#Anthologie

How I fucked Jamal

// Rezension von Judith Gröller

Warnung! kann Spuren von Vögeln enthalten.

Die Poetry-Slammerin und Autorin Doris Mitterbacher aka Mieze Medusa und die junge Schriftstellerin Cornelia Travnicek haben sich zusammengetan und um sich „leise wie laute, explizite wie weniger explizite“ Texte über den „globalisierten Beischlaf“ versammelt. Die Beiträge stammen von jungen AutorInnen aus Österreich, Deutschland, der Schweiz, Slowakei und Russland. Dabei war den beiden Herausgeberinnen wichtig, dass sich unter den Namen NewcomerInnen genauso wie arrivierte SchriftstellerInnen finden. Über den titelgebenden Jamal schreiben Mitterbacher und Travnicek im Vorwort: „Jamal ist unsere Chiffre für das Fremde in unserem Bett, für das Unerwartete, das passieren muss, wenn es zum internationalen Austausch von Koseworten, Körperflüssigkeiten und Erwartungshaltungen kommt.“

 

Sex als literarisches Thema verweist auf eine lange Tradition, vor allem aus männlicher Perspektive: De Sade, Bataille, Nabokov, Miller, Roth. Spätestens seit Anaïs Nin und Catherine Millet („Das sexuelle Leben der Catherine M.“) rücken auch explizite sexuelle Darstellungen in literarischen Werken von Frauen in den Vordergrund. Die finden ihre Nachfolgerinnen in der Generation rund um Charlotte Roches „Feuchtgebiete“, die sich zu oft den Vorwurf des platten Erfolgsrezepts „Junge Frau, Sex und schmutzige Dinge“ gefallen lassen muss, in dem die Grenzen zur Pornografie verschwämmen. Vor allem aus (traditionell-) feministischer Sicht wird dieses Genre immer wieder kritisiert (Alice Schwarzers PorNo-Kampagne). Gerade diese konservative Kritik ist es aber auch, die traditionelle normative Vorstellungen von Sexualität reproduziert und somit die hetero-, homo- und bisexuelle Bandbreite pornografischer (literarischer) Angebote nicht berücksichtigt, monieren Queer Theory und sex-positive Feminism.

Tatsächlich sind traditionelle sexualmoralische Tabus in unserer Gesellschaft zum Großteil verschwunden, dieses Verschwinden wird von so manchen als Bedrohung von Lust und Begierde gesehen. Auch in aktuellen Literaturdebatten wird oft der inflationäre Einsatz von Sex kritisiert, so etwa beim diesjährigen Bachmannpreis-Wettbewerb. Dass dies aber nicht zwingend so ist und Sex nicht zur „literarischen Nagelprobe“ werden muss, beweisen die unterschiedlichen Zugänge der AutorInnen des vorliegenden Sammelbands. Denn hier wird nicht nur gevögelt, sondern es werden interkulturelle Kontexte geschaffen, in denen die 17 Kurzgeschichten eingebettet sind: Bei Clemens J. Setz‘ „Reise in die verbotene Stadt Circuncisión“ wird beschnitten und die eigene Männlichkeit in Frage gestellt. Markus Köhle und Johanna Wack gehen sexueller Ausbeutung auf den Grund, in Köhles „Nezaket“ wird diese lustvoll erlebt, aber nicht erfüllend, weil „der Held“ sich in seine „Ausbeuterin“ unsterblich verliebt hat; bei Johanna Wack geht es (auch) um Rassismus, wenn eine ach so tolerante Protagonistin in ihrer eurozentristischen Bigotterie entlarvt wird. An eine sozialistische Liebelei und die ersten sexuellen Annäherungsversuche zwischen einem ehemaligen tschechoslowakischen Pionier und einer ehemaligen DDR-Pionierin erinnert Michal Hvoreckys „Ein Tag am Meer“. Während wir gemeinsam mit der männlichen Hauptfigur in Jan Offs Kurzgeschichte „Abdrift“ dem horizontalen Gewerbe einen Besuch abstatten, erfahren wir in Sara Wipauers „Salz“ vom Innenleben einer Prostituierten.

Bei Thomas Ballhausen, Malte Borsdorf und Stefan Abermann werden die Territorien in Fern- und Nahbeziehungen abgesteckt, erobert und verteidigt. Die Texte der beiden Herausgeberinnen beschäftigen sich mit dem Sex mit Fremden bzw. dem Sex in der Fremde. Zwei der stärksten Texte stammen von Andrea Stift („Von selbst“) und Julya Rabinowich („Fremdkörper“): Die beiden Autorinnen finden ihre eigene Sprache um über Sex zu schreiben. Eine Sprache, die nicht nur vulgär oder obszön ist, denn das allein wäre zu wenig, oder zu viel, sie sind vielmehr so knapp an sich selbst dran, dass beim Lesen eine glaubwürdige Nähe entsteht, die niemals aufgesetzt wirkt und der man sich kaum entziehen kann oder will.
Dass das Medium des Sex respektive der Pornografie nicht unbedingt allein das des Bildes sein muss, dass es nicht nur auf Skandalisierung angelegt ist, sondern durchaus in der aktuellen Literatur seinen berechtigten Platz findet, zeigt diese ausgezeichnete Anthologie.

Mit Beiträgen von Stefan Abermann, Thomas Ballhausen, Malte Bordsdorf, Nadja Bucher, Michael Hvorecky, Markus Köhle, Jan Kossdorff, Mieze Medusa, Jan Off, Julya Rabinowich, Christoph Simon, Clemens J. Setz, Nadja Spiegel, Andrea Stift, Cornelia Travnicek, Johanna Wack, Sara Wipauer.

Mieze Medusa, Cornelia Travnicek How I fucked Jamal
Anthologie.
Wien: Milena, 2010.
197 S.; brosch.
ISBN 978-3-85286-188-3.

Rezension vom 17.08.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.