#Roman

In die Transitzone

Elena Messner

// Rezension von Jelena Dabić

Das Politische ist immer auch privat. Wo könnte sich eine Transitzone unserer Tage befinden? Zu Beginn der Lektüre sind Zeit und Ort der bürgerkriegsähnlichen Ereignisse des Romans noch nicht ganz klar. Ist es eine Hafenstadt dies- oder jenseits des Mittelmeeres? Ist der Krieg schon ausgebrochen oder sind es lediglich große Unruhen, verbunden mit einem teilweisen Ausfall der Infrastruktur und rascher Abwanderung der Bevölkerung? Bald klärt sich aber die Szenerie einigermaßen und es lässt sich Folgendes festmachen: Schauplatz der Geschehnisse ist die südeuropäische Hafenstadt Makrique (hinter der man ziemlich sicher Marseille vermuten darf), die ereignisreichen Tage fallen in den heißen Sommer 2015, das alles beherrschende Thema sind die unerwartet großen Flüchtlingsströme und die grundverschiedenen Reaktionen, die diese in der multikulturellen südfranzösischen Stadt auslösen.

Die erste Figur, der der Leser begegnet, ist der etwa dreißigjährige Daniel, ein Mittel- oder Nordeuropäer und Mitarbeiter einer internationalen Organisation, von der er geschickt wurde, um sich die Ereignisse in Makrique anzusehen und darüber zu berichten. Daniel gelingt es nicht, an seine Kontaktperson zu kommen, dennoch findet er sich nach und nach in der halbleeren und teilzerstörten Stadt und mitten in den sozialen und politischen Wirren gut zurecht. Er gerät an eine Gruppe von Personen, die man pauschal als linke Aktivisten bezeichnen könnte; es sind Männer und Frauen unterschiedlicher nationaler Herkunft, die auf verschiedenen Wegen politisiert wurden und in der gegebenen Situation hochprofessionell und äußerst unerschrocken agieren. Damit öffnet sich dem Beobachter, der manchmal scherzhaft als „der Tourist“ bezeichnet wird, gleichermaßen wie dem Leser, der Leserin ein umfassendes Bild des organisierten Widerstandes gegen die fremden- und migrationsfeindliche Staatsgewalt, zeitlich und räumlich klar abgegrenzt auf wenige Tage in eben diesem Makrique, dessen Hafen kurz vorher vom Militär abgesperrt wurde, um nachkommende Bootsflüchtlinge an einer Weiterfahrt zu hindern.

Dieser Kreis von jungen und nicht mehr ganz jungen Menschen, die sich politisches Denken und Handeln längst angeeignet und vielfach erprobt haben, erweist sich als äußerst heterogen und dementsprechend interessant. Da ist etwa Malika, Tunesierin der zweiten Generation, Arbeitertochter und studierte Juristin, die aber aufgrund ihrer Herkunft es nur bis zu einer sie zunehmend ermüdenden Tätigkeit in einem schäbigen Beratungszentrum für Migranten gebracht hat. Dennoch bleibt sie ihrer politischen und ideologischen Haltung stets treu und denkt auch nach einer kurzen Haftstrafe nicht daran, kürzer zu treten oder gar auszusteigen. Oder die etwa fünfzigjährige einflussreiche Stadtpolitikerin Marguerite Tassioni, eine hervorragende Rednerin, die allerdings mit dem Vizebürgermeister Charbonnier liiert ist, dessen politische Ausrichtung der Gruppe nicht ganz genehm ist. Oder der schwarze Polizist Pakka, der aufgrund seiner Herkunft und seiner Position völlig zerrissen ist und sicherheitshalber grundsätzlich immer die Rolle des unsympathischen Aufpassers wahrt. Eine weitere bemerkenswerte Figur ist die Endzwanzigerin Annie, Übersetzerin aus dem Arabischen, aber blond und blauäugig, also ethnische Französin, die nicht nur Motorrad und Lkw fahren kann, sondern Daniel sehr schnell zu einer kurzen Liebesaffäre verführt, genauso schnell aber wieder fallen lässt, weil sie eigentlich Hakim, Malikas ebenfalls politisch aktiven Bruder liebt und von dieser Liebe nicht loskommt.

In die Transitzone ist in dramaturgischer Hinsicht – und nicht nur darin – ein exzellenter Text. Elena Messner stellt eine europäische Stadt des 21. Jahrhunderts im Ausnahmezustand dar, und diese Darstellung atmet geradezu Authentizität. Kein einziger Charakterzug an irgendeiner der vielen Figuren erscheint unpassend oder unglaubwürdig, kein einziges Detail der heißen, staubigen, zum Teil zerstörten Straßen, Häuser und Plätze könnte man sich anders vorstellen als eben hier beschrieben. Die Autorin verhandelt hier Fragen der ethnischen wie sozialen Herkunft, der ökonomischen Verhältnisse, der Korruption im Polizei- und Justizwesen, der nationalistischen und geradezu faschistischen Tendenzen in der autochthonen europäischen Bevölkerung und des mutigen Widerstands dagegen, nicht zuletzt aber auch Fragen des persönlichen Zweifels, des Gewissens und des Bedürfnisses nach Solidarität, Freundschaft und Liebe. Das Ende des Romans ist optimistisch und öffnet sich der Zukunft; es kommt genauso überraschend wie die meisten Wendungen in der Handlung und die meisten biographischen Details der durchwegs markanten Figuren.

Elena Messner beweist gleichermaßen einen großen politischen Durchblick wie ein feines Gespür für atmosphärische Schilderungen, sei es von Orten oder von widerspruchs- und konfliktreichen seelischen Regungen im Individuum wie im Kollektiv. In die Transitzone, ihr zweiter Roman, ist eine Geschichte für politisch Interessierte, meisterhaft erzählt und an Aktualität kaum zu überbieten.

Elena Messner In die Transitzone
Roman.
Wien: edition atelier, 2016.
210 S.; geb.
ISBN 978-3-903005-21-1.

Rezension vom 14.11.2016

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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