#Roman

Himmelwärts

Elisabeth Klar

// Rezension von Marina Rauchenbacher

„Leer wirkt das Himmelwärts groß und nackt“, heißt es über das  für Elisabeth Klars neuen Roman titelgebende Drag-Lokal an der Wienzeile, das für die Protagonistin Sylvia zum Fluchtpunkt wird. Es ist ein Ort, an dem sie sich wohl fühlt, an dem sich entfalten kann und der – symbolisch für den Text – neu gefüllt werden kann. Klar entwirft in und im Himmelwärts Zwischenräume und Übergänge, Transitionen, die gesellschaftsbestimmende Kategorien wie Mann–Frau und Mensch–Tier unterwandern.

Himmelwärts verdeutlicht das Potenzial dieses Dazwischen in der Konfrontation mit Homo-/Transphobie, Diskriminierung, Rassismus und Ausbeutung der Natur. So werden jüngere politische Entwicklungen in Österreich, wie etwa das „Vermummungsverbot“ oder die vielthematisierten homophoben Abschiebungsbescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA), diskutiert. Darüber hinaus recherchierte Klar in Brasilien über den Bau des Belo-Monte-Wasserkraftwerks bei Altamira, die Umweltzerstörung sowie die gesellschaftspolitischen Entwicklungen und Repressionen. Im Roman wird dies aus der Perspektive Jonathans erzählt, der Mitarbeiter einer Hilfsorganisation ist und an den eigenen Ansprüchen an diese Tätigkeit zugrunde zu gehen droht.

Die Räume des ‚Dazwischen‘ entfalten sich in und an den Figuren selbst, den Drag-Queens genauso wie Sylvia. Sie nämlich ist kein Mensch – zumindest nicht im landläufigen Sinn. Sylvia war/ist eine Fähe, die sich, nachdem sie ihr Revier durch den Bau einer Straße verloren hat und ihr Partner auf dieser Straße durch ein Auto getötet wurde, eine Menschenhaut von einer Wäscheleine stiehlt. Jonathan wiederum, ihrem engsten menschlichen Gefährten, wachsen Flügel. Daneben gibt es beispielsweise die „Rattenkönigin“ und Irina, die Katze, ebenfalls Mensch-Tier-Existenzen – und sie sind nicht die einzigen.

Klar, die in Wien als Softwareentwicklerin tätig ist, den Verein Literaturwerkstatt Wien leitet und als Comic-Wissenschaftlerin bekannt ist, debütierte 2014 mit dem Roman Wie im Wald, der unter anderem den Förderpreis der Stadt Wien erhielt und auf die Shortlist des Rauriser Literaturpreises 2015 kam. Himmelwärts greift die in Wie im Wald thematisierte Infragestellung der Grenze zwischen Mensch und Tier auf – genauso wie den Wald als Ort des Unheimlichen bzw. den Waldrand als Gebiet des Übergangs (Natur und Kultur). Wie Klar in einem Interview für den Literatur-Podcast auf buchfühlung erklärt, verweist eben auch der Name, Sylvia, auf den Wald (lat. „silva“).

Himmelwärts – so betonen die Rezensionen immer wieder – schreibt sich in eine literarische Tradition der Metamorphosen ein (u. a. Ovid, Kafka) und erinnert insbesondere an David Garnetts Lady into Fox (1922) oder Jean Brullers Sylva (1961). Der Roman zitiert zudem Traditionen der fantastischen Literatur und des Märchens und implizit auch die sprichwörtliche und in Fabeln explorierte ‚Schläue des Fuchses‘.

Gleichzeitig steht in Himmelwärts ein gesellschaftskritischer Anspruch im Zentrum, der sich auch wesentlich die Frage stellt, wie Identität konstituiert bzw. konstruiert wird, welche Ansprüche an die eigene Identität gestellt werden und wie sie – politisch – performiert wird. Grundlegend dafür ist der Ausgangspunkt bzw. die Verortung des Romans im Himmelwärts, dem Drag-Lokal. Die Travestie als „Gender-Parodie“ parodiere – so Judith Butler in Gender Trouble (1991) – eben just kein Original, sondern vielmehr den „Begriff des Originals“ selbst. Sie verweist auf die Gemachtheit von Geschlechtsidentität und eröffnet damit auch einen Raum des Utopischen und der Widerständigkeit. Im schon genannten Interview erläutert Klar auch, dass es (so wie im Himmelwärts) „schön“ sei, Räume zu finden, die kreative Performation von Identität/en „zulassen“.

Klar weitet dieses Spiel mit Identitätskategorien durch die Unterwanderung der Grenzen zwischen Mensch und Tier aus. So kann Himmelwärts auch als Kritik an und Auseinandersetzung mit der Conditio Humana, als Analyse des Mensch-Seins und der damit verbundenen machtpolitischen Dimension gelesen werden, wie sie in den Human-Animal-Studies oder in posthumanistischen Konzepten verhandelt werden. Sylvias Überstreifen der Menschenhaut, die sie – zumindest äußerlich – auch in einen Menschen verwandelt, ermöglicht es ihr, einen solchen auch zu performieren. Gleichzeitig erfahren die Leser*innen aufgrund der Innensicht beständig von den Brüchen: Sylvia will Menschen beißen, will wie eine Fähe springen und rennen – der Riss an ihrem Unterarm, „wo sich die Haut nie ganz geschlossen hat“, steht symbolisch dafür. Jonathan wiederum wachsen Flügel, deren schillerndes Gefieder sich – nach der Amputation – als Illusion entpuppt. Im Sinne einer (selbstbestimmten) Performation von Identität wählt er daraufhin einen anderen Vogel als Vorbild und lässt sich neue Flügel wachsen.

Himmelwärts bezieht klar Stellung gegen (gesellschafts)politische Repressionen – ohne andere fixe oder allgemeingültige Gegenkonzepte vorzugegeben. Identitäten werden entworfen und wieder verworfen und so der Raum offen gelassen.

Elisabeth Klar Himmelwärts
Roman.
Salzburg, Wien: Residenz, 2020.
160 S.; geb.
ISBN 783-7-0171-7279.

Rezension vom 15.06.2020

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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