#Prosa

Ida H.

Werner Kofler

// Rezension von Wolfgang Straub

Es scheint vorerst schwierig, einen „frühen Kofler“ zu lesen, ohne daß seine Trilogien im Hinterkopf herumspuken (die „große“ Trilogie: „Am Schreibtisch“, „Hotel Mordschein“ und „Der Hirt auf dem Felsen“; die „kleine“ mit „Dopo Bernhard“, „Manker“ und „Zerstörung der Schneiderpuppe“), zu prägend scheinen seine beißenden Satiren und Schurkenstücke zu sein.

Aber die nun vom Deuticke-Verlag in seiner neuen Reihe „LeseZeichen“ wieder zugänglich gemachte „Krankengeschichte“ (so der Untertitel) Ida H. aus dem Jahre 1978 schlägt einen gänzlich anderen, für den „Erstleser“ neuen Ton an. Schon die ersten Seiten machen diese Andersheit klar. Hier wird in einer kühlen, ruhigen Bestandsaufnahme („Steinhof, von außen“) die Topographie der Wiener „Landesheil- und Pflegeanstalt ‚Am Steinhof'“ vorgestellt und der Umgang mit „Geisteskranken“ im Allgemeinen abgehandelt: „Patienten sind Menschen, deren Existenz, deren Identität von Ärzten und Gerichten verwaltet wird – ‚im Interesse der Patienten‘ gegen diese. Die Patienten des Steinhof haben kein Recht, in ihre eigene, wenn auch von anderen geschriebene und als Akt angelegte Krankengeschichte Einsicht zu nehmen.“ Die Stoßrichtung ist bald klar: hier soll fernab affektierter „Sozialkritik“ am Faktischen festgehalten und quasi dessen normative Kraft gegen die Mißstände gewendet werden. Denn daß der Autor kein Freund des Zustands der Psychiatrie seiner Zeit ist, wird schnell klar. Und so begnügt sich Kofler meist damit, Wörter ausstellend zu zitieren (wie oben „Krankengeschichte“), sie wörtlich zu nehmen – diese Technik des gezielten, genau kalkulierten, sozusagen „scharfen“ Zitierens wird der Autor ja bis in die Gegenwart beibehalten.

Ida H. ist tatsächlich eine Geschichte, zwar keine durchgehende, sondern eine in Einzelteilen, Puzzlestücken vorgeführte, aber der Erzähler wirft den Leser – wie man es als Kofler-Leser sonst in Kauf nehmen muß – nicht aus dem Text hinaus. Man kann sich also durchaus eine „Krankengeschichte“ zusammenreimen. Vermittler dieser Geschichte ist Herbst, „ein glückloser junger Autor“, der zusammen mit Fallenbigl, einem „Undergroundfilmer“, eine Sequenz über das Psychiatrische Krankenhaus Am Steinhof plant. Doch dieses Filmprojekt tritt schnell in den Hintergrund. Übrig bleibt die Auseinandersetzung mit der Biographie Idas, die Wohnung Herbsts und seine Familie ist ein immer wieder aufgesuchter, dann wieder Hals über Kopf geflohener Zufluchtsort der „Schizophrenen“. Während dieser sporadischen Besuche verlegt sich Herbst zunächst aufs detailgenaue Beobachten Idas, später versucht er auch, mit Interviews ihre Persönlichkeit zu ergründen – als „Rückblenden“ sind sie quasi in Form von Abschriften von Tonbandaufzeichnungen wiedergegeben. Dadurch erhöht sich der Eindruck der Authentizität, man hält es durchaus für möglich, daß es diese Ida H. „wirklich“ gibt.

Kofler ist bemüht, das „Ergründen“ einer schizophrenen Persönlichkeit nicht in den Vordergrund zu stellen, es geht ihm weniger um Empathie denn Dokumentation. Man liest immer wieder von „Wohngemeinschaften“ und mag darin eine Zeitgebundenheit des Textes sehen, aber mit der in den Siebzigern forcierten „Gesellschaftskritik“ hat das nichts gemein, es gibt keine „Botschaft“ oder eine sich aufdrängende Intentionalität. Alles in allem besticht die Prosa durch Dichte und Präzision, die „O-Ton-Passagen“ sind sehr genau und „lebensecht“ gearbeitet.
Aus diesem runden Gesamteindruck fallen nur zwei Passage heraus: das Kapitel „Amok und Harmonie“ versammelt eine Reihe von Chronik-Berichten (ein wenig an Bernhards „Stimmenimitator“ erinnernd) – Gerichtsanhänglichkeiten sind ja ein Faible Werner Koflers -, nur lose mit der „Krankengeschichte“ verbunden durch die Tatsache, daß Ida es ebenfalls mit dem Gericht, mit einem Entmündigungsverfahren zu tun bekommt. Ähnlich willkürlich wirkt auch der Einschub mit der Vorführung der Methoden und des Stils der „Brunnenzeitung“. Beides soll wahrscheinlich eine Folie, vor der Idas Geschichte gesehen werden kann, abgeben; in dem unaufgeregten, ruhigen Abhandeln des Schicksals Idas und der Offenlegung des Sprachgebrauchs beim Umgang mit psychisch Kranken nehmen sich die beiden Einschübe allerdings als Fremdkörper aus.

Geschickt komponiert erscheint, daß die konkretesten Abschnitte an das Ende des Buches gestellt sind. Erst dort erfährt man etwas über „Steinhof, von innen“ („Verwahrung und Verwahrlosung“), erst dort kommt es zu einem „Auftritt der Eltern“. Und dort steht auch eine „Selbsteinschätzung“ Idas, die ihre Situation genau und exakt beschreibt, aber auch meint, „’s absolut nix Schlimmes“. Ein Grund, warum sie nun ein „Grenzfall“ sei, liege daran, daß es niemand akzeptiere, daß sie „eigentlich am liebsten meinen ganzen Tagesablauf im Bett“ verbringe. Das klingt außerordentlich gesund und vernünftig. „Im Bett ist es am gemütlichsten.“

Werner Kofler Ida H.
Eine Krankengeschichte.
Wien, München: Deuticke, 2000.
192 S.; brosch.
ISBN 3-216-30517-1.

Rezension vom 04.04.2000

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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