#Lyrik

im schwarz blühen die schönsten farben

Regina Hilber

// Rezension von Redaktion

Die Region Prekmurje im Nordosten von Slowenien bildet mit Ungarn und Österreich ein Dreiländereck, das aufgrund der peripheren Lage dieser Regionen in ihren Ländern auch als Dreirändereck bezeichnet werden könnte. Grenzen und Ränder haben oft eine bewegte Vergangenheit und eine stille Gegenwart. Grenzen und Ränder sind immer gute Orte für Gedichte.

Einen eindrucksvollen Beweis dafür liefert Regina Hilbers neuer Lyrikband, das poetisch überaus dichte Ergebnis ihres zweimonatigen Aufenthaltes dort. Filigran und zugleich kräftig präsentieren sich die Gedichte, ebenso filigran und kräftig auch die Offsetlithografien von Claudia Berg, die damit eine optimale Entsprechung zu Hilbers Texten sind, und die aufwendige bibliophile Gestaltung des Bandes durch die Edition Thurnhof von Toni Kurz bietet einen adäquaten Entfaltungsraum: Ein Schwarz-Weiß-Druck, der die Verse und Bilder buchstäblich in schönsten Farben erscheinen lässt.

Im Zentrum des Bandes steht der zwölf Gedichte umfassende Zyklus „prekmurje“, in dem Dörfer und Städte der Region wie Ptuj, Murska Sobota, Ižakovski, Noršinci und Kostanjevica als Ausgangspunkte genommen werden, um die Landschaft, eine Herbstlandschaft, in ausdrucksstarken und präzisen Gedichten zu beschreiben – eine Art poetische Kartografie, in der die Verse wie Höhenlinien wirken. Fotografisch genau und farbenreich wird der Herbst mit dem schon in der Luft liegenden Winter festgehalten, und dies bereits in den ersten Versen des als Prolog oder Präludium erscheinenden Eröffnungsgedichtes des Bandes: „himmelblau und schneeweiß / hand in hand“ (5). Blau ist dann auch im weiteren Textverlauf die leitmotivische Farbe: „blauhorizonte“ (5), „nie gesehnes eisblau“ (12), „blauzackige wolken“ (17), „aus der ferne blau die mura“ (17), „aus diesem augenblau gerinnt keine sehnsucht“ (23). Den poetischen Höhenlinien sind aber nicht nur Farben eingeschrieben, sondern auch Stimmungen, Gefühle und Einsichten, nicht zuletzt auch die Suche nach Spuren der Vergangenheit: „an vierundvierzig erinnern keine hortensien und rosen“ (22).

Der „prekmurje“-Zyklus orientiert sich in seinem Aufbau am slowenischen Nationalgericht Prekmurska gibanica, einem Schichtkuchen, der den Apfel-, Topfen-, Nuss- und Mohnstrudel zu gleichen Teilen in sich vereinigt und aus ausgezogenem Strudelteig und Mürbteig besteht. Darin werden die Landschaften gespiegelt und die Elemente dieser Gegenden fungieren gewissermaßen als Zutaten, die teigartig vermengt werden, letztlich auch mit dem betrachtenden und erlebenden Selbst:aus diesem apfelbaum vom westgelichteten hügel wird / deine gibanica zur vierzehnten tollkirsche heranreifen / den mohn haben die dohlen gestreut lange schon bevor / der vorige winter kam um die säumlige heimzuholen“ (23). Das Vermengen bedeutet aber kein Vermischen und Verwischen, vielmehr werden die Teile der Landschaft, die Sprengsel und Splitter glasklar zu einem vielschichtigen Kaleidoskop zusammengefügt, in dem sich das lyrische Ich auch spannungsvoll bricht. Mit Formkongruenzen wird die Drastik der Bilder verstärkt, wenn etwa der Schatten an der Wand als Krokodil erscheint („krokodile an den wänden / nachts im umrissschlafen“, 10). Demselben Gestaltungsprinzip folgen auch die Gedichte nach dem „prekmurje“-Zyklus, in denen Ljubljana, Prag und Wien mit Hoffmanns Villa und der Zacherlfabrik in Döbling als Orte der Rückkehr hinzutreten. Auch das Anagramm dient als wirkungsvolles, bis auf die Buchstaben gehendes Mittel im dichterischen Schichtungs- und Umschichtungsprozess: „glassaerge auf tundragras / graues drangsal grastaufe / arg auf stur an glasdragees / drang arges faules taugras“ (31).

Die Landschaften werden somit nicht als Ansichtskartenmotive präsentiert, sondern als Folien, die permanent mit tief gehenden poetischen Mitteln hinterfragt werden: „herbstlicht prahlt nicht / herbstsonne strahlt nicht“ (19). Die Menschen sprechen als abstrakte Namen der Orte, in die sie sich zurückgezogen haben oder aus denen sie fortgezogen sind: „ich bin dein minutenglück flüstert / ptuj … (7), „ich bin dein wortinstrument insistiert / moravske toplice …“ (10), „ich bin deine fallgrube warnt / ižakovski …“ (11). Dies vermittelt dem lyrischen und lesenden Ich auf beklemmende Weise nicht nur herbstliche Tristesse, sondern auch Stillstand: „herbeigesehntes telegramm / akkurat steht still das licht / das wesen / der satz / am anfang“ (7, siehe Leseprobe). Ein Stillstand aber, der in der Lektüre einen anregenden Strudel aus unzähligen Komponenten erzeugt, getragen von einem Rhythmus, mal sanft und mal aufrüttelnd wie der Wellengang der Mur.

Regina Hilber im schwarz blühen die schönsten farben
Lyrikband.
Offsetlithographien von Claudia Berg.
Horn: Edition Thurnhof, 2011.
40 S.; brosch.
ISBN 978-3-900678-11-1.

Rezension vom 12.03.2011

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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