#Biografie

Heimgekehrt und fremd geblieben

Susanne Bock

// Rezension von Ivette Löcker

„Wien ist die Stadt, aus der mir die Flucht nicht gelang.“ Auf dieses Schicksal, von der Wiener Jüdin Ruth Klüger formuliert, beruft sich Susanne Bock in ihrer autobiografischen Erzählung „Heimgekehrt und fremd geblieben“. Die Autorin hat die Fortsetzung ihrer Autobiografie („Mit dem Koffer in der Hand“, 1999) geschrieben, in der sie die Jahre 1946 bis 1954 nach der Rückkehr aus ihrem unfreiwilligen Exil schildert.

Was weiß man schon von den Rückkehrern? Von den Menschen, die „ihr kleines, unbedeutendes, unbeachtetes, unscheinbares Leben (…) lieber in ihrer früheren, ihrer erinnerten Heimat weiterführen wollten“, fragt Susanne Bock und stellt dem Nicht-Wissen und dem damit drohenden Vergessen die Erzählung ihrer Lebensgeschichte entgegen. Der „einfache Mensch“ und die Details des alltäglichen Lebens stehen im Mittelpunkt. Sie will die Geschichtsschreibung nicht allein den Großen und Mächtigen überlassen. Schreiben und Leben werden für Susanne Bock auf diese Weise eins: Sie schreibt, um im kollektiven Gedächtnis weiterzuleben.

1946 kehrt Susanne Bock aus dem Exil in England in ihre Heimatstadt Wien zurück. Die junge Frau sieht sich mehreren großen Problemen gegenüber: Sie muss Arbeit und Wohnung finden, ihr Privatleben ordnen – und sich mit der Fremdheit in der einst vertrauten Heimatstadt zurechtfinden. Es fällt ihr schwer, sich in eine Gesellschaft einzufinden, die noch von den Spuren des Nationalsozialismus geprägt ist, wo der Antisemitismus deutlich spürbar ist und das Zusammenleben im geteilten, besetzten Land erst geregelt werden muss.

Die Autorin schildert sehr einfühlsam und manchmal sogar vergnüglich die verschiedenen Stationen ihres Überlebenskampfes in diesen Jahren. Mit beeindruckendem Elan schlägt sie sich durch und findet Jobs, die ihrem Kommunikationstalent entsprechen. Ihre Schilderungen machen erst klar, was es bedeutete, von weniger als 1800 Kalorien pro Tag zu leben oder kein Dach über dem Kopf zu haben – was für viele Flüchtlinge im Nachkriegs-Wien alltäglich war. Um jüdische Flüchtlinge und Auswanderer kümmert sich Susanne Bock während ihrer Arbeit beim „Joint“, einer amerikanischen Organisation. Als sie sich gewerkschaftlich für bessere Arbeitsbedingungen engagiert, wird sie von den Amerikanern als vermeintliche „Kommunistin“ enttarnt. Ihre kleine Wohnung in der Heumühlgasse verliert sie an ihren Vormieter, einen ehemaligen SS-Mann, der während der Nazizeit von den jüdischen Enteignungen profitiert hat und nach dem Krieg im Zuge der Entnazifizierung wieder gewinnt. Ihr privates Glück muss mehrere Proben bestehen – die komplizierte und bürokratische Scheidung von ihrem ersten slowakischen Ehemann und die Wiedererlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft, die Auseinandersetzungen mit der Familie ihres Freundes, die ihr fremd ist. Schlussendlich heiratet Susanne Bock ihren Jugendfreund Wolfgang und wird 1954 glückliche Mutter.

Für die Erzählung ihrer Lebensgeschichte wählt Susanne Bock die Erzählperspektive der dritten Person. Die Autorin der Gegenwart und die Protagonistin der Vergangenheit tragen beide den gleichen Namen. Was mag die Autorin bewegt haben, diese Perspektive zu wählen? Ist es die Distanz der Jahre, die sie von der Frau, die sie einmal war und die sie hier beschreibt, trennt? Denn dieser erzählerische Kunstgriff schafft eine Distanz zu den Personen und Ereignissen – das autobiografische „Ich“ ließe ein viel emotionaleres Erzählen zu. Auch wenn es der Autorin gelingt, schwungvoll erzählend auf diesen Lebensabschnitt zurückzublicken, so fehlt dem Erzählten doch die Kraft des authentischen „Ich“. Andererseits vermag das Erzählen aus der dritten Person einen sachlicheren Blick auf die Vergangenheit zu werfen. Vielleicht wollte sich die Autorin so eine gewisse neutrale Urteilskraft über ihr eigenes Leben bewahren – mit einem allgegenwärtigen, selbstironischen Augenzwinkern.

Mit dem Jahr 1954 enden die Aufzeichnungen von Susanne Bock. In einem Epilog zeichnet die Autorin knapp ihren weiteren Lebenslauf nach: Es ist die Geschichte einer tatkräftigen Geschäftsfrau, die nach ihrer Pensionierung das Studium der Sprachwissenschaft beginnt und erfolgreich abschließt. Erst während des Studiums habe sich endlich die Fremdheit, die sie nach ihrer Rückkehr gefühlt habe, verloren.

Susanne Bock Heimgekehrt und fremd geblieben
Eine alltägliche Geschichte aus Wien 1946 bis 1954.
Strasshof: Vier-Viertel-Verlag, 2003.
244 S.; geb.; m. Abb.
ISBN 3-902141-08-5.

Rezension vom 03.09.2004

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.