#Roman

Herr Susi

Thomas Glavinic

// Rezension von Klaus Kastberger

Das neue Buch des 1972 geborenen und heute in Wien lebenden Thomas Glavinic ist von einem ganz anderen Kaliber als der vor zwei Jahren erschienene Debütroman. In „Carl Haffners Liebe zum Unentschieden“ hatte Glavinic in einem vergleichsweise ruhigen Ton die Lebensgeschichte des österreichischen Schachgroßmeisters Karl Schlechter und den spannenden Berliner Weltmeisterschaftskampf gegen den langjährigen Champion Emanuel Lasker erzählt. Schlechter legte sein Spiel auf Remis an, vergab aber aus Zögerlichkeit den greifbaren Erfolg. Das Leben von Schlechter endete tragisch: Er starb an Unternährung, weil er von niemandem Hilfe annehmen wollte.

Mit Bescheidenheit und Aufrichtigkeit, die edel sind, aber in die Gosse führen, ist es im neuen Roman Schluß. Herr Susi ist ein rohes und barbarisches Buch mit einer rohen und barbarischen Hauptfigur. Eigentlich heißt der Mann ja Georg Susacek; die österreichische Provinzhauptstadt, in der er lebt und hinter der – ungenannt, aber unverborgen – Graz steckt, ist klein und intim genug, um Spitznamen zuzulassen: Nicht jeder darf zu Herrn Susacek Susi sagen, und doch freut sich der Mann, daß es hinter seinem Rücken fast alle tun.

Den Fans des lokalen Bundesligavereins ist Herr Susi bestens bekannt. Er war es, der seinerzeit den Leo Rotter (der sich im Verlauf des Buches umbringen wird) gegen den alten Haller als Präsidenten durchgesetzt hat und damit dem schwarz-grünen FC eine gesicherte Zukunft verschaffte. Georg Susacek lächelt auf der Ehrentribüne in die Kameras des Lokalfernsehens und diktiert den Zeitungsreportern seine Analysen auf Band. In einer Klatschkolumne war in Beantwortung einer Umfrage zum Thema „Was war Ihr schönstes Tor?“ unter seinem Porträt die Unterschrift zu lesen: „Herr Susi: Mein schönstes Goal war meine Hochzeit.“ Ein Eigentor, wie sich später herausstellte.

Mit seiner Frau Lori hatte Susacek einstmals über den steilsten Zahn der Umgebung verfügt, und mit ihr durchschritt er eine der steilsten Karrieren, die die Stadt je gesehen hatte. Glavinic läßt keinen Zweifel darüber aufkommen, daß dies nicht durch Fleiß und Können geschah, ganz im Gegenteil waren die frühesten Bemühungen Susaceks in diese Richtung dem Gesamtunternehmen eher hinderlich. Viele Bussis auf die richtigen Wangen gaben den Ausschlag. Geschicktes Lavieren zwischen den Fronten, kleine Gaunereien und große Verbrechen gegen das Vertrauen der anderen haben den ehemaligen Versicherungsvertreter zum Immobilienmakler gemacht. Mit dem Erfolg des Herrn Susi wächst auch sein Ekel; Glavinic setzt den Haß auf alle und alles mit großer sprachlicher Intensität um, das gesprochene und gedachte Wort wird ohne Zensur niedergeschrieben, die Weltsicht des Herrn Susi läßt eine relativierende Perspektive nicht zu. So wankt in dem Buch der Abteilungsleiter so zur Toilette, wie Herr Susi ihn sieht, nämlich als ein „betäubter Pavian“. Wenn in der Früh der Wecker schrillt, heißt Susi ihn „Sau“. Die Leute sind meist „im Öl“ und werden der Einfachkeit halber nur die „Fertigen“ genannt. Die ehemals Angebetete „fäult“ in der Früh aus dem „Maul“ und hält sich, als ob sie eine Fremde wäre, das Kleid vor die „Tutten“; auf den Geruch des Weins vom Vortag reagiert Susi mit „Bröckerlhusten“.

Es ist die Sprache des Rotzbuben und der Unkultur, die Glavinic mit seinem Buch zu einem nicht unpassenden Zeitpunkt in die österreichische Literatur bringt. Eine Sprache, die an Brutalität und Verachtung nichts verbirgt und die selbst nur von einer dünnen gesellschaftlichen Patina verborgen ist: Wenn man zu Herrn Susis Haberern zählen will, „titschkerlt“ man zu Hause „säuisch“, setzt sich anschließend in den obligaten GTI und fährt in ein Lokal, das mit großer Wahrscheinlichkeit einen abgrundtief dummen Namen trägt. In einem solchen „Papperla-Pub“ wächst dann die Teufelsidee: Arnold Schwarzenegger höchstselbst ins Stadion zu laden.

Wenn ein Typ wie Susi es vermeint, tanzt selbst Hollywood nach einer Provinzpfeife. Die Wirklichkeit liefert für diese Implosion der ganz großen in der ganz kleinen Welt, bei der man als neutraler Beobachter nicht so recht weiß, welche von beiden mit der anderen mehr gestraft ist, noch viel stärker Beweise als Glavinics Buch. Warum man sich der abgefeimten Arroganz, die man in Blicken und Seitenblicken täglich frei Haus geliefert bekommt, im Falle von „Herrn Susi“ ein zweites Mal aussetzen soll, weiß ich nicht mit letzter Sicherheit zu sagen: Vielleicht auch nur deshalb, weil man den Mann dann – um in seiner Sprache zu bleiben – mit heruntergelassener Hose sieht.

Thomas Glavinic Herr Susi
Roman.
Berlin: Volk und Welt, 2000.
256 S.; geb.
ISBN 3-353-01152-8.

Rezension vom 25.02.2000

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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