#Roman

Horak hasste es, sich zu ärgern

Karoline Cvancara

// Rezension von Sabine Schuster

Eigentlich ist es nicht so schwer zu verstehen. Erwin Horak möchte einfach seine Ruhe haben. Warum kann das keiner respektieren? Seine Nachbarn nicht und ebenso wenig die Wiener Verkehrsteilnehmer oder seine nervigen Kollegen an seiner ebenso unleidlichen Schule, in der er als Professor sein Auskommen findet. Weil er nicht mal in seinen eigenen vier Wänden von ständiger Störung verschont bleibt, flieht er jeden Abend ins Wiener Traditionscafé Hummel. Dort kennt man ihn und hält respektvoll Abstand. Elfriede ist da ganz anders. Als die offene und lebenslustige Frau Horak gezwungenermaßen kennenlernt, irritiert sie sein schroffer Ton zwar erst, erweckt in ihr aber auch eine Art Forscherdrang.

Soweit die Ausgangssituation im nunmehr dritten Roman Karoline Cvancaras, in dem sie wieder die Persönlichkeitsentwicklung eines recht eigenwilligen männlichen Helden beschreibt. Die Autorin hat neben Musikwissenschaftten auch Psychologie studiert und begleitet ihre Figuren mit der entsprechenden Empathie, im aktuellen Roman auch mit einer großen Prise Humor durch die Veränderungen, die das Leben ihnen bereitet. Im Roman Am Tiefpunkt genial aus dem Jahr 2015 ist es der junge Buchhändler Paul, der seine Tage mit Lesen und Jazzhören verbringt und dabei möglichst wenig gestört werden will, im neuen Roman treffen wir auf den älteren Mathematikprofessor Erwin Horak, dessen privates Universum exakt von den Jazzplatten (ja, Platten!) in seinem Wohnzimmer bis zu seinem Stammtisch im benachbarten Café Hummel reicht, beides genießt er vorzugsweise allein, und das soll auch so bleiben. Sprechen will er nicht einmal mit seinem Freund Kurt Gruber, den er beim Kartenspiel mit den Worten „Du sitzt da und hast noch nicht hergerichtet“ begrüßt. – Eine wahre Szene, die angeblich den Anstoß zu diesem Buch geliefert hat.

Der Roman setzt ein mit einem stimmungsvollen Portrait der Wiener Josefstadt – ein Traditionsbezirk in zentraler Lage, allerdings so prosperierend, dass Erwin Horak in dem pulsierenden Leben rundherum keine Ruhe mehr findet und sich mehr denn je in sein Kaffeehaus zurückzieht, wo stets ein Einzeltisch für ihn reserviert ist:

Im ‚Hummel‘, an seinem Tisch, der jeden Tag für ihn, und nur für ihn reserviert war, wo der Ablauf zwischen Horak und den Kellnern schon eingespielt war, wo Horak wusste, was er erwarten konnte und was eben nicht, genau dort war er nahe an dem dran, was er als Glück bezeichnen würde, wenn es das gäbe. (S. 103f)

Im „Hummel“ und in den umliegenden Geschäften und Straßen ist auch Karoline Cvancara spürbar zu Hause, das nahegelegene Plattengeschäft ihrer Eltern in der Josefstädter Straße, das Red Octopus, galt lange Zeit als Institution für Jazzliebhaber und die Autorin fängt die sommerliche Atmosphäre im Herzen des Bezirks so atmosphärisch ein, dass man sich beim Lesen fest vornimmt, dieser Gegend wieder einmal einen Besuch abzustatten. Außerdem liegt die Liebe zum Jazz wohl in der Familie, denn Cvancaras Romane sind voller Musiktipps – es wäre sicher ein lohnendes Projekt, alle erwähnten Platten einmal durchzuhören, notfalls auch auf CD oder als Download – neue Medien, die für einen Puristen wie Professor Horak keinesfalls in Frage kommen. Er will seine Schallplatten in den Händen halten und das Knacken am Ende der Aufnahme hören, CDs empfindet er als Verhöhnung jedes Musikliebhabers, und im Übrigen hat Mitte der Siebziger Jahre „so manches für ihn aufgehört, Musik zu sein“. Erwin Horak ist „weder aufgeschlossen, noch flexibel“, er weiß, was er will, und das schon sehr lange. (S. 23)

Sehr amüsant sind auch Karoline Cvancaras beiläufig eingestreute Exkurse zum Typus des grantigen Wieners und der ängstlichen Seele, die sich dahinter verbirgt:

Der Morgen brach an in der Josefstadt. Die Sonne schob sich vorsichtig über die Häuserreihen und versprach wieder einen ausgesprochen heißen Sommertag, nur war das heute dem Wiener recht, ganz besonders recht, denn es war Sonntagmorgen und am Sonntag durfte es heiß sein. Im Grunde erwartete der Wiener nichts anderes, als dass der Sonntag verregnet und trüb war. Die ganze Woche, ja natürlich, da war es warm, aber der Sonntag, nein, der war stets verregnet und trüb, so der Wiener, aber in diesen Dingen war er, der Wiener etwas negativ. Warum? Wahrscheinlich, weil er gern vom Negativen ausging, darüber ausführlich jammerte, nur, damit er sich dann vielleicht positiv überraschen lassen konnte, es war ja schließlich möglich, aber damit rechnete er nicht, wäre auch schlecht, sonst wäre er womöglich enttäuscht. (S. 233)

Diese Charakterisierung ist äußerst milde im Vergleich zur negativen Lebenshaltung unseres Protagonisten, aus der heraus Karoline Cvancara eine federleichte Sommergeschichte entwickelt, entgegen aller Wahrscheinlichkeit sogar eine Romanze, deren Ausgang so märchenhaft ist wie die Geduld der neugierigen Elfriede, die den notorischen „Grantler“ Horak beharrlich und schlagfertig aus der Reserve lockt.

Beobachtungsgabe und Talent fürs Komische sind besondere Stärken dieser Autorin, die ihren Schreibstil seit dem letzten Roman deutlich nachgeschärft hat. Die Sprache ist ökonomisch, die wechselnde Erzählperspektive lebendig und der Dialog zwischen den beiden Hauptfiguren hat viel Witz, am meisten dort, wo er so gar nicht in Gang kommen will. Auch der ironische Grundton ist neu und steht dieser Geschichte ausgezeichnet.

 

Sabine Schuster, Studium der Germanistik und Publizistik an der Universität Wien (Abschluss 1992), Tätigkeit für die schule für dichtung in Wien, die IG Autorinnen Autoren und den Folio Verlag, ab 1993 im Team des Literaturhaus Wien, von 2001 bis 2023 Redakteurin des Online-Buchmagazins.

Karoline Cvancara Horak hasste es, sich zu ärgern
Roman.
Wien: Verlag Wortreich, 2018.
256 Seiten.; brosch.
ISBN 978-3-903091-40-5.

Homepage der Autorin

Rezension vom 11.05.2018

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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