#Sachbuch

In die Neue Welt ...

Heinz P. Adamek

// Rezension von Konstanze Fliedl

Nach Amerika ist Arthur Schnitzler nie gekommen, übrigens auch Hugo von Hofmannsthal nicht. Von den mit Jung-Wien lose zusammenhängenden Autoren hat lediglich Jakob Wassermann, schon als Erfolgsschriftsteller auf promotion tour, 1927 die Staaten bereist. Auf ganz andere Weise hingeraten ist 1939 Richard Beer-Hofmann: 73jährig von den Nazis vertrieben, ein heimatloser Emigrant. Als Asyl oder aber als Ankerplatz von Aufstiegsphantasien hat sich die „Neue Welt“ seit jeher dargestellt, vor allem literarisch.

Ganz ungebrochen war diese Utopie aber nicht: Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts erhoben sich Zweifel an der Gültigkeit des „american dream“. „Amerika ist ein Vorurtheil“, so stand es bereits 1855 in Ferdinand Kürnbergers Roman „Der Amerika-Müde“. Der ambivalenten Verheißung gegenüber konnte man sich auch raffiniert aus der Affäre ziehen. So hielt es Arthur Schnitzler mit der 1889 veröffentlichten Skizze „Amerika“: Der neu entdeckte Kontinent ist dort die „süße, weiße Hautstelle hinter dem Ohre“ der Geliebten. Die erotische Neugier findet mit „Amerika“ also eine bislang unbekannte erogene Zone. Diese Kartographierung des weiblichen Körpers bezeichnet im Fin de siècle noch eine heitere Libertinage; umgekehrt war die Sexualisierung der Geographie (auch im Fall der entführten Europa) immer schon die Verlockungsprämie territorialer Phantasien.

Hinter solchen Aussichten muß jedes reale Land zurückbleiben, das wurde auch die bittere Erfahrung von Arthur Schnitzlers Jugendfreund Eugen Deimel (1861-1920). Wie Schnitzler ein Schüler des Akademischen Gymnasiums, hatte er es aber nicht bis zur Matura gebracht und trat fortan als Theaterstatist, verhinderter Dramatiker und gescheiterter Literaturredakteur auf. Er war, so erinnerte sich Schnitzler in seiner Autobiographie, „ein blonder, hochaufgeschossener Junge, gutmütig, leichtfertig und stets zu Späßen, nicht immer von der feinsten Sorte, aufgelegt, der sich lieber im Kaffee- und Wirtshaus als daheim und in der Schule aufhielt, sentimental bis zur Weltschmerzlichkeit, eine geborene Bummelantennatur, aber nicht ganz ohne bürgerliche Tendenzen, ein Nichtstuer mit ausgesprochen künstlerischen Bestrebungen, und bei allem Leichtsinn und Müßiggang ein durch und durch ehrlicher, innerlich anständiger, ja nobler Charakter“ – ein Fall für Amerika also, wohin man, wie man noch im ersten Kapitel von Kafkas „Amerika“-Roman (1913) nachlesen kann, die ungeratenen oder bloß tolpatischigen Söhne abschob.

Im März 1882 jedenfalls schiffte sich Deimel ein – und landete ziemlich unsanft in den Staaten. Aus war es mit der Bummelei: Mit 21 Jahren wurde er“Arbeitsmensch“ und solide. Als Geschirrspüler, Hausierer und Bäcker erfüllte er den ersten Teil des amerikanischen Mythos vom Tellerwäscher. Zum Millionär brachte er es nie; immerhin hatte er nach zwei Jahren nicht nur eine Stellung als Koch in einem Broadway-Restaurant, sondern auch eine Frau, die Tochter eines bayrischen Bierbrauers, gefunden. Von nun an berichtete er dem Heimatfreund Schnitzler in rührender Anhänglichkeit von seinem Fortkommen. Die Schnitzler-Briefe an Deimel galten als verschollen; Heinz P. Adamek, langjähriger Lektor amerikanischer Studienprogramme, hat sie ausfindig gemacht und die gesamte erhaltene Korrespondenz nunmehr herausgegeben, wobei sie zugegebenermaßen eher ein schriftlicher Monolog Deimels ist als ein symmetrischer Austausch: Er war ausgehungert nach europäischer Kultur, Schnitzler damit beschäftigt, sie zu produzieren. Während Deimel jedes neue Werk des Jugendfreundes enthusiastisch begrüßte, wurde er umgekehrt vielfach als Informant über amerikanische Ausgaben und Aufführungen eingesetzt – über die ständige Verletzung seines copyrights, nicht nur in den USA, hat sich Schnitzler lebenslang beschwert. Was der treue Deimel nicht ausfindig machen konnte, sucht die Ausgabe zumindest hinsichtlich der New Yorker Schnitzler-Inszenierungen nachzutragen. Der Briefband versammelt daher wichtige Belege der amerikanischen Schnitzler-Rezeption; er ist aber auch ein spannendes Dokument zu einer Auswanderer-Biographie und zum Experiment der Amerika-Assimilation.

