Heinz und sein Herrl ist das Romandebut der 1969 in Mödling geborenen Autorin Eva Woska-Nimmervoll, die als freie Journalistin, Texterin und Schreibpädagogin in Baden bei Wien lebt. Mit Auszügen aus diesem Roman wurde sie 2018 zum renommierten Floriana Literaturpreis eingeladen.
Das Herrl ist ein literaturaffiner älterer Mann, der sich aufgrund von Angstzuständen und Panikattacken dem genormten Arbeitsalltag entziehen und deshalb schweißtreibende Besuche beim Arbeitsamt auf sich nehmen muss. Das Herrl bleibt im Roman namenlos, lebt zurückgezogen in einem Wiener Gemeindebau in Favoriten, stickt abends und hat einen guten Freund, Hans. Ein ehemaliger Junkie, der seinen Alltag mit einer viel zu jungen Freundin und bei heißem Wetter am liebsten splitternackt verbringt. Er hat stets Zeit und ein offenes Ohr für das Herrl. Besonders wichtig wird neben dem Ohr auch Hans‘ Laptop. Denn das Herrl hat auf einer Demonstration eine jüngere Frau kennengelernt und ihre Mailadresse erhalten. „Ihr Gesicht ist Funkeln, Zucken, Unruhe. Augenbrauen, die über der Nase fast zusammenwachsen. Frida Kahlo ohne Schmuck.“ Eine zarte, ungewöhnliche Liebesgeschichte nimmt hier ihren Anfang. Kurz zuvor hatte das Herrl unbemerkt ein einzelnes Haar von dem Leibchen der unbekannten Frau gezupft und eingesteckt. Dieses Haar dient nun aus der Sicht des Herrls als idealer Anknüpfungspunkt für die erste Nachricht, „Ich habe ein Haar von dir gefunden. Du kannst es bei mir abholen.“ Das Herrl ist nun seit langer Zeit wieder in der prekären Lage, sehnsüchtig auf die Antwort einer Frau zu warten.
Die zweite große Aufregung
Zu dieser Aufregung kommt bald eine weitere hinzu. Das Herrl gerät in eine handgreifliche Auseinandersetzung mit seinem Nachbarn. Als dieser nach Heinz tritt, stößt das Herrl ihn mit dem Besen nieder. Kurz darauf stirbt der Nachbar, das Herrl hat die Befürchtung, an seinem Tod Schuld zu sein. Es traut sich tagsüber nicht aus der Wohnung, dieser Moment ist einer der berührendsten im Roman, da er auf zart-humorvolle Weise von widersprüchlichen Empfindungen erzählt:
„3.30 Uhr, der Handywecker läutet. Damit ich rechtzeitig aufstehe, um mit Heinz spazieren zu gehen, ohne dass mich jemand sieht. Ich war aber längst wach. (…) Heinz ist verwirrt, er musste eigentlich schon am Abend raus. Er hat gejault, dann gewimmert. Ich habe ihn mit Keksi bestochen. Mörder können am Abend nicht raus, Mörder können gar nicht raus. Die einen sitzen im Gefängnis, und das für viele Jahre. Andere im Dunklen. Sie führen ihre Hunde nur vor dem Morgengrauen Gassi. Wenn niemand auf der Straße ist.
Es ist nicht die schlechteste Uhrzeit. Ein blauer Hofer-Lkw. Zwei Taxis. Die Kirchturmuhr läutet vier Uhr. Heinz hält die Schnauze in die Luft. Die Nacht um diese Zeit riecht anders.“ (Vgl. Leseprobe)
Von Seiten der Polizei wird das Herrl bald von der Schuld freigesprochen. Dennoch bleibt die Unruhe, da es erpresserische Briefe von einem vermeintlichen Zeugen/einer vermeintlichen Zeugin erhält. Erst auf den letzten Seiten des Romans wird der/die TäterIn überführt. Dieses Spannungselement erweitert die Genrepalette des Buchs um einen Kriminalroman, ist allerdings nicht weiter relevant für den Lesegenuss, denn der Roman besticht durch zahlreiche Qualitäten.
