#Prosa

Hingabe

Karin Rick

// Rezension von Sabine Mayr

Um Sinnlichkeit und die in der sinnlichen Empfindung erlebte Selbstfindung und Selbstbestätigung einer Frau geht es in den Erzählungen im Buch Hingabe der Wiener Autorin Karin Rick.

In neun Sequenzen lässt eine lesbische Wissenschaftlerin aus Wien Episoden und Höhepunkte in ihrem bisexuellen Liebesleben vorüberziehen. Mit unbeschwertem Erzählduktus, in loser Anordnung der durchgehend im Präsens gehaltenen Erzählungen und einer aufgelockerten inneren Chronologie, die mit der gefühlsbetonten Sprache korrespondiert, auf welche die Lesenden gleich in der ersten Erzählung „Fliederbrüstchen“ homophon zum aufkeimenden Frühling eingestimmt werden, spielt sie mit unterschiedlichen Liebespartnerinnen oder Liebespartnern die Phasen der Annäherung, Zurückweichung oder -weisung, der intimen Begegnung und Trennung durch.

Die erste Erzählung bildet hierzu eine Ausnahme, ein Vorspiel oder – vielleicht treffender – ein Toccato. Hier überlagert das erotische Erleben noch nicht die Sorgen und Nöte, Gedanken und Überraschungen des Alltags wie die Diskussion im Hörsaal oder die Erinnerung an die Spaziergänge mit dem Vater an den Donaukanal in der Kindheit.

Nach einem Gastvortrag an der Universität Wien flaniert die gut aussehende und beruflich erfolgreiche Protagonistin im April 2002 – seit zwei Jahren protestiert die Botschaft der Besorgten BürgerInnen vor dem österreichischen Bundeskanzleramt gegen die schwarz-blaue Regierung – über den Heldenplatz. Fest verankert im feministischen Diskurs, hat sie sich von gesellschaftlichen Konventionen längst befreit. Die Rituale der „Heterowelt“, ihre medialen Erscheinungsformen und Produkte und die österreichische Innenpolitik ernten ihren lakonischen Spott. Angeregt vom lauen Frühlingsabend überkommt die Ich-Erzählerin plötzlich das Bedürfnis, ihre nackten Brüste in die duftende Blütenwand der Fliederbüsche einzutauchen und ohne zu zögern oder von anderen Personen behelligt zu werden, setzt sie dies in die Tat um, deren Abenteuerlichkeit ein wenig über die Abwesenheit der im Ausland lebenden, zarten Jo-Ann hinwegtröstet.

In der Erzählung „Frühlingsrauschen“ sucht sich das durch die ausklingende Beziehung gesteigerte Trostbedürfnis Ablenkung in einer kurzen Triebbefriedigung – in freier Natur – mit dem Ferdl, dessen Äußeres allerdings wenig anspricht: „An ihm ist immer etwas, das Ärger verursacht, seien es die selbst geschnittenen, fettigen Haare, von denen einige immer zu Berge stehen, als wäre er eben aus den Federn gekrabbelt“, seien es sein Geruch nach Knoblauch oder der Mief schlecht gelüfteter, selten gewaschener Kleidung. „Wie kann man sich so jemandem hingeben, oder auch nur in die Möglichkeit einer Berührung kommen wollen“, fragt sich die Protagonistin und vermittelt den Lesenden dadurch den noch stärker beiläufigen und episodenhaften Charakter erotischer Erlebnisse mit Männern.

Eines ist nämlich klar: „Hingabe“ gibt es bei Karin Rick nur zwischen Frauen und ihre folgenden Erzählungen von den erfüllenden Glücksmomenten ausgelebter sexueller Begierden und das sehnsüchtige Verlangen nach der Geliebten bilden einen kraftvollen und affirmativen Gegenentwurf zur herkömmlich Männer-orientierten, patriarchalen Bedeutung des Wortes, die Frauen als Akteurinnen und in der Liebe Fordernde keinen Raum lässt. Jener rezeptive koitale Ernst, den Angela Carter als eine wichtige Komponente frauenfeindlicher Pornographie ausmachte (The Sadeian Woman. An Essay in Cultural History, London, 1979), wird in den lesbischen Liebesakten zum wissenden, künstlerischen Genuss raffinierter, delikater, ekstatischer Verschlingungen. Die Beschreibungen des lesbischen Liebesgeschehens erweisen sich als die besten Passagen des Buches.

Demgegenüber verblasst der jeweilige Ort der Liebeshandlung – Bad Fischau in „Die Lasershow“, das Wiener Hotel Orient in „Der Berger und ich“, Brüssel, Paris oder die Kanarischen Inseln. Doch blass und banal muten streckenweise auch klischeebeladene Teile der Handlung, wenig ungesagt lassende Passagen der Dialoge und inneren Monologe und allzu einfache und verkürzte Wendungen der um Ausdrucksstärke und Authentizität bemühten Sprache an. So werden derart simple Beschreibungen wie die „Chemie zwischen uns stimmte“ oder „du hast einen Touch, auf den mein Körper anspringt“ strapaziert und mit – im Jahr vor der EU-Erweiterung fraglicher Nonchalance – wird eine „Runde von vermutlich östlichen EU-Praktikanten und Praktikantinnen“ als „ein völlig uninteressantes Pack, mit dem ich wahrscheinlich von mir aus nie ein einziges Wort wechseln würde“ bezeichnet. Abgesehen vom Vergleich der Wirkung der begehrten, sich aber entziehenden Frau mit dem Magnetstein im Meer aus Tausend und eine Nacht gibt es kaum eine literarische Anspielung oder einen intertextuellen Verweis. Nur vereinzelt wird die Oberfläche einer pauschalen Gesellschaftskritik durchbrochen. Die für den Feminismus zentrale Problematik einer unkritischen Verbindung von Frau und Natur scheint mehr oder weniger außer Acht gelassen und andererseits scheut die Genuss-Betontheit der Protagonistin auch nicht vor einer konsumorientierten Haltung zurück, die auf Markenprodukte Wert legt.

Doch der leichtfüßig und mit gelöstem Humor daherkommende, ja unerbittliche Lebensdurst der Erzählerin überspielt solche Schwachstellen. Am Ende ist die Leserin dankbar, dass es dieses Buch gibt.

Hingabe.
Erzählungen.
Tübingen: Konkursbuch, 2003.
155 Seiten, gebunden.
ISBN 3-88769-318-3.

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Rezension vom 18.12.2003

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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