Das Setting des Romans Im Vorgarten der Palme mutet daher bekannt an: Vater, Mutter, Kind im Einfamilienheim, dazu ein Garten und zwei Autos vor der Tür. Haus an Haus reiht sich hier am Stadtrand oder auf dem Land, wo sich die Nachbarn, den Rasen gießend, über die Grenzhecken hinweg begrüßen.
Viel mehr an Handlung wird von den Nachbarn oder anderen Mitmenschen kaum eingebracht, denn der 185 Seiten umfassende Roman beschränkt sich überproportional in personaler Erzählperspektive auf die akribische (Selbst-)Beobachtung eines jungen Familienvaters, der prophetisch Leidegger genannt wird. Die enthaltenen Dialoge ließen sich auf einige wenige Seiten zusammenfassen und die Handlung, die sich auf sieben Tage im Leben der Leideggers beschränkt, ist schnell umrissen: Ausgelöst von der Textnachricht „Herzlichen Glückwunsch, K.“ (7) auf dem Mobiltelefon des Protagonisten, die seine Frau Martina unvermutet liest, entwickelt sich ein Eifersuchtsdrama, das Mann und Frau mehr oder weniger wortlos ausfechten. Im Mittelpunkt stehen die stummen Gedankenströme Leideggers zwischen Garten, Büro und Fußballplatz, der nichts als den hilflosen Kampf gegen den Untergang des erst jüngst gestarteten Unternehmens „Familie“ zum Inhalt hat. Das Paar mit dem fast neugeborenen Kind verdächtigt, belauert und bestraft einander sprachlos. Dadurch wird selbst der unbedeutendste Handgriff zur übermächtigen Demonstration feindlichen Desinteresses am anderen. Leideggers groteskem Manövrieren zwischen dem Selbstzweifel und der Vorspiegelung von Tatkraft liegt die wilde Unentschlossenheit zwischen Angriff und Verteidigung zugrunde. Nur mühselig konstruiert er eine zur Schau gestellte Normalität, die wie ein Kartenhaus zusammenbricht, sobald die Gegnerin Martina, „die einmal seine Frau war“, nicht seiner Vorstellung entsprechend reagiert. Da Martina in ihrer Eifersucht nicht minder befangen ist und Leidegger unfähig, den entscheidenden Schritt – in die eine oder in die andere Richtung – zu tun, bleibt es beim Tanz um den heißen Brei zwischen Türschwelle und Vorgarten.
Optimistisch Gesinnte werden dennoch eine Wendung im schier ausweglosen Kampf der Geschlechter erwarten, möchte man das Ganze doch als „normalen“ Ehestreit abtun. Doch verheißt die permanente Wiederholung der Leideggerschen Selbstmarterung nichts Gutes und jeglicher Optimismus – für den die kurz auftretende Schwiegermutter steht – fällt in sich zusammen. Die Verteidigungshaltung Leideggers wird angesichts der festgefahrenen Situation immer panischer und die Äußerungen seiner Unentschlossenheit immer vielfältiger. Es ist die Rede vom Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt (109), und man fragt sich, wann das Paar wohl damit begonnen hat, dieses Fass zu füllen, sodass es ausgerechnet jetzt, nach der Geburt des gemeinsamen Kindes so randvoll ist. Und obwohl Leideggers „Gedankenmaschinerie“ (112) Seite für Seite minutiös arbeitet, wird er keine Antwort auf diese Frage geben können. Immer lauter wird seine Sprachlosigkeit, alles schreit bereits in aller Stille. Irgendwo muss Leidegger in seinem Leben die falsche Abzweigung genommen haben, die ihn jetzt in den biederen Anzug zwängt, die ihn in einen langweiligen Büroalltag führt, die ihn im Garten auf die Knie zwingt, um für seine geliebte Palme eine Einfriedung zu bauen. Aufrecht steht die Palme auf unsicherem Boden, ihre Neigung ein Gradmesser seiner Seelenstärke. Niemandem ist es erlaubt an ihr rühren, damit nicht etwa der tiefe Morast begrabener Wünsche alle Haltung zunichte mache.
So sprachlos die Protagonisten, so sprachvirtuos ist Bernhard Strobel. Er erweist sich auch im Roman als Meister innerer Befindlichkeiten, die in ihrer Analyse lachhaft monströs erscheinen, nur dass die Abfolge vorsätzlicher Lügen, abgebrochener Dialoge, hingeworfener Drohungen und versuchsweiser Versöhnlichkeit mehr qualvoll denn amüsant erscheint. Wort für Wort, Szene für Szene gräbt der Autor unerbittlich nach einer inneren Wahrheit, die hinter all dem Lebensmüll versteckt liegt und unheimlich und leise brodelt.