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Hôtel Baalbek

Fred Wander

// Rezension von Helmut Sturm

„Auschwitz ist nicht Vergangenheit, es ist noch gegenwärtig, Auschwitz ist heute dort, wo die Menschen hungern, wo Hunderttausende im Elend und vor Hunger sterben, und die Satten sehen es nicht, wollen es nicht sehen, die Welt sieht es nicht, so wie sie Auschwitz nicht sehen wollte!“ Das ist die nüchterne Analyse des Erzählers in Fred Wanders großartigem Roman Hôtel Baalbek. Sie trifft auch auf dieses Buch selbst zu, die 1991 in der DDR erschienene Erstausgabe wurde im Westen kaum bemerkt, es ist zu hoffen, dass die Neuauflage im Göttinger Wallstein Verlag dieser unverwechselbaren Stimme endlich Gehör verschaffen kann.

Fred Wander, 1917 in Wien geboren, gelang 1938 die Flucht über die Schweiz nach Frankreich. Als „feindlicher Ausländer“ festgenommen konnte er 1940 in die von den Deutschen noch nicht besetzte Zone nach Marseille entkommen, wurde aber verhaftet und in verschiedenen Lagern interniert. Sein Fluchtversuch in die Schweiz misslang, 1945 wurde er befreit, nachdem er in den Lagern Auschwitz, Groß-Rosen und Buchenwald die Hölle überlebt hatte. Das Buch über diese Erfahrungen beginnt er Mitte der 80er Jahre, so spät, weil wohl auch auf ihn zutrifft, was sein Erzähler festhält: „[…]wer diese Hölle überlebt hat, […] kann nicht darüber reden, weil es ihn erstickt“.

Die Frage, wie das unsagbare Elend benennen, die Frage nach der dem Unmenschlichen adäquaten Erzählhaltung, wird in Hôtel Baalbek immer wieder gestellt. „Jemand sollte diese Geschichte erzählen, der imstande ist eiskalt zu bleiben, die Bilder, Zeichen und Farben in Worte zu gießen, wie man aus kochendem Blei die Lettern gießt, die dann erstarren werden, mit klarem Verstand sollte er sie setzen, mit Gleichmut und Bedacht.“ Eiskalt zu bleiben, die Position des Beobachters von außen einzunehmen versucht auch der Erzähler, um dann sein Scheitern eingestehen zu müssen, „das alles sind Überlegungen von heute“. Es ist gerade dieses durchgehende Reflektieren des Erzählers, die Vermischung von Erinnerung und dem Nachdenken darüber, das die Faszination dieses Shoa-Dramas ausmacht. Wie in nur wenigen großen Werken über das Verbrechen des zwanzigsten Jahrhunderts wird bei Fred Wander der Schmerz des Erinnerns und die verzweifelte Hoffnung, die Leserinnen und Leser könnten daraus etwas lernen, erfahrbar.

Hôtel Baalbek ist aber kein Buch desperater Reflexion, sondern ein Roman voller Leben, in dessen Mittelpunkt die aus ganz Europa gestrandeten Flüchtlinge im Hôtel Baalbek stehen. Im Haus herrscht bereits Lageratmosphäre, die Hotelbewohner „waren Parias geworden, außerhalb der Gesellschaft, waren in den Orkus geworfen. Jedes individuelle Schicksal hatte aufgehört.“ Das Erzählen von Fred Wander ist eindrucksvoller Protest gerade gegen diese Entindividualisierung, es gibt den Bewohnern Gesicht und Stimme. Die Flüchtlinge und Exilierten kommen aus den unterschiedlichsten sozialen Schichten, haben divergierende Weltanschauungen und allen gemeinsam ist Angst und die für die meisten unerfüllbare Hoffnung, dem Terror doch noch zu entkommen.

Im Hôtel Baalbek wird die Flucht geplant, geliebt und gestritten, da und dort ein Geschäft gemacht, konspiriert und erzählt. „Es ist gewesen ein Kantor in der Synagoge von Sobibór, er hat Modche Lemberger geheißen“, er wird von Bauern verschleppt, im Wald nackt ausgesetzt, von anderen Bauern gerettet und zurückgebracht. „Aber dann standen sie da und staunten, die Synagoge war zerstört und die Häuser der Juden abgebrannt. Und die Frau und die Kinder von Modche waren tot.“

Wir lernen Menschen kennen, die wir nicht wieder vergessen, Intellektuelle, Handarbeiter, Dichter, Händler, Menschen, die resignieren und solche, die den Widerstand planen. Wander trifft für alle den jeweils richtigen Tonfall, lässt durch den Einsatz von Häufungsfiguren die Erregung und das Durcheinander in der Herberge unmittelbar spürbar werden. Die bis zum Letzten gesteigerte Intensität des gefährdeten Lebens zeigt nicht bloß Dunkles und Abgründiges, auch die Schönheit der Stadt, das Bedürfnis nach Liebe und Leben werden überdeutlich. Es werden „irrsinnige, jugendliche Gespräche“ über die Liebe geführt, in denen sich die Sehnsucht nach Leben unvergesslich manifestiert. Trotz all der Hiobiaden gelingt dem 2006 in Wien gestorbenen Fred Wander ein optimistisches Buch, es ist voll der Hoffnung, dass es nicht umsonst erzählt ist. Nicht weniger als „das Glück der Liebe und Überwindung des Nichts“ möchte Wanders jugendlicher Erzähler vermitteln, und meint, dass Geschichten erzählen etwas mit Fallenstellen zu tun hat. Geschichten vermögen die Gefahr zu bannen, die die Gleichgültigkeit dem barbarischen Abgrund gegenüber birgt. Es ist zu wünschen, dass möglichst viele von uns in die von Fred Wander so sorgfältig und lebensweise ausgelegte Falle gehen.

Der Neuausgabe des Romans ist ein sehr persönliches und berührendes Nachwort von Erich Hackl beigegeben.

Hôtel Baalbek.
Roman.
Mit einem Nachwort von Erich Hackl.
Göttingen: Wallstein Verlag, 2007.
228 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-8353-0150-4.

 

Rezension vom 04.06.2007

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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