#Roman

Hotel Metropol

Fritz Lehner

// Rezension von Eva Magin-Pelich

Ankunft.

Die Sehnsüchte von Opfer und Täter Dieses Buch ist keine leichte Lektüre und keine Lektüre, die Spaß macht. Nein, Fritz Lehner macht es uns mit dem ersten Band seines als Trilogie konzipierten Romans Hotel Metropol ungeheuer schwer, die Aufnahme gelingt nur in kleinen Happen. Thema ist die Wiener Gestapozentrale im Hotel Metropol am Morzinplatz und dementsprechend ist die Sperrigkeit des Lesestoffs mit dem Titel „Die Ankunft“ dem Thema angemessen: Es geht um die Interaktion zwischen Opfer und Täter, um die Beziehung zueinander in der Situation des Verhörs.

Sie – die Sperrigkeit der Lektüre – ist angemessen wegen der Täter, die mit ihren Gefühlen und Wünschen für ihr eigenes Leben so alltäglich und doch so anders waren, weil sie sich mit Haut und Haar in der Ideologie des Nationalsozialismus verstrickten. Was heißen soll, auch NS-Täter waren zunächst Menschen wie wir. Doch es scheint, als hätten sie ihre Menschlichkeit aufgegeben, was alle jene, die solch einen Menschen in der Familie haben, als Trugschluss kennen. Denn als Vater, Onkel oder Großvater konnte so jemand sich als liebenswerter Mensch herausstellen, ein Widerspruch, der sich kaum erklären lässt.
Die schwierige Lektüre ist auch angemessen, weil das Leid der Opfer mit der Ungewissheit, die das Gestapogefängnis mit sich brachte, den Ängsten zum Tode verurteilt zu werden, der Einsamkeit der Haft, der Sorge um die Angehörigen draußen, der unerfüllten Sehnsucht nach menschlicher Wärme, nur in kleinen Dosen aufnehmbar ist. Sie ist angemessen, weil sich trotz dieser Haft- und Verhörbedingungen, oder gerade wegen dieser Situation, eine Beziehung zwischen Opfer und Täter entwickelt, es in beider Bewusstseinsströme Schnittmengen bei Gefühlen und Gedanken gibt.

Was sind die Eckdaten des Romans? Die Handlungszeit des ersten Bandes „Die Ankunft“ währt von August bis Dezember des Jahres 1944. Handlungsort ist die „allererfolgreichste Gestapozentrale des Reiches.“ Die Protagonisten sind zum einen Wolf Manhardt, Geheimer Staatspolizist oder „Referent“ bei der Gestapo, studierter Jurist. Auf der anderen Seite sitzt seine Gefangene Lilly Winter, eine junge lebenslustige Frau, deren Freund aktiven Widerstand leistet(e). Er ist das eigentliche Ziel Manhardts, der glaubt, über die Inhaftierung Lillys an Sigi heranzukommen.

Der Roman ist kein Roman im üblichen Sinne, der eine Geschichte fortlaufend mehr oder weniger spannend und interessant erzählt. Lehner lässt die beiden Protagonisten Tagebuch schreiben. Wolf Manhardt schreibt seines mit der Schreibmaschine auf Gestapopapier. Seltsamerweise ohne Angst vor einer Entdeckung, obwohl ihm klar ist, dass genau dies sein Todesurteil wäre. Lilly Winter kann ihres nur als „Herzensbuch“ schreiben, denn ihr ist jegliches Schreibwerkzeug verwehrt. Manhardt ist Lillys „Referent“, er verhört sie über Monate hinweg. Notgedrungen entsteht eine Beziehung zwischen den beiden ungleichen Menschen, zwischen Opfer und Täter.
Manhardt ist überwältigt von Lillys Schönheit, sieht sie als seine spätere Frau. Er macht sich vor, dass auch Lilly sich von ihm angezogen fühlt, dass ihr Widerstand nicht ihrer Überzeugung entspricht. Sein Tagebuch entlarvt ihn nicht nur als einsamen Menschen, sondern auch als geschwätzigen und ehrgeizigen Volksgenossen. Er ist geplagt von Neid auf den in der Hierarchie unter ihm stehenden Kollegen und Freund Bruno, weil dieser und nicht er, der Studierte und Klügere, eine Auszeichnung erhalten hat. Manhardt ist stolz darauf, kein Schlägertyp zu sein, sieht sich als den Psychologen mit der Kunstfertigkeit eines subtilen Verhörers. Lilly sehnt sich nach menschlichem Kontakt, bleibt sich aber immer ihrer Rolle bewusst, entwickelt eine ungeahnte Stärke. Egal wie sehr Manhardt ihr zusetzt, sie psychologischer Folter aussetzt, ihren letzten Trumpf behält sie für sich: Ihr Freund Sigi lebt nämlich gar nicht mehr. Das Zurückhalten dieser Nachricht, das ist ihr Widerstand.

Lehner gelingt es mit diesen Bewusstseinsströmen, die das Innere von Opfer und Täter widerspiegeln, eine unglaubliche Authentizität zu erzeugen. Man hat nie das Gefühl, einen Roman mit erfundenem Personal zu lesen, sondern meint, es mit wirklichen Personen zu tun zu haben. Und damit wird der Autor seinem eigenen Anspruch, das Hotel Metropol in der Fantasie des Lesers wieder aufzubauen, gerecht. Es ersteht vor dem inneren Auge als großes mächtiges Gebäude, man hört das Stiefelknallen und das Zuschlagen der Türen, die Klopfzeichen der Gefangenen.
Der gehbehinderte Manhardt ist der typische Mitläufer, der ohne die Gestapo ein Verlierer wäre und seine Stärke nur über seine Machtposition bezieht. Was ihm und der Gestapo hilft, sind aber die zahlreichen Spitzel, ohne die dieses System nicht funktioniert hätte. Auch Lilly ist damit ein zweifaches Opfer, denn die, die sie für ihre beste Freundin hält, deren Namen sie um nichts in der Welt nennen will, ist in Wahrheit schuld daran, dass sie auf der Liste Manhardts steht und von ihm verfolgt wird.

Und damit bringt Lehner auch die große Masse mit ins Spiel, er erinnert an die unbequeme Wahrheit, dass es nicht nur einzelne Täter gab. Eine Wahrheit, die auch heute noch nicht gerne gehört wird. Solange dies der Fall ist, solange muss es Literatur wie diesen Roman geben.

Fritz Lehner Hotel Metropol
Roman.
Wien: Seifert Verlag, 2005.
449 S.; geb.
ISBN 3-902406-19-4.

Rezension vom 17.10.2005

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.