#Lyrik

Hoffnung auf Schmetterlinge

Sophie Reyer

// Rezension von Astrid Nischkauer

Sag wie wird man Schmetterling?
Liest man den beinahe 300 Seiten starken Gedichtband Hoffnung auf Schmetterlinge von Sophie Reyer, so entsteht der Eindruck, einen Gedichtstrom vor sich zu haben. Ohne Kapitelunterteilungen führt ein Gedicht zum nächsten, während die Landschaft sich unmerklich, aber fortwährend verändert, je weiter flussabwärts wir kommen.

Hört man sich die Moldau von Smetana an, gibt es durchgehende Themen und Motive, aber auch einzelne Episoden. Ähnlich ist das auch in Hoffnung auf Schmetterlinge. Einerseits gibt es Worte, Themen und Motive, die sich durch den ganzen Band ziehen. Daneben gibt es aber beispielsweise auch einen kurzen Moment, in welchem die Gedichte zu Kettengedichten werden und die letzte Zeile des einen Gedichtes die erste des darauffolgenden ist. Das Ende des Bandes wirkt dann so, als wäre es kein endgültiges, sondern nur ein vorübergehendes und als würde der unaufhörliche Gedichtstrom unbeeindruckt davon einfach weiterfließen.

Man kann nicht zweimal in denselben Fluss eintauchen, heißt es. Daran musste ich beim Lesen denken, da eine Handvoll Gedichte doppelt vorkommen. Direkt hintereinander, oder mit einem Gedicht dazwischen, in jedem Fall macht es etwas mit einem, oder auch mit dem Gedicht, wenn man es unerwartet zweimal liest, ist es dabei doch dasselbe Gedicht und gleichzeitig ein anderes. Man beginnt das Gedicht zu lesen und realisiert erst im Lesen, dass einem, was man da gerade erstmalig liest, bereits vertraut ist. Daraufhin vergleicht man Gedicht mit Gedicht, sucht den „Fehler“, also den Unterschied, wie bei Suchbildern, findet keinen und muss dennoch feststellen, dass Gedicht und Gedicht zwar ident, aber doch unterschiedlich sind, was eine durchaus erstaunliche Erkenntnis ist. Nur einmal wechselt ein gedoppeltes Gedicht von links- zu rechtsbündig, einfach deswegen, weil im gesamten Band alle Gedichte auf der linken Buchseite jeweils linksbündig und auf der rechten Seite jeweils rechtsbündig sind (siehe Leseprobe).

Die abwechselnde Links- und Rechtsbündigkeit fällt optisch auf, es wirkt beinahe so, als würden die Gedichte einander gegenseitig anblicken und dem Gegenüber zuhören. Über jedem neuen Gedicht ist das Fischwesen mit den großen Augen vom Cover in klein zu sehen und blickt jeweils in die Buchmitte bzw. auf das Fischwesen vis-à-vis. Diese Markierung eines jeden neuen Gedichtanfangs ist sinnvoll, da viele Worte und Motive wiederkehren und die Gedichte in der Länge sehr variieren. Vier bis sechsseitige Langgedichte gibt es ebenso wie Kürzestgedichte:
Sophie Reyer schöpft aus dem Leben und dem Alltag und arbeitet Erlebtes und sie Umgebendes in ihre Gedichte ein: „Seidenfäden des Seins / einarbeiten in die Tage:“ Dabei hat sie immer ein offenes Ohr für Sprachmagie, oft genügt es beispielsweise, einen einzigen Buchstaben auszutauschen, und schon wird ein Wort zu einem anderen und damit zugleich ein Objekt zu einem anderen: „ein Stein kann Stern werden“. Genauso kann auch ein „war“ zu einem „wahr werden“ werden:
Viele der Gedichte begeben sich auf „Ichsuche“:
ich bin eine Schießscharte
die verinnerlichte Narbe
und kann nicht

Stein sein
Im Zuge dieser „Ichsuche“ kann das Ich mitunter auch in ein Du kippen:
Stille. Komm über
den See. Dahin wo
das Wetter umschlägt
und das Ich in ein
Du kippt. Die Freiheit
will groß werden hier.

Oder zu einem Wir werden:
wer wenn nicht
wir

Der Titel Hoffnung auf Schmetterlinge drückt eine Sehnsucht nach Leichtigkeit, Liebe und Lebensfreude aus („zwei Flügel / hat jedes Leben“), und das „allem zum Trotz“, also Tod, Schmerz, Krankheit, Einsamkeit, Corona, etc. zum Trotz:
wie Wolke sein wollen
allem zum Trotz

Themen wie Tod, Erinnerung und Kindheit werden in den Gedichten häufig angesprochen. Kindheit ist dabei eher angstbesetzt denn Idylle („Urwaldangst deiner Kindheit“). Erinnerung kann aber auch zu etwas Hoffnungsvollem, Zukunftszugewandtem werden:
und: die träge Herde
wir lachen sie
als Geister aus: spiel
auf der Laute der
Erinnerung: und wir finden
uns
wieder

Die titelgebende „Hoffnung auf Schmetterlinge“ findet sich auch in einem Gedicht:
hochwallt
die Hoffnung auf Schmetterlinge

Diese Hoffnung auf Schmetterlinge wird von den Gedichten nicht enttäuscht:
Knabenkühn
ist sie zart als Schmetterling

Können Menschen Schmetterlinge sein, oder Schmetterlinge menschliche Eigenschaften haben, ist der Wunsch, selbst zum Schmetterling zu werden, ein naheliegender:
Deine Blüte suchen:

Sag wie wird man
Schmetterling?

Wenn man so möchte, könnte man „Schmetterlinge“ auch als Metapher für sehr feine, zarte Gedichte und Gedichtstellen verstehen, und auch davon enthält der Band sehr viele:
in die Zwischenzeiten
gezogen und so
als Saite gestimmt

Hoffnung auf Schmetterlinge ist ein sehr umfangreicher Band, bei dem es sich lohnt, sich Zeit zu nehmen und die Gedichte sorgsam, aufmerksam und mehrmals zu lesen.

Sophie Reyer Hoffnung auf Schmetterlinge
Gedichte.
Klagenfurt: Sisyphus, 2021.
298 S.; brosch.
ISBN 978-3-903125-62-9.

Rezension vom 18.08.2021

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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