#Lyrik

haust der wind in deinem haar

Traude Korosa

// Rezension von Günter Vallaster

Er zaust nicht, er haust, der Wind, in Traude Korosas Lyrikband, der mit sechs Grafiken von Ines Eck, einer Grafik von Pauline Eck und einem Nachwort von Evelyn Steinthaler („Wanderins Schatten“) versehen ist und der sich vom jungen, engagierten Literaturverlag Luftschacht im Rahmen der Reihe „autorenmorgen“ insgesamt als sehr ansprechend gestaltet präsentiert.

Im Sprachgebrauch ist „hausen“ in den Bedeutungen „wohnen“ und – übertragen – „wüten“ bekannt und mit dieser dialektischen Ambivalenz ist schon das lyrische Programm vorgegeben: das Aufbrechen als einzige Möglichkeit in einer scheinbar gemütlichen Welt, in der auch die Schriftzeichen auf Sturm stehen.

Die sieben Gedichtzyklen des Bandes beeindrucken zunächst einmal mit ihrer Vielfalt poetischer Verfahrensweisen: Jeder Zyklus ist anders und gemeinsam ist allen Gedichten eine musikalische Rhythmik, verstärkt durch refrainartige Wiederholungen von Wörtern und Versen. Somit liest sich das Gedicht mit dem Titel „Lyrik“, das den Zyklen einleitend vorangestellt ist, auch wie eine Ouvertüre, in der in nuce die poetologische Verfahrensweise dargelegt und Lyrik-Reflexion betrieben wird.

Der Stoff, aus dem die Sprache ist, wird zunächst mikroskopisch analysiert: „Normative Gesichtspunkte / vermischen sich mit / kristallinen wortelin“ – womit die Sprachmatrix abgesteckt ist, um über „Träume“ und „Sprachtropfen“ auf die Ebene der Gefühle zu gelangen: „Herzeleid und / Minnefreuden bilden / Sprachtropfen // Die direkt in die Herzen / fallen und dort zu / Wirklichkeiten werden“ (S. 7). Die mittelalterlichen Bezeichnungen „Herzeleid“ und „Minnefreuden“ erscheinen nicht nur als eine Reminiszenz, sie lassen Lyrik ganz allgemein als einen textuellen Archetypus erscheinen, der immer wieder neu geschrieben wird.

Vielfältig sind die Themen, denen sich die Zyklen widmen, wie schon an manchen Überschriften erkennbar ist: mystisches Gehen bis auf den Grund in „Mystische Reisen“, der Lauf der Jahreszeiten in „(Jahres-) Zyklus der Wanderin“, die Sprache in „L@utM@lerey“, Liebe und Landschaft in „Plataria“, Zeit, Raum und Musik in „loser lyrikreigen“, Widmungen an Verstorbene, die für die Autorin eine große Bedeutung haben, in „Requiem“ und Krieg in „Inferno“.

Das Eintauchen in die Gedichte bringt zu Tage, dass in jedem Zyklus noch viel mehr thematisiert wird. Die „Mystischen Reisen“ erscheinen wie ein Versuch, die entfremdeten Wörter wieder ganz konkret auf den Boden zurückzuholen, wodurch es dem Ich wieder möglich wird, andere Häuser zu bauen, um sich dort zu verorten – ob nun in einem „Wasserhaus“ (S. 11), „Luftschloss“ (S. 12) oder „Nordhaus“ (S. 13). Dass die Welt keine gemütliche und gute Stube ist, zeigt der „(Jahres-) Zyklus der Wanderin“. In dem hier beschriebenen Jahreslauf ist es überwiegend eisiger Winter, nur ansatzweise kommt Frühlings-, Sommer- und Herbststimmung auf. Die acht Gedichte in diesem Abschnitt ergeben in Summe eine Geschichte, nämlich über die Wanderin, ihr Leid, ihr Fremdsein und ihren Aufbruch.

