#Lyrik
#Prosa

Hinter dem
Buchstabenzaun

Günter Vallaster

// Rezension von Jelena Dabić

Konkrete Poesie zeigt, was mit Sprache möglich ist. Es ist ihr Sinn und Zweck, von ihren Anfängen bis heute. Durchaus unter diesem Blickwinkel ist auch der hübsche, schmale Sammelband zu sehen, in dem Günter Vallaster, seit 2003 mit der editon ch betraut, großteils eigene, bereits publizierte Texte zusammenfasst. Ergänzend zu den experimentellen Gedichten und Prosastücken enthält die Auswahl auch einige visuelle Arbeiten.

Begreift man Sprache als Material und nicht bloß als Mittel zum Zweck des künstlerischen Ausdrucks, ordnet man sich kompromisslos ihrer phonetischen, morphologischen, aber auch visuellen Beschaffenheit unter, und zwar jener von Buchstaben, Wörtern und Sätzen – und zugleich den dazugehörigen Konnotationen. So prüft etwa der Autor in mehreren Texten den gängigen Dualismus „rund-eckig“ auf seine Richtigkeit. Ob „rund“ – gemeinhin als wohlig, gemütlich und gütig wahrgenommen oder „eckig“ – als unbequem, schwierig und ungemütlich – bestimmt hier, auf die Form von einzelnen Buchstaben und Wörtern bezogen, möglicherweise ihren Charakter: bei „Axt“ mag etwa „Eckigkeit formal und inhaltlich zusammenfallen“, was ist aber mit der „Hölle, „die wenigstens mit dem ö ein rundes Element enthält?“ Solche Fragestellungen kennt man übrigens aus Büchern für ABC- Schützen, vor allem solchen älteren Datums. Konkrete Poesie schöpfte immer schon auch aus den Erfahrungen des kindlichen Umgangs mit der Sprache. (Nicht zufällig durften experimentell Schreibende unter repressiven Regimes zeitweise nur Kindergedichte publizieren und erhielten dadurch wenigstens einen Teil der ihnen gebührenden Anerkennung). Tatsächlich ist dem vielfach vorhandenen (lyrischen) Ich Vallasterscher Texte gelegentlich ein jugendlicher bis kindlicher Sprachduktus eigen („… hey ist ja alles da! […] Oder wir nehmen halt runde Zähne, geht ja.“).

Damit aber nicht genug der Frage nach „eckig oder rund“. Vallaster führt anhand der vier Prosatexte, die ihr nachgehen, auch das Verfahren der Transformation vor: zwei formal und inhaltlich ähnliche Texte (Paralleltexte gewissermaßen) erfahren je eine Duplizierung durch eine/n andere/n AutorIn, hier durch Ilse Kilic, Mitbegründerin der „Edition Das fröhliche Wohnzimmer“. Durch den Austausch bestimmter Wörter, anfangs nur durch den distinktiven Anlaut („Ecken“ durch „Hecken“, „Runden“ durch „Hunden“) und dann durch eine phonetische oder inhaltliche Entsprechung entstehen wiederum zwei sinnvolle Texte. Hier wird noch einmal die Lust der Arbeit mit und an der Sprache und ihre Nähe zur Mathematik klar: das dichterische Vorhaben erweist sich als eine anspruchsvolle Aufgabe, der unter Aufwand aller Kenntnisse nachzukommen ist. Dass das Ergebnis dann stimmt, das selbst auferlegte Spiel funktioniert, befriedigt in gleichem Maße wie die kreative Lösung einer mathematischen Aufgabe.

Noch ein weiteres Mal fühlt der poeta ludens der Eckigkeit der Wörter auf den Zahn: mit Hilfe eines computerunterstützten Anagramm-Generators baut er einen Text aus lauter „eckigen“ Buchstaben. Das Überraschende daran: es kommt eine ganze Menge an sinnvollen Sätzen, ja sogar ein inhaltlich kohärenter Text dabei heraus, der durch die stakkatoartige Reihung von kurzen Sätzen einen Rhythmus entwickelt.

