entfernen sich vom Begriff der Figur ein gutes Stück. Gudrun Tengg untersucht den Inzest im „Buch Franza“, Annegret Pelz zeigt Berührungspunkte zwischen Bachmann und dem französischen Schriftsteller Maurice Blanchot in Bezug auf die Forderung nach einer Neutralisierung der Erzählstimme, auf die „Reflexion über das Verschwinden der individuellen Eigenart“ auf. Und Alice Bolterauer geht dem Begriff der Liebe in Bachmanns Oeuvre nach, tut dies zu einem Gutteil mit sehr vielen, teils überlangen Zitaten, was die betreffenden Passagen etwas hölzern wirken lässt, die Autorin aber nicht daran hindert, im Schlussteil dem Leser das Bachmann’sche „Panorama der Liebesmöglichkeiten unter dem Zeichen der modernen Gesellschaft“ konzis auszubreiten.

Am Buchcover hat man mit sympathischer Nonchalance den Reihentitel angebracht: „Nützliche Handreichungen zur österreichischen Gegenwartsliteratur“ – schön, wenn genau drinnen ist, was draufsteht.

Friedbert Aspetsberger (Hg.) Ingeborg Bachmann. Neue Bilder zu ihrer Figur
Sammelband.
Innsbruck: StudienVerlag, 2007.
208 S.; brosch.
ISBN 978-3-7065-4449-8.

Rezension vom 21.04.2008

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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