#Prosa

[Ich bin]

Milena Michiko Flašar

// Rezension von Claudia Peer

Wir saßen Ewigkeiten. Er erzählte von seinen Bildern. Wir machten Liebe und tranken Sekt. Wir rauchten eine Unmenge an verbotenem Stoff, und sein Zorn wurde der meine (oder war es schon). Wir riefen unsere Namen in die Sterne hinein und sangen die Hymnen der Nacht: Es lebe die Dekadenz! Es lebe die Bohème! Es leben die paar Zeilen Marx! Und wieder lagen wir verschlungen. Ein jeder in seinem Traum.

Das ist der Stoff, aus dem die erste und längste Erzählung dieses Buches, betitelt mit: „Im Zeichen des Feuers. Ein Stück lyrische Prosa“, gemacht ist. Schöne Studentenzeit, süßes Nichtstun! Hier würden wohl die meisten der heutigen Studierenden aufschreien: Wo bleiben die überfüllten Hörsäle, die Doppel- oder Dreifachbelastungen, die prekären Arbeitsverhältnisse und ungewissen Perspektiven? Aber derlei will (und muss) dieser Text nicht abarbeiten, nein, er schwelgt und fließt völlig losgelöst dahin in einem Verliebtheitsrausch, der besungen wird, nachdem der Spannungsbogen der Gefühle verebbt ist.

Laura, 26, betrauert das Ende der Beziehung zu Sre?ko. Sie will ihm und ihrer gemeinsamen Vergangenheit damit ein Denkmal setzen. Welch altbekanntes Motiv: der reife, versoffene, intellektuelle Künstler und das unreife Mädchen, das er – sexuell und mental – zur Frau macht. Der verkannte Meister und seine Bewunderin. Es wäre ein Leichtes gewesen, diese Konstellation der gegenseitigen Abhängigkeiten ironisch zu brechen. Es wäre sogar notwendig gewesen. So aber verharrt Laura in ernster, sehnsüchtiger Melancholie, die ein tieferes Eintauchen in die Geschichte immer wieder verhindert.

Nicht nur FeministInnen werden es kaum aushalten, wie sehr diese junge Frau den „ANTI-PRINZEN“, der sie „finden“ sollte, verehrt:
Ich habe aber jetzt ein Bild von mir, und ich glaube wirklich, allein deshalb hat alles Leid gelohnt. Allein deshalb werde ich Sre?ko mein Lebtag lang preisen. [Das sollst du wissen, Sre?ko. Das ist es, was ich dir immer sagen wollte. Und weswegen ich mich jede Nacht betrinke, um diese Geschichte zu einem Ende zu bringen.]
Erst mit fünfzig möchte sie mit ihm in Hausschuhen wandeln, in einem Burgen-Haus, „in dem er der König wäre“.
Warum nur denken Mädchen beharrlich, erst durch die Verbindung zu einem Mann zur Frau zu werden, und Männer durch den Vergleich mit einem anderen Mann zum Mann? Selbst im (vermeintlichen) Erwachsengewordensein ist Laura noch das Mädchen, das dem Mann die Füße küsst:
Du warst der Schlagbaum, an dem ich erwachsen wurde, und der Morgen, an dem ich erwachte! Du warst der Meilenstein in meinem Leben […] Kein Vergessen der Welt kann dich jemals entehren.“
Eine große erste Liebe eben. Über seine Seitensprünge wird nicht mehr gesprochen. Denn Laura ist großherzig, an das Gute glaubend. Brav. So ist auch immer wieder von Glaube, Seele, Gnade und Gott die Rede. Beim Ausruf: „Gott, er erhörte mich!“ wünscht man sich mehr Pragmatik – und allgemein wird man das Gefühl nicht los, dass es sich hier um ziemlich unreflektierte Autobiografie handelt.

In „Ništa, Ništa oder Die Puppenspielerin“ wird über eine Reise nach Beograd berichtet. Im Grunde geht es aber um die Reise eines lyrischen Ichs, das lyrischer nicht sein könnte, hinab in die Tiefen der eigenen Kindheit, zum großen Bruder, zur Puppe, zum Fallen aus dem „magischen Kreidekreis“ der Götter. Die Figur nennt es: „meine katholischen Entwurzelungen“. Das „Ich“ in diesem Text ist präsenter als der große, hübsche Gi?dra, von dem sich die in die fremde weite Welt Aufgebrochene die Tage und Nächte versüßen lässt. Alleinsein kann man später immer noch – und ganz so einsam will man es im Grunde dann ja doch nicht haben.
Auch in dieser Geschichte gibt es keine Brüche, keinen Humor, keine Leichtigkeit. Ein deprimierter Grundton der Sprache überschattet das Gegenständliche; ein geschmeidiger, egozentrisch-schöner Singsang hält vom Erzählen ab.

Mit ihrem dritten Text, „Go Far West. Eine Reise in Abhängigkeiten“, zeigt die 1980 geborene Flašar, dass sie durchaus Potential hat. Der Weinerlichkeit beraubt, entfaltet sich hier ihre etwas antiquiert anmutende, detailreiche Sprache zu einer geglückten runden Sache.
Es wird aus zwei Perspektiven erzählt. Von Rita und Paul, von ihrer Jugend – und ihrer platonischen Liebe. Stimmt: Das mit der Liebe und der Jugend hatten wir schon. Aber hier werden diese Themen mit mehr Distanz verarbeitet, die Stoffe fließen besser ineinander, die Figuren sind besser zu greifen. Rita, die sich aufmacht nach New York, Paul, der sich nun auf eine Mann-Frau-Beziehung mit Maria eingelassen hat. Ihre geschlechtslose Verbindung, die ihre Kindheit verlängert hat, müssen Paul und Rita endlich schmerzvoll hinter sich lassen. Doch der Aufbruch ins Neue klingt vielversprechend. Die ProtagonistInnen kreisen nicht nur um sich, sondern eröffnen ihren Horizont. So wird von einer Japanerin erzählt, die jahrzehntelang auf Parkbänken auf ihre einstige Liebe wartet, während dieser Mann schon längst ein anderes Leben begonnen hat. Eine Reminiszenz an Takeshi Kitanos Film „Dolls“ ist hierbei sicherlich nicht zufällig.

Bleibt nur zu hoffen, dass sich Rita in der großen fremden Stadt nicht sofort einen großen Jüngling schnappt, der sie ihrer angehenden Autarkie beraubt. Lassen wir sie sich selbst erleben – und Erfahrungen sammeln. Und der Autorin wünschen wir noch viele gute Geschichten.

Milena Michiko Flašar [Ich bin]
St. Pölten, Salzburg: Residenz, 2008.
144 S.; brosch.
ISBN 978-3-7017-1504-6.

Rezension vom 24.03.2009

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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