Die als Gedichte daherkommenden Texte sind großteils serielle Texte. Hier kommt ein besonderes Verfahren der Kombinationstechnik zur Anwendung: jeweils der mittlere Teil eines Kompositums wird ausgetauscht und die Zeilen sind in zwei Spalten diametral symmetrisch geordnet. Die so zustande gekommenen Begriffe sind überraschend bis verstörend: „weltaufkauf / welteinkauf / weltduchkauf (verboten) […] weltzwischenkauf / welttreppenkauf / weltauskauf“. Anschließend wird das erste Wort der Reihe durch den Austausch eines distinktiven Phonems selbst transformiert, und schon kann man mit dem „weltauslauf“ das gleiche Spiel treiben. Das Ergebnis: visuell ansprechend und in seiner mathematischen Richtigkeit beeindruckend.

Etwas langatmiger gerät ein serieller Text zum Thema morgendliche Verrichtungen. Nach dem Wortbildungsschema von beispielsweise „Gejammere“ bildet der Dichter mit unerbittlichen Minutiösität zu jedem noch so unbedeutenden Handgriff ein entsprechendes Wort („dietürgeöffne. / dietürgeschließe“; „zahnpastagedrücke. / zahnbürstenmundgeschabe.“). Durch scheinbar endlose Aufzählung von Momenten, die die Handlung nicht vorantreiben, wird der Leser irritiert bis terrorisiert. Bezeichnenderweise endet die Reihe mit dem Blick auf den Bildschirm, was auch visuell nicht unwitzig verdeutlicht wird. Doch auch hier stehen Form und Inhalt in einer Wechselwirkung, wie in all den anderen Texten, die immer verspielt, aber nie asemantisch sind: die ermüdende Wiederholungsreihe kann man durchaus als Veranschaulichung der Absurdität des Daseins lesen.

Etwas weniger formstreng, dafür aber wesentlich ansprechender ist ein Supermarkt-Text, an dem man gleich mehrere Verfahren konkreter Poesie studieren darf: das Spiel mit der Homonymie und Polysemie der Wörter („preise fallen / preise fallen / ich preise fallen / leiste plakaten / folge folge / plakatenLeiste“); alternative Lesarten eines gängigen Begriffs, die unterwartete Bedeutungen erschließen („das sex-ertragerl“), oder die Verdinglichung des Subjekts, gewissermaßen als Gegenzug zur Verselbstständigung von Dingen: das ursprünglich nehmende Ich wandelt sich nach und nach zu etwas Essbarem (einem Schnitzel!) und kehrt damit die Kategorien von Geben und Nehmen um. Die schönen Metaphern des Textes („eine tiefgekühlte gewitterneigung“, „sonnenuntergang vakuumverpackt“) können auch als Reminiszenz an ein ähnliches Jandl-Gedicht gelesen werden.

Witzig ist schließlich auch der Versuch, mit minimalistischen Mitteln den Eindruck eines ganzen literarischen Genres zu evozieren: Ein Dramolett besteht (ohne Regieanweisungen) aus einem einzigen Wort. Ebenfalls ziemlich lakonisch, aber mit einer starken emotionalen Komponente ist das Spiel mit dem Genre des Liebesgedichts: Liebkosungen und ganz direkte Bezeichnungen von Liebeshandlungen beziehen sich auf einen Nachtbus.

Die visuellen Texte des Bandes bearbeiten zum Teil bereits vorhandenes Sprachmaterial. Beeindruckend etwa eine Bieretikettencollage mit lauter Anagrammen aus den gängigen Biermarkennamen. Dazu kommen genuine visuelle Texte wie die Unterbringung eines ganzen Wortes in einem einzigen Buchstaben und Fotos von für das Buch offensichtlich wichtigen Orten und Dingen: ein ungemachtes Bett, ein vergrößerter Bildschirm-Pfeil, ein Schlüsselloch (das man auch als ein „i“ lesen kann).

Nur sekundär ist Hinter dem Buchstabenzaun auch ein Ausdruck der Befindlichkeit und des Lebensgefühls eines (männlichen) Großstadtindividuums, seiner Sehnsüchte, seiner (Welt)wahrnehmung, auch seines Verlorenseins. In erster Linie ist es ein schönes Beispiel experimentellen Schreibens von heute, eines Schreibens mit, durch und für die Sprache. Ganz sicher ein gewitztes, fundiertes und anregendes Buch.

Hinter dem Buchstabenzaun. Extended Versions.
Mit Transformationen von Ilse Kilic und einem Vorwort von Fritz Widhalm.
Wien: edition ch, 2008.
88 Seiten, mit 5 Farb- und 7 SW-Abbildungen.
ISBN 978-3-901015-41-0.

Homepage des Autors

Rezension vom 18.11.2008

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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