#Prosa

Have a Nice Trip

Dieter Sperl

// Rezension von Stefan Schmitzer

Fangen wir mit der Frage nach der korrekten Gattungsbezeichnung an. Have a Nice Trip von Dieter Sperl als „Aphorismenband“ zu beschreiben, wäre nicht ganz daneben, würde aber ungefähr die Hälfte der Textabschnitte in ein unangemessen enges Korsett zwingen. „Experimentelle Folge von Kurzprosen“ stimmt dagegen nur, wenn wir betonen, dass experimentell vor allem die Aufeinanderfolge und Verknüpfung dieser Texte ist, kaum aber Sperls Prosa selbst. Ein reduktionistischer „Essay“ oder „Feuilletontext“ wiederum ist das Buch bloß ganz am Beginn –

„Ich frage mich, wer ich denn eigentlich bin, und ich frage mich, was ich denn überhaupt vorhabe auf dieser Welt, und natürlich frage ich mich auch, wer die anderen eigentlich sind und was die anderen überhaupt vorhaben auf dieser Welt. […]“

– bevor es sich schon im dritten Absatz, am Anfang der zweiten Textseite, von den Sicherheiten dieses Stils (inhaltlich möglichst sorgfältig-reflexiv, formal dabei möglichst einfach, möglichst un-meta, eben: Feuilleton) abwendet, um statt dessen deutlich zu machen, dass auf den folgenden knapp 150 Seiten die Sprechhaltungen, Formen und Schauplätze recht häufig und recht abrupt wechseln werden:

„Als Pirat hatte ich mein Erzähler-Leben angefangen. Ich wollte Untertan einer sagenumwobenen Piratenkönigin sein. […]“

Legen wir also Have a Nice Trip provisorisch unter „Meditation“ ab; als „Trip“ im Sinne psychedelischer Pop-Spiritualität. Gegenstand dieser Meditation, oder dieser Serie von Meditationen, ist die Individuation jenes Ich, das sich im zitierten ersten Satz schon den letzten Dingen (in der Version der Psychoanalyse) zuwendet; wir folgen ihm auf doch sehr verschlungenen Pfaden an sehr unterschiedliche – und definitv an unterschiedlich interessante – Schauplätze.

Da gibt es einerseits die Stellen, die sich als „naive“ Erinnerungen (nach mehr oder weniger erkennbaren, mehr oder weniger ausgestellten Prozessen der Selbstzensur und Inszenierung) unseres Protagonisten-Ich darbieten; dann gibt es plötzliche, tendenziell sprachspielerische Momente; schließlich Abschnitte, die einer, siehe oben, mystisch-psychedelischen Denk- und Sprach-Welt verpflichtet sind. Das ganze Buch funktioniert aufgrund von Sperls durchgehaltenem Gestus von unvoreingenommener, lückenloser Innenschau. Das fordert einerseits Mut zum, sagen wir, „unsauberen Gedanken“, oder sagen wir „unehrlichen Selbstgespräch“ – wie es aber als paradoxes solches gleichwohl Teil der seelischen Wirklichkeit ist und damit hineingehört in die Reiseroute dieses „Trips“. Das fördert andererseits auch haufenweise kondensierte Stories und auf verschiedene Arten aufeinander bezogene Bildwelten zutage, auf die wir uns gerne einlassen.

Es sind die apodiktischeren Einzelsätze und ihre unausgesprochenen Voraussetzungen, insbesondere, wenn es in die spirituellen Aspekte dieser Textfolge geht, die mich jeweils aus dem Lesefluss hinauswerfen:

„Absichtslose Schritte heilen und beschützen dich.“
„Ich lebe im Herzen Gottes.“
„Was ist dein Auftrag, Frau, und was deiner, Mann?“

Dass das in einem Bewußtseinsfluß schon mal tatsächlich genau so vorkommen wird, glaubt man gerne. Trotzdem sind es eher die ganz anderen Stellen, jene, die nicht oder nur zum Spiel apodiktisch sind, die uns beim Text und auf dem „Trip“ halten:

„In einer Zeitung lese ich, dass die vor allem unter Kindern sehr beliebten Fischstäbchen vom Aussterben bedroht seien.“

„Äpfel die nicht faulen auf dem Höhepunkt ihrer Jugend von einem Wimbledon-Sieg zum nächsten weitergereicht wenn du aufgewacht bist als Elvis in den Casinos von Vegas von einer kreischenden Masse umgeben […]“

„Chor spricht:
Oben-unten-rechts-links-weit-nah-schnell-langsam-etc.
Oben-unten-rechts-links-weit-nah-schnell-langsam-etc.[…]“

Einer meiner liebsten Absätze in dem Band ist dann wiederum einer, der ausserhalb eines solchen, aphoristisch voranschreitenden Trip-Buches kaum funktionieren würde:

„Ich will nicht blöd sterben. Einfach nicht mehr da sein. Reicht völlig aus.“

… Es gibt konventionell erzählte Spielfilme, in deren Handlungsverlauf ein LSD-Trip, eine ausgedehnte Meditations-Session, ein religiöses Ritual oder etwas Ähnliches die Austragung und Lösung eines Konflikts katalysiert – inklusive rauschhaft-halluzinatorischer Epiphanie des Protagonisten. Der kommt dann typischerweise aus diesem Erlebnis heraus und „weiß, was nun zu tun ist“. Jene Filme versuchen meist gar nicht, den „Trip“ auch darzustellen, bzw. sie beschränken sich auf das Montieren symbolisch aufgeladener Bildchen und Sounds.

Wir müssen uns Have a Nice Trip als einen 150-seitigen Text vorstellen, der nur aus diesem sonst ausgesparten Teil einer solchen Story besteht. Was das Buch davor rettet, wie eine beliebige Aneinanderreihung von Momentschnipseln zu wirken, ist, dass diese Story gerade eben noch erahnbar ist, oder sagen wir es anders: Dass das „auf Trip“ befindliche Textsubjekt selbst sich nicht, wie es die Sprachebenen und Bilder tun, unter unserem Zugriff die ganze Zeit verändert.

Have a Nice Trip.
Kurzprosa.
Wien: Klever Verlag, 2016.
150 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-903110-12-0.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 03.10.2016

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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