#Lyrik

ich spreche nicht

Magdalena Knapp-Menzel

// Rezension von Günter Vallaster

Vieles spricht aus dem kurzen Satz ich spreche nicht, der dem Band von Magdalena Knapp-Menzel den Titel gibt und ihn in sechs Sprachen übersetzt eröffnet, von denen eine, das Japanische, die deutsche Textstrecke bis zum Schluss begleitet: Verweigerung? Ja, aber vor allem in einem beschreibenden Sinn. Vielmehr steht dahinter die Feststellung, dass Mitteilung und Kommunikation meistens bis immer zum Scheitern verurteilt sind und sich in einem Geflecht aus Missverständnissen verheddern. Und vor allem, dass die Poesie die Lücken der Sprache beim Namen nennt und dadurch sichtbar macht oder wie es John Cage in „Silence“ in einem auch von Ernst Jandl gerne zitierten Satz beschrieb: „Ich habe nichts zu sagen, und ich sage es, und das ist Poesie wie ich sie brauche“.

Magdalena Knapp-Menzels dichte Wortfolgen, Satzpartikel und Sätze erzeugen von Anfang an einen Sog, der in den Text zieht, dabei nicht an der Oberfläche stehen bleibt, sondern in die Tiefe geht. Dabei tut sich der Leserin und dem Leser eine ganze Menge auf: eine Welt der Angst und des Schmerzes, Gedanken, die nicht durch den Kopf gehen, sondern rennen, immer wieder, perseverierend, fortlaufend auf der Stelle tretend, zum Ausdruck gebracht durch Wiederholungen, die die Beklemmung und die Ecken, in die das Leben drängt, vermitteln: „hab jetzt keine / hab jetzt keine / angst hab keine / angst hab keine / …“ (S. 5).

Der Text präsentiert sich über weite Strecken als Gedicht und fügt sich zu einem Langgedicht zusammen, er enthält aber auch viele narrative und dramatische Züge. Letztere finden sich vor allem in den Passagen, in denen die Sprache stark an das Mündliche angelehnt ist („ich rrrrrrrrrred jetzt nnnnnnicht mmmehr“, S. 3) und hier zeigt sich, wie bewusst und genau die ausgebildetete Schauspielerin Knapp-Menzel die Silben und Wörter zu gewichten und zu betonen weiß. „ich spreche nicht“ wäre auch sehr gut als Hörstück denkbar, das einen inneren Monolog oder vielmehr die Welt- und Gedankenfetzen, die durch den Kopf schießen, wiedergibt, artikuliert, zum Sprechen bringt, ihnen Klang und Raum verleiht.

Narrativ betrachtet erzählt der Text von einem Ich und wie es sich fühlt, wenn es über die Schwelle Welt tritt, konkret: über eine Treppe zur Tür hinaus stürzt, tramhapert „morgens fröh: aberbittdank!“ (S. 22), „da eine wolke sieben uhr früh / da eine rosa sieben uhr fünf“ (S. 30), nicht mit der Tür ins Haus, sondern mit dem Haus in die Tür fällt, sich mit übergestreifter Zwangsjacke der Lohnabhängigkeit auf den Weg macht, vor die sterilen Fertigteil-Gebäude der Alltagskommunikation tritt, deren Gesprächsfloskeln sie nur brüchig zusammenhalten: „bin ich doch gerührt jetzt“ (S. 10) – das meint auch gerührt wie Brei. Im weiteren Verlauf werden bekannte Zitate, vor allem die „Moritat von Mackie Messer“ aus Brechts „Dreigroschenoper“ eingeflochten und dabei verlagern sich die Verschiebungen in der Text-Tektonik von den Satzteilen immer mehr auf die Wörter selbst: Sie zerbrechen, zerbröseln und die übrig gebliebenen Partikel werden neu arrangiert zu spannungsgeladenen und dichten Assoziationsfeldern und Kürzestsätzen, die auch aus nur einem Buchstaben bestehen können: „tach, essi! n. dd, es haifischs flo.“ (S. 16).
Durch dieses Stakkato wird der Text noch weiter beschleunigt und wirkt wie ein Tonträger, der in einem Wiedergabegerät vorgespult wird und dabei bei nur halb gedrückter Forward-Taste noch hörbar ist. Durch die Auflösung der Wörter werden neue semantische Schichten freigelegt, was in gewisser Weise auch an die Technik der „Verschiebologie“ des futuristischen Dichters Alexej Krutschonych erinnert, wobei dieser die Wörter selbst unverändert beließ und sie im mündlichen Vortrag mit anderen Betonungen versah, was neue Sinnzusammenhänge begründete. Magdalena Knapp-Menzel geht aber noch einen Schritt weiter: Die Wörter zeigen sich auch im Schriftbild auf die für Neu-Arrangements notwendigen Elemente auseinandergenommen.

