#Theater

hugo wolf und drei
grazien, letzter akt

Gerhard Rühm

// Rezension von Martin Kubaczek

Wie Rühm rühmen? Großmeister der Avantgarde, mit über achtzig Einzelpublikationen zwischen Graphik, Schrift und Musik, viele davon als Drucke ohne ISBN-Nummer in Kleinstverlagen – so entzieht man sich dem Zugriff des Mainstream, und behauptet sich doch als Exponent einer Avantgarde, die Rühm seit über sechs Jahrzehnten wesentlich mitformt und aufrecht hält: Als Musiker, Zeichner, Autor, Performer und Herausgeber insbesondere der Werke Konrad Bayers und der Wiener Gruppe.

Dem Ritter-Verlag ist nun ein neues Dokument dieses Schaffens zu verdanken, das sich weniger zwischen Genres setzt als synästhetisch-synthetisierende Regie betreibt. Schon die „einführung“ lässt sich so als Engführung zwischen den Künsten lesen, die auf Verflechtungen der Motive verweist: Hugo Wolf, Wahnvorstellungen und Frauen. Immer mit einbezogen ist die Mythologie, wie sie in den drei Grazien auftritt, das Launische im Spiel, basierend auf der Objektivität des Materials – hier drei Briefe Hugo Wolfs an seine Geliebten. Im Untertitel klingen dazu vier Künste an: „Spektrale Sprechoper“ vereint begrifflich Farbe, Klang und Sprache, Theatralisches und Musik.

Jeweils erstellt Rühm ein Inventar und streng reduziertes Sample, das sich intuitiv bestätigt sieht und doch rein technisch konstruiert: jeder der drei Frauen, neben der Kunst- oder Sprachfigur des in geistiger Umnachtung umgekommenen Komponisten, ordnet Rühm in seiner fünfstimmigen Fuge – er nennt sie ein „Redeoratorium“ – jeweils einen der fünf Vokale zu (siehe Leseprobe).

Zwischen präzisen Regieanweisungen, die bis hin zu Bühnenbild und szenischen Choreographien reichen, verfolgt Rühm äußerst genaue Vorstellungen. Der Text als Sprech-Partitur ist hier mehrstimmig synchron zu lesen, die Notation der pulsierenden Sprachlaute und Sätze erfolgt entlang einer rhythmischen Achse, Tonhöhen sind nur im Sonderfall angegeben (im synthetischen Vokal-Gesamtklang nach der Schlussszene). So wenig wie in Bayers kopf des vitus bering oder in Jandls Rilkes Schuhe geht es um die historischen Charaktere, dennoch sind diese mit ihrer Aura Impulse und zeigen in Verhaltens-Richtungen, ermöglichen das Spiel mit konkreten Bezügen wie hier im Fall der Biographie von Hugo Wolf. Die Kohärenzen, die sich teils unbeabsichtigt ergeben, sind jedenfalls überzeugend, und manches fügt sich fast verblüffend in Rühms Konzept: Die Vokale in „Grazien“, die sich jeweils in den Namen jener drei Frauen wieder finden, mit denen Hugo Wolf verbunden war, der Umstand, dass die Vokale den drei Schicksalsgöttinnen der griechischen Mythologie zu verdanken wären.

Der hochgebildete Dichter Rühm, der auch hier wieder Barock-Dichter zitiert und einen kaum bekannten Komponisten einbezieht (Antonin Reijcha, geboren 1770 in Prag), arbeitet zwischen Dokument und Fiktion mit Materialien aus Archiven oder Medien, ruft Trivial-Text ab, vermeidet Repräsentatives oder den literarischen Kanon, sondern sucht gemäß den Intentionen seiner Zeitgenossen in der Avantgarde das Abweichende, die Devianz, um so auf ein Bewußtsein zu verweisen, das sich nicht subsumieren lässt unter welche gesellschaftlichen Tendenzen immer. Reduktive Verfahren, Minimalismus und aleatorische Methoden werden eingesetzt, um so auf Sinnzusammenhänge zu stoßen, die sonst im Unterdrückten und Ausgegrenzten verborgen bleiben.

Rühm folgt keinen modischen Leitlinien, sondern zieht seine Interessen vielmehr tangential ab: Sie streifen den Raum der gehobenen Kunst nur, um ihre Protagonisten in einen artifiziellen Raum zu entführen, in dem sie zu Spiel- und Forschungsmaterial werden im Sinn eines Erkenntniszugangs. Die Sprach-Figuren des Stücks versuchen dabei nicht, realen Personen zu entsprechen. Für Rühm sind es vielmehr „retrospektive Projektionen“, mit denen er sein nicht-mimetisches Spiel betreibt, um etwas abzubilden, das über das Individuelle hinausgeht: Spannungen, Verhältnisse, Beziehungen. Man könnte von Intervallen in den Gefühlen und den Wirksamkeiten sprechen, die sich hier auf lautlicher Ebene im Material ablichten, denn hell bleibt auch der Text in seiner Form von einem Sprach-Quintett: Hugo Wolf wird, der späten Gespaltenheit und seinem Wahn entsprechend, eine Doppelrolle zugeordnet, und synästhetisch geht der Klang dabei durch die Stimmlagen vom Dunkelsten ins Helle.

Das Buch setzt selbst in Szene: Die Einführung entspricht dem Programmheft oder Impresario, dem Text als einer Mischung aus Anweisung und Beschreibung des szenischen Bildes und der Sprach-Notation folgt das Notenbild einer Fuga für Klavier des Komponisten Antonin Rejcha, die Vorlage für das Bewegungsmuster des Schlussbildes wird, und die Stimmen der auf ihren Vokalfarben basierenden Figuren enden auf einem langanhaltenden, verlöschenden „n“, während die Bühne in Schwärze übergeht und das Nachbild einer Utopie der Reinheit zurück bleibt: Sprache wird vom Gewicht der Semantik befreit, Leben gelöst von seiner Tragik und aufgehoben in Lichtregie, Figurativem, Gesten und Farben: „gesagtes verliert sich am ende im reinem klang“ („einführung“, S. 8)

Im Anhang folgen die drei Originalbriefe von Hugo Wolf, denen Rühm sein Material entnommen hat, und angefügt die Bemerkung zur Hörspielfassung – diese aber fehlt schmerzlich in einem Band, den mitzulesen doppelt Sinn machte, wenn man hören könnte, wie die Realisation wirkt; womöglich dann gar von Rühm selbst vorgetragen, fein gelöst und doch bestimmt, wenn er im Duktus des Erwägens Zugänge in Sprachräume zeigt, die zu eröffnen wenigen so gegeben ist.

Antonin Reijcha: 1770 in Prag geborenen, 1836 in Paris gestorben, wo er als Pädagoge und Komponist lebte. Rejcha (oder Reicha) ist einer der vielen Komponisten, die als absoluter Geheimtipp gelten, seine 36 Fugen für Klavier entstanden zur Zeit seines Wienaufenthaltes 1802-08 und sind dem hochbetagten Joseph Haydn gewidmet. Sie werden als ein „modernes wohltemperiertes Klavier“ gesehen, ein erstaunlicher Kontrast zu seinem Zeitgenossen Beethoven.

hugo wolf und drei grazien, letzter akt.
Performatives Bühnenstück.
Klagenfurt: Ritter Verlag, 2014.
72 Seiten, broschiert.
ISBN 978-3-85415-496-9.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 16.12.2014

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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