#Roman

Herr Kato spielt Familie

Milena Michiko Flašar

// Rezension von Alexander Kluy

Eigentlich könnte es Herrn Kato gut gehen. Er ist Pensionist, bewohnt mit seiner Frau ein eigenes, kleines Häuschen, das oberhalb der eigentlichen Vorstadt liegt, in der er lebt. Soeben kehrt er von einer medizinischen Untersuchung zurück, zu der ihn seine Frau schickte. Befund: keiner, alles in Ordnung. „Als man ihm sagt, dass alles in Ordnung ist – keine Auffälligkeiten, nichts Besorgniserregendes – für sein Alter tipptopp –, da empfindet er neben der Erleichterung eine insgeheime Enttäuschung.“

So unaufgeregt-aufgeregt setzt Milena Michiko Flašars neuer, schmaler Roman Herr Kato spielt Familie ein.
Nicht viel passiert. Zum Spazierengehen hat ihn seine Frau, die am Ende ihren 58. Geburtstag sehr en passant begeht, verdonnert. Bewegung tut gut, auch wenn dies Herrn Kato sinnlos vorkommt. Sinnlos so ganz ohne Ziel. Und ohne Hund, der einen hinter sich herzieht. Dabei wäre ein kleiner weißer Spitz ein lang gehegter Traum. Einer der Spaziergänge, die so schnell absolviert werden, dass Herr Kato regelmäßig ins Schwitzen kommt, und das nicht nur, weil der Anstieg zum Haus lang und eher steil ist, führt ihn auf einen Friedhof neben einer Bahntrasse. Dort überkommt es ihn plötzlich und – er tanzt, zumindest bewegt er sich rhythmisch. Und wird ertappt! Eine junge Frau beobachtet ihn, spricht ihn an. Und verwirrt ihn. Weil alles so absurd verläuft, zumindest erscheint es ihm so.
Und doch reizt es ihn, die Telefonnummer anzurufen, die auf der Visitenkarte von Mie, wie sich die Frau nennt, aufgelistet ist. Wie sich herausstellt, ist sie Schauspielerin, mit besonderer Mission und sehr speziellen Aufträgen. Sie wird von Privatpersonen angeheuert, als „Stand-in“ zu fungieren. Sie verkörpert eine inexistente Tante, eine nichtvorhandene ältere Schwester auf einer Hochzeit oder auch eine verstorbene Tochter, damit beispielsweise die noch immer trauernden Eltern durchspielen können, wie die Tochter heute, mehr als zwölf Jahre später, aussehen würde. Herr Kato gäbe einen trefflichen Schwiegervater ab, oder einen Vorgesetzten, auch einen Großvater, meint Mie. Er macht tatsächlich bei solchen „Events“ mit. Manche rühren ihn emotional besonders an.
Dann trifft überraschend Herrn Katos hochschwangere Tochter ein, übernachtet nach einem Streit mit ihrem Mann bei den Eltern, reist am nächsten Tag wieder ab. Sie bittet ihn, ihre Mutter, die neuerdings wieder Tanzstunden nimmt, auch einmal zu überraschen. Als Surprise, denkt sich Herr Kato, sind rote Rosen immer geeignet. Er lässt solche ohne Kärtchen nach Hause schicken und ist bass erstaunt, dass seine Frau kein Wort zu dem Strauß, der, wie er bekümmert feststellt, im Blumenladen imposanter wirkte, fallen lässt, und hat einen Herzanfall.
Sechs Monate später ist Herr Kato, der den Infarkt überlebt hat, Großvater und wohnt in einer neuen, günstiger gelegenen Wohnung. Im Zuge des Umzugs entdeckte seine Frau seinen abgegriffenen Paris-Stadtführer mitsamt einer Liste von Flugverbindungen in die französische Hauptstadt. Paris, das Reiseziel, das er jedem gegenüber angab, kurz bevor er in Pension ging. Nach Paris würden sie reisen, Paris! Aufgeschoben wie so vieles andere, unerledigt bisher, ein schwaches Echo einer schwachen Sehnsucht. Nun lernt Herrn Katos Frau Französisch, die Tanzstunden sind passé. Und er fühlt jedes Mal als erstes nach dem Aufwachen sein Herz schlagen.
Bereits Flašars vorhergehender Roman „Ich nannte ihn Krawatte“ aus dem Jahr 2012, mit dem die Autorin nach mehreren Publikationen im österreichischen Residenz Verlag zum Berliner Wagenbach Verlag wechselte, wo dieser Prosaband sich zum Best- und Steadyseller entwickelte, war eine bemerkenswerte Prosastudie über Labilität und Bewusstsein, über desperates Sichverlassen, Sichfinden, über Einsamkeit und den Spiegel der Wahrnehmung, der zu durchschreiten ist. Hiro, ein „Hikikomori“, einer, der sich zwanghaft in sein Zimmer zurückgezogen hatte, fand am Ende tatsächlich durch die Kraft der Gespräche zurück ins Leben, in die „Normalität“. Dass sich dramaturgisch einiges als Illusion erwies und dabei fast den Anschein auktorialer Trickserei beinhaltete, minderte zwar ein klein wenig die Tiefe der Gefühlsabgründe, reflektierte allerdings treffend die autistische Irritation und die Blindheit der Protagonisten, die einander wie wertvolle Koi-Fische umschwammen. Das Idyllische war weiterhin brüchig, und blieb es.
So auch hier.
Das Raffinierte von Flašars kunstfertiger, innere Monologen inklusive Gedankenabbrüchen subtil widergebender Prosa ist, dass der Protagonist dem Publikum auf ganz leichthändige Art und Weise ans Herz wächst. Dabei geizt Flašar nicht mit Ironie und mit ironischer Fallhöhe, teils ganz buchstäblich, mit gewöhnlicher Hybris und mit Anflügen aufflackernden Jähzorns. Aber wie sie nachzeichnet, wie kleine Träume erst dürr werden und schließlich absterben, ohne dass dies fundamentale existenzielle Tragödien nach sich zieht, dass dies vielmehr ganz alltäglich ist, jenseits massiver Trauer, das macht dieses Buch so weise, berührend und überzeugend. Ein für die Gegenwart, erst recht für die literarische Gegenwart ungewöhnlich zärtlicher Roman ist dies. Ein schmaler. Und dabei ein großer.

Milena Michiko Flašar Herr Kato spielt Familie
Roman.
Berlin: Wagenbach, 2018.
176 S.; geb.
ISBN 978-3-8031-3292-5.

Rezension vom 02.02.2018

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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