Mit den beiden At-Zeichen, vulgo Klammeraffen, die wie ein Augenpaar wirken, wird der „L@utM@ler“ zur personifizierten Sprache, zu einem Kobold, der seine Späße treibt, herumhüpft, Handstand macht und mit dem Pinsel in der Hand die Welt und das Ich mit Sprache ausmalt: „L@utM@ler / bildert / zimmer / um / zimmer / mir / in / meynem / unterstand / L@utM@lert / pinsel / um / pinsel / ulmige / schatten / in / meyn / blaetterhaus“ (S. 39).
„Plataria“ – ein griechisches Dorf am Mittelmeer – präsentiert die Liebe als Landschaft und die Landschaft als Liebe, eine Reise in die Sehnsucht und ins Du: „lockend / bringt mich zu fall / ein wort ein blick / ein lied / ein gemeinsames / zwischen uns / darauf reisen wir / in dich und in mich …“ (S. 56).
Im „losen lyrikreigen“, dem längsten Abschnitt des Buches, finden sich überwiegend Texte, die auch zu den meisten anderen Zyklen passen könnten. Lyrisch verarbeitet werden hier unter anderem die Jahreszeiten, Träume, der Tod oder die Sprache, letztere exemplarisch in „Intercido: … sinnentleert / taumelt der satz / von mensch zu mensch …“ (S. 70).
Ästhetisch anregend und innovativ sind die Gedichte, in denen einzelne Wörter hochgestellt sind. Dadurch werden zum einen Wörter in Wörter gepackt oder aus ihnen herausgelöst, zum anderen ergeben sich in Summe Subtexte, gleichsam Gedichte im Gedicht.

Traude Korosas Literatur ist immer politisch. So werden in den beiden letzten Zyklen tragische gesellschaftliche Zustände und einige daraus resultierende tragische Schicksale literarisch vergegenwärtigt sowie auch einige verstorbene KünstlerInnen gewürdigt, was die Nähe der Kunst zur Politik – gerade bei Korosa – deutlich zum Ausdruck bringt. In „Requiem“ erhalten der Kosovo, die vergewaltigten und ermordeten Frauen und Mädchen des serbisch-bosnischen Krieges, Markus O., der afghanische Bub Hamid S., der fünfjährig aufgrund vorenthaltener medizinischer Behandlung in Österreich sterben musste, die BewohnerInnen von Rua, die mexikanische Künstlerin und Aktivistin Frida Kahlo, die älteste überlieferte deutschsprachige Dichterin Frau Ava, H. C. Artmann, Paul Celan, der russische Lyriker Sergej Jesenin und die russische Schauspielerin Vera Fedorova eindringliche lyrische Denkmäler.

Der Schrecken des Krieges wird in „Inferno“ deutlich beim Namen genannt, die Welt steht lautlich in unmittelbarer Nähe zur Gewalt: „… tritt der Welt Gewalt / in die Augen …“ (S. 137). Im Gedicht „Krieg“ tritt schlagend die zeitliche und räumliche Dimension des Wörtchens „vorbei“ hervor, seine Totalität und Endgültigkeit: „… überall grinsend / die schaurige Maske / des Todes vorbei vorbei / sie hetzen die Schergen / sie meucheln sie morden / die Schergen das Gewehr / im Anschlag // vorbei vorbei“ (S. 141). Rechts um in den Abgrund geht es im letzten Gedicht, in dem die Wörter in Reih und Glied illustrieren, wohin Zucht und Ordnung im Namen des Rechts führen „… und genormt und Rechts / und geradeaus und Rechts / geradewegs und Rechts // in den Abgrund“ (S. 142).

Die Grafiken von Ines Eck und Pauline Eck wirken wie emblematische Umsetzungen der Zyklen. Die Welt wird darin personifizierend konzentriert, zum Beispiel auf ein Haus (vor den „Mystischen Reisen“) oder auf die Natur (vor „(Jahres-) Zyklus der Wanderin“) bis zur schwarzen Fläche vor „Inferno“, die an die schwarze Seite in Laurence Sternes „Tristram Shandy“ oder das „Schwarze Quadrat“ von Malevi erinnert.

„Ihren Worten ist nicht zu entkommen“, schreibt Evelyn Steinthaler im Nachwort (S. 144) und: „Sie ist die Wanderin von der sie schreibt“ (S. 147). Dem ist nichts hinzuzufügen, außer dem Band viele viele lesende Mitwanderinnen und -wanderer zu wünschen.

Traude Korosa haust der wind in deinem haar
gedichte.
Wien: Luftschacht, 2004.
156 S.; brosch.; m. Abb.
ISBN 3-902373-05-9.

Rezension vom 06.09.2004

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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