Von einigen gleißend heißen Sommertagen am Hagebuttenberg wird in Immerjahn erzählt. Im Roman der 1981 im Burgenland geborenen Autorin, die bereits mehrere Kurzgeschichten veröffentlichte und 2012 mit dem Wartholzpreis ausgezeichnet wurde, dreht sich jedoch nicht alles um die nahende Eröffnung, vielmehr wird dank zahlreicher Rückblenden die Lebensgeschichte des mittlerweile über 50-jährigen Kunstmäzens Immerjahn geschildert. Gleichzeitig diskutiert der Roman existentielle Fragen über die Funktionen von Kunst für Gesellschaft und Individuum sowie über das Verhältnis von Kunstwerken und Geld. Als Katka, Immerjahns Ehefrau, etwa einen echten Jackson Pollock auf einem Flohmarkt entdeckt, stellt sich für Immerjahn folgende Frage: „Ein Original aus Bergen von Schrott. Sie hatte ein Gespür dafür. Und er wusste nicht, ob für Kunst oder Geld. Oder ob das das Gleiche war.“
Wenig überraschend ist die Konstellation und Charakteristik der Figuren angelegt, sie entsprechen den Stereotypen wohlhabender Bourgeoise samt Personal. Immerjahn verliebte sich einst in die schöne Kantinen-Mitarbeiterin Katka aus einfachen Verhältnissen, die für Maler Modell stand, mittlerweile konsumsüchtig ist und über eine Sammlung von Christian Dior Kleidern aus den vierziger Jahren verfügt. Die nahende Eröffnung der Ausstellung sehnt sie herbei. Sie würde, vertraut sie Immerjahn an, in einem „elfenbeinfarbenen Kleid“ mit „einer Tasse schwarzen Kaffees“ zweimal am Tag in den Ausstellungsräumen auftauchen, gut sichtbar für alle Besucherinnen und Besucher.
Ihr gemeinsamer Sohn Raffael lebt zurückgezogen und widmet sein Leben dem Schwimmsport. In der Villa wohnt zudem der launenhafte Architekt Holm, eine Art Ziehsohn von Immerjahns Vater, die wohlmeinend-strenge Haushälterin Frau Manzur und der unter der Arbeitsbelastung leidende Hausmeister Marek. Der mit dem Ehepaar befreundete Künstler Fritzwalter, der im Laufe des Romans ebenfalls auf den Hagebuttenberg zieht, entspricht gängigen Künstler-Klischees, er ist egozentrisch und über den Verdacht, Affären mit verheirateten Frauen zu haben, nicht erhaben. Die Wesenszüge und differenten Wahrnehmungen aller Figuren sind von ihrem Umfeld geprägt, keine Figur fällt aus der Reihe.
Bei Immerjahn handelt es sich um den Inbegriff des reichen Erben und Kunstmäzens. Seine Identität baut auf dem Besitz von Kunstwerken auf, seine Wahrnehmung, wie auch jene seiner Familie, ist von den großen Werken der Bildenden Kunst dominiert. Als er seine Assistentin beim Sex mit zwei Männern entdeckt, heißt es: „Er ärgerte sich, dass es ihm kaum gelang, den Anblick der drei abzuschütteln, wie sie vor seinem Bett gestanden waren, als versuchten sie, die Laokoongruppe darzustellen.“ Das Bild lässt ihn nicht los. Ebenfalls ist seine Wahrnehmung des eigenen Sohns bei der Teilnahme an den Olympischen Spielen von der eigenen Welt der Bilder geprägt. Als er seinen Sohn beim Start via Fernsehübertragung sieht, bleibt sein Blick gedankenverloren an dessen Tattoo, das einen Schwarm von Fledermäusen darstellt, hängen. Überaus erleichtert stellt Immerjahn fest: „Raffaels Tattoo war, verglichen mit denen der anderen Schwimmer, einem verdorrten Zweig umkränzt von lodernden Blättern über dem Herzen und einem diabolischen Augenpaar auf einem Knöchel, noch das stilvollste, aus dem sich, er würde, wenn er wieder zurück wäre, mit ihm darüber reden, sehr einfach Goyas Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer machen ließe.“ (Vgl. Leseprobe)
Einige Spielarten der vollkommenen Durchdringung des individuellen Lebens von Gemälden und Wohlstand werden in Immerjahn erprobt. So hatte es sich etwa Immerjahns Mutter zur Leidenschaft gemacht, „flämische Stillleben in der Eingangshalle auf einem Beistelltisch, wie das ihre Freundinnen mit Blumen taten“ zu arrangieren. Kein Aufwand ist ihr zu hoch für möglichst originalgetreu nachgestellte Bilder: „Belegte zur Herstellung von Giorgio Morandis Stillleben einen Töpferkurs (…). Schnitt die Blätter eines Straußes Sonnenblumen, die etwas zu spitz gewachsen waren, mit der Nagelschere rund (…).“ Wie Immerjahn und Katka scheint auch Immerjahns Mutter überwiegend mit sich selbst beschäftigt zu sein. Identitätskrisen machen einem Großteil der reichen Hagebuttenberg-BewohnerInnen zu schaffen. Letztlich handelt der Roman von Einsamkeit und Verblüffung über das eigene Leben.
In ihrem Romandebüt verknüpft Barbara Zeman gekonnt zahlreiche Erzählstränge rund um die Kunstsammler-Familie Immerjahn mit essayistischen Exkursen über einzelne Künstlerinnen und allgemeine Fragestellungen zur Kunst. Das Vergnügen am Detail in Kombination mit dem ausgeprägten Stilgefühl und der Lust ausgedehnt zu fabulieren machen Immerjahn zu einem erfrischenden, ungewöhnlichen Leseerlebnis.