„Denn die einen sind im Dunkeln. Und die andern sind im Licht. Und man siehet die im Lichte. Die im Dunkeln sieht man nicht.“ Dieser bekannte, geflügeltes Wort gewordene Ausschnitt aus Brechts „Moritat von Mackie Messer“ liefert eine Folie für eingehende Sprachreflexion und Gesellschaftskritik, vorgeführt am Ich, in dessen Kopf dieses Zitat herumspukt. „wortwortel nixwortel“ (S. 19), das Wort als Füllsel, so wird die Sprache in Frage gestellt, Biblisches taucht dabei auf und wieder ab, darunter die letzten Worte von Jesus am Kreuz: „lama sabachtani“ (S. 8 und S. 44), oder der bekannte Ausspruch von James Bond „shaken not stirred“ (S. 23), im Zusammenhang mit „bin ich doch gerührt jetzt“ wiederum: gerührt zu Brei, mit „ausdärmen“, „ausnieren“, „ausmagen“, „ausleber“ (ebd.), also von der Welt ausgebeinelt und aus.

Sehr ausdrucksstark sind weiters die Passagen, in denen das Ich sich vor der Tür, auf der Straße bewegt, sich auf den Weg macht, versucht, sich zu orientieren und sich dabei immer wieder des Weges und der Position zu vergewissern, was durch eindringliche Wiederholungen beschrieben wird: „straße und dann die / straße und dann die / straße und dann die / …“. Eine Litanei des Alltagslebens, die sich wie Befehlszeilen eines Computerprogramms liest und am Schluss die Auflösung: „wss nd dn ds / wss“, was klangassoziativ an Wasser und DNS erinnert. Ebenfalls sehr suggestiv durch Wiederholungen beschrieben die Inventur des Ichs, die Kleider des Ichs, die Schichten des Ichs, die Körperteile des Ichs: „ich hab einen schal / ich hab eine mütze / ich hab eine mütze …“ (S. 38 ff.) und „ich hab einen mund / ich hab ein aug / ich hab ein aug / ich hab ein ohr …“ (S. 40). Und wieder die die Floskeln der Alltagskommunikation, die poetisch dicht und zugespitzt vorgeführt werden, „wortel“ für „wortel“, von der Autorin sehr plastisch dargestellt, indem beispielsweise Anführungszeichen als Platzhalter für X-beliebiges fungieren: „ist das “ “ / nein / ist das “ “ / nein “ (S. 30). Das ruft bei der Lektüre auch in Erinnerung, mit wieviel Nichtssagendem die Kommunikation angefüllt ist, wie viel davon Sagen um des Sagens willen ist, nach dem Motto: Ja, ich bin noch da, bist du auch noch da? Und alles ist gut.

ich spreche nicht ist eine Ich-Studie von höchster poetischer Dichte und Präzision. Angst, Beklemmung, Herzklopfen, das vermitteln auch die über das Buch verteilten wunderschönen Holzschnitte von Anton Manabe und in allen Abbildungen scheint als Motiv ein Harlekin zu stecken. In Knapp-Menzels Texten zeigt sich der Harlekin am deutlichsten in Form einer Katze: „wie dort ist im zimmer ein wohn im stadt / im zimmer ein siekatz im wohn mit kopfluft sa se sie / so su. // si.“ (S. 34). Dabei muss es sich um die Katze des „fröhlichen Wohnzimmers“ mit Namen „Suzie Traktor“ handeln, die in Abwesenheit der BewohnerInnen des „fröhlichen Wohnzimmers“, Ilse Kilic und Fritz Widhalm, von Magdalena Knapp-Menzel öfters beaufsichtigt und betreut wird. Katzengewandt geschrieben und gestaltet ist auch „ich spreche nicht“, das sich zum Schluss hin zu einer wunderbaren Verschiebung des Weihnachtsliedes „Stille Nacht“ verdichtet, die unter anderem Lateinisches („per aspera ad astra“), Ungarisches („igen“) und Andy Warhol („arhol“) zu Tage bringt (siehe Leseprobe).

Magdaena Knapp-Menzel ich spreche nicht
Gedichte.
Satz, Nachdichtung im Japanischen und Holzschnitte von Anton Manabe.
Wien: Herbstpresse, 2006.
48 S.; geb.
ISBN 3-900476-03-8.

Rezension vom 13.02.2007

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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