In Gustav Ernsts jüngstem Roman Helden der Kunst, Helden der Liebe sitzen zwei alternde Schriftsteller miteinander im Auto. Sie sind unterwegs nach Frankfurt zu einer Lesung. Und sie kennen einander seit Jahrzehnten. Da werden alte Geschichten und neue Wehwehchen besprochen. Da geht es ums Schreiben und um Sex. Da sitzen zwei scheinbar Abgeklärte, die ganz genau um ihre Bedeutung wissen und doch lauernd um den heißen Brei der Blößen und Erfolge anderer schleichen. Sie erfinden im Gespräch die alten Zeiten neu, erinnern sich, woran sie sich erinnern wollen, interpretieren so, dass sie dabei gut dastehen. Schneidig. Lustig. Frech. So wie sie gern gewesen wären. Oder vielleicht auch wirklich waren. Wer weiß das heute schon noch so genau?
Sie haben es beide zu etwas gebracht. In einem gewissen Rahmen versteht sich. Einem Rahmen, in dem man ihnen für die Teilnahme an einer Diskussion (oder ist es doch eine Lesung?) so um die 900 Euro (oder sind es doch nur 700?) bezahlt. Wen kümmern die Details – was sind diese betrieblichen Rahmenbedingungen schon im Vergleich zu den eigentlich wichtigen Dingen des Lebens: den eigenen Befindlichkeiten der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft?
Während die beiden Dichterfreunde in die Literaturstadt Frankfurt reisen und sich bei der einen oder anderen Raststätte das eine oder andere Gläschen genehmigen – kannst du noch fahren? –, ergötzt sich der daheimgebliebene Literatenkreis an den Freuden der städtischen Gastronomie. Je nach Tageszeit in der passenden Location: Café Prückel am Vormittag, Café Hummel zu Mittag, Café Ritter am frühen und Bräunerhof am späten Nachmittag, Café Museum am Abend, Alt Wien vor Mitternacht und Café Engländer bis zur Sperrstunde; in wechselnder Besetzung – nicht einmal „Betriebsnudeln“ treiben sich konsequent von früh bis spät herum.
Den Autobahndialogen werden Kaffeehausmonologe gegenübergestellt, subjektive Theorien, Systembetrachtungen, Bonmots, literarische Fußnoten und Notizen zum Schreiben, zu Preisverleihungen, Verkaufszahlen oder die eine oder andere private Anekdote. Jede/r nimmt vor allen Dingen sich selber wahr, die eigene möglichst pointierte, möglichst gelungene Ausdrucksweise – aber ist das nicht oft so?
Gustav Ernsts „Helden der Kunst“ hegen und pflegen ihre kleinen Schwächen. Sie wissen wohl auch darum und erlauben sie sich (hin und wieder). Der Roman ist aber – ganz anderes als Thomas Glavinic‘ „Das bin doch ich“ – keine schonungslose Abrechnung mit allerlei Peinlichkeiten, sonder vielmehr eine ironische Bestandaufnahme, nicht ohne Sympathie und Augenzwinkern. Ernst stellt weder sich noch andere bloß. Er nimmt das alles aber auch nicht ganz ernst.
Der Roman besteht beinahe ausschließlich aus Dialogen und Monologen – das dramat(urg)ische Element wirkt bei Gustav Ernst auch in die Prosa. Und so „prosaisch“ ernüchternd seine Helden der Kunst, Helden der Liebe sich auch in einem ganz unheldenhaften Alltag wieder finden, so sehr können sie sich aber immer noch dafür begeistern, einmal wieder so richtig unvernünftig zu sein. Am Ende besteht doch noch Hoffnung. Durch die dicke Schutzschicht des älter, angepasster, braver gewordenen wertvollen Mitglieds der Gesellschaft schimmert doch noch ein bisschen Abenteuerlust (braucht man die nicht ohnehin schon, um überhaupt schreiben zu können?) – und die beiden gönnen sich am Ende einen Ausreißer, ein bisschen Ungewissheit (auch wenn es nur eine ganz kleine ist), und die Leser/innen freuen sich für sie.
Schließlich: Schriftsteller sind auch nur Menschen.