#Theater

Hirntod

Egon A. Prantl

// Rezension von Helmuth Schönauer

Egon A. Prantl hat für seine groteske Gewaltparabel in vier Bildern einen Titel gewählt, der zumindest in zwei Richtungen zu deuten ist. Einmal als medizinischer Begriff des „Hirntodes“, nach dessen Eintritt beim von nun an Leichnam genannten Körper mit dem Ausbau diverser Organe für den medizinischen Weltmarkt begonnen werden kann, und andererseits läßt sich der Begriff Hirntod auch medienkritisch deuten, wonach der Tod ja nur eine Vorstellung im Hirn sei. Um diese beiden Denkschulen geht es in Egon A. Prantls Stück, wenn er das Thema Gewalt auf die Bühne bringt. Ist der Gewalt durch Sezieren und „Ausbeindeln“ der Gesellschaft beizukommen oder ist sie eine mediale Angelegenheit, die leider zwischendurch vom Fernsehschirm heraus steigt und sich physisch mitten unter den lebenden Menschen niederläßt?

Der Autor hat sein Stück geradezu klassisch in vier Bildern aufgebaut. Im ersten Bild oszilliert der Philosoph namens Bürger in seiner Sinnierstube Faust-ähnlich auf und ab, zwar hat er alle Philosophie-Richtungen studiert und ist auch in der Medienkunde bewandert, aber ganz kommt er noch nicht klar mit der Frage, wann der Staat Gewalt anwenden darf. Und offen ist auch die Rechtslage, ob Stammheim bloß ein zynischer Ausrutscher des Rechtsstaates gewesen ist oder natürliches Staatsrecht.
Bestärkt von starken Getränken beschließt Bürger, sich für alle Fälle des Diskurses eine echte Waffe zuzulegen.

Im zweiten Bild ist Bürger in einem Beisl, wo anläßlich eines Überfalls und der Ermordung eines Mädchens über den bewaffneten Alltag mit der Klarheit allgemeiner Illumination diskutiert wird. Mitten im Geplänkel kauft sich der Philosoph eine Waffe vom Wirten, weil er das Gefühl genießen will, nicht nur mit Worten bewaffnet zu sein.

Im dritten Bild sind Tom und Jerry aus der Comic-Serie ausgebrochen und zur Wirklichkeit geworden. Sie genießen ihren realen Status und vergewaltigen Krista, die Schöne der Nacht. Diese fleht vergeblich um Hilfe, denn Bürger denkt vorerst nicht daran, leibhaftig einzuschreiten. Erst als ihm bewußt wird, daß die Waffe ja genau so eine Fiktion sein könnte wie die beiden Gewalttäter, drückt er ab und ist über das Ergebnis erstaunt. Im Abgang sagte er, schon halb draußen: „Es hat keine Bedeutung / Überhaupt keine / Es hat nichts zu bedeuten / Überhaupt nichts“. (74)

Im vierten Bild ist Bürger wieder mit sich allein in seiner Denkerwohnung. Die Grenzen zwischen Realität und Medien-Fake haben sich aufgelöst, die Waffe ist ein finales Argument, mehr nicht. Logischerweise kommt Bürger zum Ergebnis: „Diese Waffe ist nur ein Gedanke / Und bedeutet nichts [..]“ (88) und drückt ab, ehe der Vorhang fällt.
In einer als gleichwertig eingestuften Variante heißt der Schlußsatz „So oder so / Ist es“ (90) und drückt ab.

Die Regieanweisungen geben als Inszenierungsmöglichkeit etwas wie eine Reality-Show an. Die Sätze sind wie bei den Monologen in Stücken Thomas Bernhards offen und mehrdeutig gehalten, jeder Begriff kann sich noch auf das Vorhergehende oder schon auf das Darauffolgende beziehen, es ist jede Menge Spielraum für Deutungen gegeben.

Medien und Gewalt, Gewalt als Medium, nicht nur das Thema ist faszinierend, auch Egon A. Prantls fetzig-rasanter Umgang mit den Thesen und Sätzen der Protagonisten ist beeindruckend. Ein gewaltiges Medienereignis!, könnte man ausrufen.

Egon A. Prantl Hirntod
Ein Stück in vier Bildern.
Innsbruck: Skarabäus, 2001.
90 S.; brosch.
ISBN 3-7066-2250-5.

Rezension vom 08.05.2001

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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