Zunächst schien die nicht zu glücken: Deimels offenbares Heimweh und seine Kultur-Nostalgie äußerte sich als heftige Amerika-Kritik: „Im Vergleiche zu Wien ist New York, was eine Getreidebörse zu einem Tempel Apollos, was eine Zinseszinsrechnung zu einer Symphonie Beethovens“. Er klagte über die materialistische Gesinnung, über „Reklame und Geldprotzentum“, über das „faule und höchst verderbte politische Treiben“ im „Lande der Gleichheitsflegel“. Nach seiner Einbürgerung 1886, die mit der „interessanten Lektüre“ der amerikanischen Konstitution verbunden war, und dem Erwerb eines Delikatessenladens 1892 entwickelte er sich aber nach und nach zum amerikanischen Patrioten. Während des spanisch-amerikanischen Kuba-Konflikts von 1898 fühlte er sich endgültig als US-Bürger und pries die „noble Haltung“ und die „Heldentaten“ des „als krämerisch verschrienen Landes“. „Man misgönne uns unseren Sieg nicht!“, forderte er Schnitzler nach Kriegsende auf; sogar „der amerikanische Dollarjäger“ habe sein Leben für das Land in die Schanze geschlagen.

Die Übererfüllung des vaterländischen Solls ist immigrantentypisch; allerdings trug dazu auch bei, was Deimel aus Briefen und Zeitungen über europäische Zustände erfuhr. Denn dem Schulfreund gegenüber hielt Schnitzler seine Bitterkeit über den Antisemitismus nicht zurück, „ein greuliches ekliges aus Bornirtheit Neid und Gemeinheit gebildetes Ding, das man bei Euch drüben wohl nur dem Namen nach kennt“. Deimel, der in den achtziger Jahren sehr wohl noch amerikanische Judenhasser beobachtet hatte, nahm nach der Dreyfus-Affaire „alles zurück, was über meine jetzige Heimat an Schmähungen jemals habe in die Feder fließen lassen“, und lobte sich Ende des Jahrhunderts seine „Republik“, in der „eine so schmutzige Sache wie der Antisemitismus zu den Unmöglichkeiten gehört“ – ein anschaulicher Fall von wishful thinking. Dieser idealistische Proamerikanismus erlitt zu Beginn des Ersten Weltkriegs einen harten Schlag durch das angelsächsische Mißtrauen gegenüber den Deutsch-Amerikanern, eine „dummgemeine Haltung“. In allerbester Absicht und fatalem Übereifer gab er im Oktober 1914 einen Brief Schnitzlers zur Lage in Österreich an die New Yorker Staatszeitung weiter. Das Schreiben erschien vollkommen entstellt, und Deimel mußte, verdattert und schuldbewußt, auf Schnitzlers Proteste reagieren (seltsamerweise wurde auf den Abdruck des Brief-Originals verzichtet). Amerikas Kriegseintritt zu Ostern 1917 versetzte Deimel, der sich längst „ohne alte und ohne neue Zugehörigkeit“ gefühlt hatte, in einem gänzlich unlösbaren Loyalitätskonflikt. Nach dem Ende dieser „Weltkatastrophe“ gab es bei Deimel keine Siegesmeldungen mehr.

Die Serie von privaten Schicksalsschlägen, die ihn traf, hat Deimel lange nur wie nebenbei erwähnt. Im Lauf seiner Jugend verlor er drei Brüder und eine Schwester durch Tuberkulose, von seinen eigenen sieben Kindern starben vier in jüngsten Jahren. Erst danach schüttete er brieflich sein Herz aus: Eine seiner drei verbliebenen Töchter wurde mit fünfzehn verführt und geschwängert, eine andere von ihrem Bräutigam verlassen; sie erlag im Alter von sechsundzwanzig einer unsachgemäßen ärztlichen Behandlung. Während Deimel selbst auf seine frühen dichterischen Ambitionen verzichtete und sich der Prosa der amerikanischen Verhältnisse stellte, spricht Schnitzlers Autobiographie durchaus zutreffend von den „Romanen“ im Hause Deimel. Diese Niederlagen sind noch Stoffe der Alten Welt. Deimels Briefe erzählen sie auf anrührende Weise.

Heinz P. Adamek In die Neue Welt…
Arthur Schnitzler – Eugen Deimel. Briefwechsel.
Wien: Holzhausen, 2003.
280 S.; brosch.
ISBN 3-865493-074-7.

Rezension vom 08.09.2003

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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