#Roman

Helena

Selma Mahlknecht

// Rezension von Florian Müller

„Worte konnten meine Schönheit nicht besingen, Bronze sie nicht nachformen, nichts kam mir gleich.“ Am Anfang des Romans ist Helena durchaus noch das, was Mann sich von ihr erwartet: Eine griechische Schönheit, um die mutige Helden auch schon einmal Kriege führen. Sie ist aber noch ein Kind, und so werden ihr jene Männer, die es dennoch nicht lassen können, ihre Schönheit in Worte zu kleiden, bald einmal zu viel. Für ihre erste Entführung durch Theseus und Perithoos ist sie also durchaus dankbar, auch weil sie bei dieser Reise Aithra kennenlernt, Theseus‘ Mutter, die fortan ihr Leben begleitet und sie gleich einmal darüber aufklärt, warum Männer so komisch sind: „Wir sind ihnen unheimlich.“ Beim Wiedereinzug in Sparta werden Heldentaten besungen, die ihre Brüder gar nicht begangen haben und Helena fühlt sich das erste Mal so richtig als Opfertier.

Selma Mahlknechts Neuerzählung des klassischen Stoffes, die auf lästige Hexameter verzichtet und deren Sprache dennoch nicht einer hellenistischen Schönheit entbehrt, wirft auf so einige Episoden Homers ein anderes Licht, und das nicht nur, weil die Ereignisse in erster Person aus der Perspektive der Helena geschildert werden. Als sie sich redlich Mühe gibt, nach dem Willen ihres Vaters nun endlich eine Entscheidung zwischen den unzähligen Freiern zu treffen, erklärt ihr Aithra abermals die Welt: Alle Freier seien die Richtigen, nur sie sei die Falsche. Nach dieser nicht sonderlich hilfreichen Anmerkung ist es der für seine Irrfahrten bekannte Odysseus, mutmaßlich also eine unheimlich zerstreute Person, der Helena in der Gewissheit seiner Unwissenheit fasziniert: „Ich bin ein Suchender.“ Enttäuscht davon, dass Odysseus Helena nicht Teil dieser Suche werden lässt, befolgt sie zumindest seinen Rat und wählt den Schwächsten aller. Und so kommt der knabenhafte Menelaos zum Zug, der sich in weiterer Folge aber auch nicht dem Zwang entziehen kann, einmal ein Held sein zu wollen.

Die Entscheidung endlich getroffen, wird Helenas Leben nicht unbedingt einfacher: Ihr erstes Kind nimmt ihr der Tod nach wenigen Monaten, Hermione und Nikostratos brechen mit ihrem Vater zum Begräbnis des König Katreus von Rhodos auf. Weil sie während deren Abwesenheit schwanger entführt wird, sieht sie auch diese Kinder nicht wieder. Ihr Sohn Aganos wird ihr schließlich von ihren Peinigern Paris und Hektor entrissen und sie selbst gegen Waren als „Milchkuh“, also als Amme, nach Ägypten eingetauscht, oder in das Schwarze Land, wie es in dem Roman genannt wird. Dort wird sie für Nofret wohl das, was Aithra in ihrem Leben geworden ist. Auf Helenas Raten entkommt die anfangs fünfzehnjährige Nofret ihrem Schicksal als Nebenfrau durch Bildung. Sie beugt sich nicht dem Druck, Gebärmaschine für Thronfolger zu sein, wie es Helena einst in Konkurrenz zu ihrer Halbschwester und ewigen Gegenspielerin Klytaimnestra zuließ. Über einen wandernden Künstler erfährt sie von den Kriegen, die in ihrer alten Heimat angeblich ihr zuliebe Not und Elend verbreiten. Nach Sparta kehrt sie – entgegen der antiken Version – nicht zurück und lernt am Ende der Erzählung dennoch, anzukommen, wenn ihr das Leben schon gelehrt hat, Abschied zu nehmen.

Ähnlich wie Selma Mahlknechts vorangegangener Roman „Es ist nichts geschehen“ ist auch dieses Werk in relativ knappe Kapitel eingeteilt, jedes Kapitel scheint vor allem der fünften Regel zu entsprechen, die Horacio Quiroga im Dekalog für den perfekten Kurzgeschichtenautor aufgestellt hat: „Beginne nicht zu schreiben, ohne vom ersten Wort an zu wissen, wohin du willst.“ Die Erzählung weiß also präzise, wo sie hin will, die Sprache dazu ist schön und dennoch klar wie die griechische See, Umweltschäden nicht mit eingerechnet. Dieses Phänomen der mahlknecht’schen Sprache sorgt dafür, dass das Buch eine unheimliche Kurzweiligkeit ausstrahlt, auch für Menschen, die grundsätzlich nicht auf klassische Stoffe fliegen. Wenn Wikipedia also in seinem als „exzellent“ ausgezeichneten Artikel über Homers „Odyssee“ dessen literarische Bearbeitungen mit Vergils „Aeneis“, dem arabischen Märchen „Sindbad der Seefahrer“, Goethes „Faust“, Jule Vernes „Kapitän Nemo“, James Joyces „Ulysses“ und Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ angibt, so ist der Eintrag umgehend um Selma Mahlknechts Helena zu erweitern.

Selma Mahlknecht Helena
Roman.
Bozen: Raetia, 2010.
216 S.; geb.
ISBN 978-88-7283-384-1.

Rezension vom 10.01.2011

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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