Etwa wird die Mensch-Tier-Beziehung differenziert portraitiert. Wie schon der Titel verrät, ist neben dem Herrl der Hund Heinz die zweite Hauptfigur dieses Romans. Dieser Hund überrascht nicht durch besondere Fähigkeiten, doch gerade aufgrund seiner soliden, furchtlosen Art holt er das oftmals in Aufregung versetzte Herrl auf den Boden der Realität zurück. Heinz hat Wünsche und Bedürfnisse, die dem Naturell eines Hundes entsprechen, er ist neugierig verspielt und liebt seine Routinen. Eigenschaften, die nicht unbedingt auf das Herrl zutreffen, die es aber dem Herrl leichter machen, seinen Alltag zu bewältigen. Heinz wird jedoch nicht schablonenhaft skizziert. Hier tritt kein Hund auf, der bloß mit dem Schwanz wedelt oder jault, sondern ein Wesen, das bestochen werden kann, listig ist und viel Vertrauen in die Welt hat. Das Herrl weiß die Qualitäten von Heinz sehr zu schätzen. „Es ist schön, einen Hund zu haben, der Heinz heißt.“ So schlicht und schön kann ein Romanbeginn sein.
Ein stimmiges und facettenreichen Portrait
Überzeugend ist auch Woska-Nimmervolls klarer und dennoch erfinderscher Sprachstil. Auch wenn die Gedankengänge oft verschroben sind, die Sprache bleibt stets kurz und präzise. Dennoch findet frauman auch verspielte Elemente und Wortkreationen. So regnet es in der Welt von Heinz und seinem Herrl „kleintröpfisch“, das Herrl hat eine „Zeigezehe“ und als das Herrl im Bett seiner Freundin erwacht, stellt sich ein „zuhausiges Gefühl“ ein.
In den Beschreibungen steckt viel Empathie für die Figuren. Die verkorksten Seiten des Hauptprotagonisten werden nicht benutzt, um sich auf Kosten des Herrls lustig zu machen. Vielmehr gelingt der Autorin ein stimmiges und facettenreichen Portrait eines sensiblen Gemeindebaubewohners. Gleichzeitig legt Woska-Nimmervoll mit auffallender Beiläufigkeit die Struktur des Milieus rund um das Herrl offen. Im Zentrum des Romans stehen nicht die erfolgreichen AnzugträgerInnen der modernen Leistungsgesellschaft, sondern ZweiflerInnen an diesem System. Sie eifern keinen schillernden Trugbildern und Glücksverheißungen des Kapitalismus nach, finden nicht durch Selfies zum vermeintlichen Selbst und geben sich keinen Praktiken der Selbstoptimierung hin. Die Figuren, allen voran der Freund Hans und das Herrl, entwerfen keine großen Visionen des Aussteigertums, sie leben sie.
Der Roman wirft durch seine Figuren, den Plot und die Schauplätze zahlreiche sozialkritische Fragen auf: Wer bestimmt, welches Ausmaß von Arbeit normal ist? Welche Fähigkeiten benötigen Menschen für ein harmonisches Zusammenleben (im Wiener Gemeindebau)? Welche Funktion kann ein Tier im Leben eines Menschen einnehmen? Welche Facetten prägen den aktuellen Diskurs um Liebe und Zufriedenheit?
Einfühlsam, humorvoll und angenehm schräg fällt das Romandebut Heinz und sein Herrl von Eva Woska-Nimmervoll aus. Heinz und seinen Herrl nehmen einen freundlich mit zu schweißtreibenden Besuchen beim Arbeitsamt, ersehnten Ausflügen mit der Geliebten Irene oder täglichen Runden durch eine große wohnbauliche Instanz, den Wiener Gemeindebau. Auch wenn das Herrl ohne Namen bleibt, wird es rasch zu einem Vertrauten. Es hält die Tür zögerlich, aber doch bestimmt für die LeserInnen auf. Und Heinz sieht einen mit großen Augen an.