#Theater

Ich Zarah oder Das wilde Fleisch der letzten Diva

Franzobel

// Rezension von Lydia Haider

Wichtig ist, an erster Stelle zu betonen: Diese Betrachtung geht allein vom gedruckten Text aus. Dass bei einem zur Aufführung gedachten Stück die bloße Lektüre nicht ausreicht, mag ein berechtigter Kritikpunkt sein. Wer jedoch an der konkreten Umsetzung, also der Inszenierung interessiert ist, sei hier auf einschlägige Besprechungen verwiesen.

Dies nur zur Klarstellung. Doch nun zum Text selbst: Es stellt sich vorweg die Frage: Was ist dieses Stück überhaupt? Ist es eine Posse? Ist es ein Lehrstück, ein politisches? Ein die NS-Zeit aufarbeitendes Stück? Ein phantastisches Drama, da hier Naturgesetze außer Kraft gesetzt werden? Oder schlicht ein Stück, das sich dem Thema Kunst, den Kunstschaffenden und ihren Motiven widmet? Vermutlich ist es dies alles – und auch nichts davon. Und genau das macht den Text auch so stark: Er lässt sich genremäßig nicht festnageln, so wie auch im Hinblick auf die Hauptfigur Zarah Leander keine fixen Aussagen getroffen werden können. Denn: „Wir sind ja nur das, was die anderen in uns sehen.“ So sagt es Zarah am Ende des Stücks, und dies trifft auch auf den Text und seine Form zu. So verbinden sich die Frage nach dem Genre und jener, wer genau diese Zarah Leander überhaupt ist. Doch wie klar kann so ein „Bild“ – auch wenn es noch so viele Informationen zur Person gibt – sein? Genau dieser Frage geht auch der Text als oberster Prämisse nach.

Zarah Leander, die „allerletzte Diva“ (S. 16), die „Reichsgemütssirene“ (S. 20), erkennt, obwohl ihr Lazarus prophetisch ankündigt, was die Nationalsozialisten verbrechen werden, die Gefahren nicht: „Ich sehe nichts, was an diesen Nazis schlecht sein soll.“ (S. 42) Lazarus verkörpert das Gewissen: Zuerst wird er nur von den anderen Figuren als solches bezeichnet (S. 42), in einem versucht aufklärerischen Duktus will er Zarah mahnen. Wenig später benennt er sich selbst als „der andere“ (S. 65), dann als der Bruder des zuerst aufgetretenen Gewissens, als das „schlechte Gewissen“ (S. 68), und letztlich als „Sensenmann“, als „Boandlkramer“ (S. 70), der alle abholt. Denn: Zarah und ihre Weggefährten versuchen, sich die Zustände kleinzureden (S. 53), strozen nur so vom Unwissen der Zeit, vom Größenwahn und einem endlos sich wiederholenden Herausreden. „Als Künstlerin muss man verrückt sein. Für uns gelten andere Gesetze.“ (S. 21), und so „schön“ sich das auch als allgemein für die Kunst geltend anhört, so ähnelt es doch im NS-Kontext und im Fall der Zarah Leander einem heuchlerischen Opportunismus.
Lazarus erkennt dies und richtet Zarah (hier bereits als der Sensenmann): „Du willst deine Fehler also nicht einsehen? Dann wir es Zeit zu gehen.“ (S. 70) Hier lässt sich ein Vergleich zum Lehrstück ziehen, auch könnte es als Vergeltunsschlag ausgelegt werden, als Rache des Gewissens, jedenfalls herrschen belehrende Tendenzen vor, denn, wie Lazarus besserwisserisch anmerkt: […] man kann sich auch entscheiden.“ (S. 75) Jedoch: Auch das Gewissen liegt hier falsch. Spätestens mit dem Auftritt Marlene Dietrichs zeigt sich dies. Sie plagt ebenso ein schlechtes Gewissen und das Gefühl, versagt zu haben: „Ich hätte zurückkehren müssen nach Deutschland. Als Ufa-Star hätte ich die Macht gehabt, die Nazis zu beeinflussen. […] Doch ich konnte nicht. Millionen Menschen mussten sterben, weil ich zu feig gewesen bin.“ (S. 76) Es handelt sich hier um die letztliche Auflösung der Kategorien richtiges/falsches Handeln, generell jeglicher Dichotomien in diesem Zusammenhang, an denen auch Lazarus scheitert.

Zarah erkennt am Ende: „Nur wir selbst wissen, ob unsere Sache eine gute ist oder nur ein Feigenblatt.“ (S. 76), obwohl sie auch dies wieder relativiert, da sie am Ende alle erschießt, und sie unterstreicht dieses Sich-Hinwegsetzen auch mit einem ihrer Lieder, mit „Schatten der Vergangenheit“. Acht Lieder werden (meist am Ende eines Aufzugs) eingesetzt, um die davor getätigten Aussagen zu entlarven, um sich selbst zu unterwandern. Die eigentlich einlullenden und gelassenen Lieder wirken dann entblößend, lassen die Realität und die Welt hart aufeinanderprallen. So erklingt etwa im Aufzug 1936 nach sehr naiven und befremdlichen Gesprächen der Zarah mit ihren KollegInnen die Emigration, die Konzentrationslager und den Antisemitismus betreffend das Lied „Davon geht die Welt nicht unter“.

Sieht man vom leider sehr schlampigen Korrektorat ab, bleibt ein Text, der für die Theaterwelt und das Publikum verständlich attraktiv ist: keine ausufernde Besetzung als Vier-Personen-Stück, worin jeweils eine Person viele Figuren darstellen muss (und damit auch Distanz zu diesen schafft); Lieder, die auflockernd und gleichzeitig unterwandernd wirken; spontane Rollenwechsel mit einhergehenden unerwarteten Bewegungen; durch Zeit- und Ortssprünge erhöhte Dynamik, und damit auch etwas Absurdes und Avantgardistisches; und natürlich Witz, also etwas zu Lachen, trotz der Härte und Drastik der Thematik.

Franzobel Ich Zarah oder Das wilde Fleisch der letzten Diva
Theaterstück.
Mit Abbildungen einer Aufführung am Vorarlberger Landestheater.
Wien: Passagen, 2016.
80 S.; brosch.
ISBN 9783709202296.

Rezension vom 22.11.2016

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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