#Roman

Hotel Fantasie

Martin Kubaczek

// Rezension von Helmuth Schönauer

„Wirklichkeit ist Flucht vor der Kunst.“ Nach so einem epochalen Motto stellt sich die Frage, ob man überhaupt den nachfolgenden Roman noch lesen soll, wenn schon alles gesagt ist. Aber es gibt noch weitere Überraschungen.
Einer der kürzesten Klappentexte der Publikationsgeschichte heißt: „Rie ist siebzehn, und ich bin ihr Lehrer.“ Diese Präambeln decken sich durchaus mit einem Klischee, das wir Europäer von Japan haben. Denn in Martin Kubaczeks Hotel Fantasie geht es vor allem um eines: Reduktion der Leidenschaft auf einen stummen Schrei.

Die Fabel ist trotz der üppig wuchernden Natur äußerst karg, ein europäischer Austauschlehrer verliebt sich an einer japanischen Schule in ein Mädchen. Als er erfährt, daß sein Posten eingespart wird, läßt er den Trieben freien Lauf. Eingebettet ist diese Liebesgeschichte in geografische und ergografische Erkundigungen rund um die Seele.

„Ich fülle die Landschaft auf mit meinen Fahrten.“ (S. 14) Der Austauschlehrer strampelt seine Freizeit als verrückter Radfahrer herunter, bisweilen strampelt er sogar im Traum und wundert sich am Morgen über Wadenkrämpfe. „Ich verbrauche vier bis fünf Liter Wasser pro hundert Kilometer.“ (S. 35) Eines Tages rechnet der verbissene Routenkalkulator aus, daß sich seine Touren stets konzentrisch um das Stundenhotel „Fantasie“ bewegen. Das Hotel kann man nur erreichen, wenn man den Ekel überwindet. Schrott, Abfall, Wracks, verklebte Scheiben und vernagelte Haupteingänge sind eine starke Prüfung für die von Lust und Leidenschaft Geplagten. Tatsächlich überlagern Bilder von sich paarenden Insekten, von Zikaden, die jahrelang im feuchten Boden auf einen Paarungssprung gewartet haben und von Biomüll aus Sperma und Schweiß die Fantasie des Lehrers, der sich umso heftiger an konkrete Wortfetzen klammert, die er hilflos als alt-europäische Litanei herunterbetet.
Selbst der geglückteste Geschlechtsverkehr geht zwischendurch in Hilflosigkeit über, sogar die Zeit bleibt hinter den Erwartungen zurück, „die Nacht ist noch nicht so weit fortgeschritten, wie wir gedacht hatten.“ (S. 90)

Da in diesem Roman viel von Schule, Schülerinnen und Lehrern die Rede ist, könnte man den Roman ja auch benoten. Die Noten fallen ausgezeichnet aus, weil die „japanische Reduktionskunst“ mit europäischen Bildern glänzend getroffen ist. Insekten, Bambus, Bachbett, Föhrenwald, Sandweg, Nadeln, Steinlagerplatz sind Begriffe, die gekonnt mit einem „japanischen Klang“ hinterlegt werden.
Wenn man unbedingt eine Schwachstelle finden wollte, dann ist es vielleicht die Beschreibung des weiblichen Körpers als Landschaft mit dem berühmten Busch, den es zu durchharken gilt. (S. 70) Seit Arno Schmidt mit Karl May und seinem sexuellen Busch mitten in der Schlucht abgerechnet hat, ist dieses Bild nicht mehr seriös verwendbar.

Hotel Fantasie erzählt von einer unendlichen Obsession, die durch diverse Mechanismen der Zähmung erträglich gemacht werden kann.
Wenn man als Leser künftig auf wild gewordene Radfahrer, unkontrollierte Insektenschwärme oder auswuchernde Vegetation trifft, weiß man, daß das „Hotel Fantasie“ in der Nähe sein muß!

Martin Kubaczek Hotel Fantasie
Roman.
Wien, Bozen: Folio, 1999.
131 S.; geb.
ISBN 3-85256-107-8.

Rezension vom 28.05.1999

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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