#Prosa

In harten Schuhen

Werner Schwab

// Rezension von Petra M. Rainer

Werner Schwab hatte etwas mehr als zehn literarische Schaffensjahre, um sich in das Bewußtsein der (Theater-)Öffentlichkeit zu katapultieren. Das ist ihm eindeutig gelungen. In den frühen neunziger Jahren wurden seine Theaterstücke auf vielen deutschsprachigen Bühnen mit großer Resonanz gespielt. Und obwohl der Autor relativ jung in der Silvesternacht 1993 starb, ist das vorhandene Textkonvolut noch nicht erschöpft: Aus dem Nachlaß wird posthum publiziert, von den Theaterstücken werden Übersetzungen angefertigt. (Übrigens wurden Monika Muskalas Übertragungen ins Polnische bei der Erstaufführung in Krakau euphorisch aufgenommen.)

Auch Schwabs Tagebuchnotizen aus den Jahren 1980 bis 1983 wurden unter dem Titel In harten Schuhen. Ein Handwerk posthum publiziert. Das Textmaterial lag handschriftlich in Arbeitsbüchern und maschinschriftlich auf losen Blättern vor, die maschinschriflichen Fassungen wurden als Endfassungen angesehen; sie waren durchgehend konsequent in Kleinschreibung verfaßt. Die handschriftlichen Texte lagen laut Herausgeberin Ingeborg Orthofer fast durchgängig in normaler Groß-/Kleinschreibung vor. Die unterschiedliche Schreibweise wurde beibehalten, ebenso andere formale Eigenheiten wie Interpunktion, Zeilenumbruch und graphische Anordnung von Textteilen.

Aus biographischer Sicht sind gerade die frühen 80er Jahre interessant, da hier die Identitätsfindung des Künstler-Autors Schwab erfolgte. Von 1978 bis 1982 studierte er an der Akademie der bildenden Künste in Wien; von 1981 bis 1989 lebte er mit Ingeborg Orthofer und dem gemeinsamen Sohn auf einem entlegenen Bauernhof in der Oststeiermark. Dort arbeitete er sowohl an seinen „verwesenden Skulpturen“ aus Kadavern und Fleisch als auch an Erzählungen und ersten Theaterstücken.

„28. 3. 80/ mitte tatzeit/ außerdem lautet das alles gleichlautend./ und gleichbedeutend ist die frage der gebräuchlichkeit./ wider das anfassen mit den zähnen eines rechens, wenn doch auch ein verlängerter arm sich und breitmacht, wohler fühlt/ mit der verbissenheit jener leute bei den resten./ mit dem erstrecken gegen die angenommen gepredigte, wie man weiß, weite./ mit und der leichtfertigkeit, die man eben hat, wenn man im gehandelten die voraussicht zu leicht und schon eben fertig ist, um gleich beide zu verbinden, leicht und fertig.“ (S. 76)

Die Tagebuchnotizen sind mittels Datierung als solche gekennzeichnet, ansonsten verbindet sie wenig mit diesem literarischen Genre. Keine selbstentblößende Nabelschau, sondern geradezu größtmögliche Selbstverhüllung wird in diesen Texten praktiziert. Orthofer kennzeichnet diese Vorgehensweise in ihrer editorischen Notiz als das Bemühen, eine Sprache jenseits der Vorstellung von Sprechenden zu finden, eine Sprache ohne Sprecher. Weiters spricht sie von „nichtgegenständlichem Schreiben“.

Der erste Text der Publikation gibt sozusagen die Vorgehensweise aus der Sicht des schreibenden Ich an:

„für mich gibt sich nämlich eine ganz neue stellung/ für das was man schreiben nennt/ einerseits fertiggeschrieben/ möchte ich nicht/ ein bann ein gebrochen/ ein fertig/ ich zerhacke bilder und solche die es nicht sein können/ in ein stückzerfall/ (…) zerstückelt füge ich alles neu zusammen/ hört sich einfach und gescheit an/ zudem ein wenig gängig/ für mich bleibt das alles weitgehend dunkel/ (…) im vordersten bewußtsein verliere ich schnell den faden/ auf faden verlieren habe ich keine lust (…)“ (S. 7)

Alles klingt gängig und dennoch dunkel: Genau so geht es dem Leser der Schwabschen Tages-Notizen. Kein Wunder, bei dieser Collagetechnik, wo Alltagsfetzen auseinandergenommen werden, neu zusammengeklebt, so daß ein klar nachvollziehbarer Inhalt verhindert wird. Die literarische Kategorie, die hinter dieser Vorgehensweise steht, nennt sich konkrete Poesie oder nichtmimetische Dichtung, die seit etwa den 50er Jahren nach dem Vorbild konkreter Kunst aus schriftlichem oder akustischen („konkretem“) Sprachmaterial gestaltet wird. Hier sei auf die Tradition des italienischen Futurismus (Marinetti) verwiesen, die programmatischen und literarischen Texte des Dadaismus wie Ball und Schwitters; nach dem zweiten Weltkrieg sei an E. Gomringer und die Wiener Gruppe erinnert, an Ernst Jandl, Helmut Heissenbüttel oder Oskar Pastior.

Angesichts dieser Tradition ist das sozusagen hypermoderne Vorgehen gleichzeitig antiquiert. Im Sinne der Postmoderne aber wieder doppelt aktuell: einerseits wird die Tradition der konkreten Poesie zitiert und andererseits ist Collagetechnik gerade das, was die Postmoderne charakterisiert, ein Spiel mit Zitaten.
Dennoch waren für mich die Texte „In harten Schuhen“ vor allem als eine Art Aufwärmtraining, als ein Wortsteinbruch für das, was Schwab dann in der Folge auszeichnete, interessant.

Werner Schwab In Harten Schuhen. 
Ein Handwerk.
Graz, Wien: Droschl, 1999.
180 Seiten, gebunden.
ISBN 3-85420-516-3.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 26.09.2000

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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