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Halber Flügel

Günter Eichberger

// Rezension von Roland Steiner

Gemischter Satz.

Nach Gastspielen im Sonderzahl Verlag (Essayband) und in der Edition Keiper (Stadtchronik) kredenzt der steirische Vielschreiber Günter Eichberger über seinen Stammverlag nun gemischt ausgepflanzte Textsorten: Neun Prosastücke, eine Sammlung von Aphorismen und Notaten sowie Gedichte sind es, die Einblick geben in die Vielseitigkeit des 1959 geborenen Sprachspielers.

Eine Festrede in Bernhard’scher Manier eröffnet den Band: Trotz einem Fettklumpen im Hals wettert der Redner gegen die Geschichtsverdrängung und Opferstilisierung der Österreicher, für die Kunst bloß „Aufputz bei Gedenkfeiern für unsere glückliche Amnesie“ (9) sei, und gegen den österreichischen Charme als „Krankheit, die aus ansteckend übler Laune entstanden ist“ (15). Inhaltlich sticht dieser Text ebenso wie jener eines Familienmörders heraus – die anderen sieben Prosatexte sind Architekturphantasien –, perspektivisch hingegen sind sie allesamt Monologe. In „Blindwütige Nacht“, dem besten, wütet ein Schlächter seiner Familie, PR-Fachmann und Politiklobbyist, aus der Kerkerhaft an gegen sich und die Welt, versteht seine delirierende Suada als Plädoyer und lässt sie kulminieren in der Behauptung, seine Axt hätte bloß seine Männlichkeit ausgedrückt. Drastik im Stakkato und wortspielerische Satire fließen hier ineinander.

Gottfried Semper, Hamburger Theoretiker des Historizismus und Architekt, tritt in der Erzählung „Hasenauer“ ebenso als (wenngleich bloß verbaler) Wüterich auf. Durch das imperiale Wien streifend, schimpft er auf seinen ihm oktroyierten Kompagnon Carl Freiherr von Hasenauer, der Schuld haben wird, dass Semper sich vom Bau der Hofburg und des Burgtheaters zurückzieht und die Metropole mit ihrer Schrebergartenmentalität verlässt. Sein Stolz, mit Richard Wagner das Dresdner Opernhaus angezündet und an der Revolution von 1848 teilgenommen zu haben, wird in „Wir Altachtundvierziger“ wiederkehren. Ruhiger gerät „Der Biomorphinist“: Hier beobachtet der Erzähler den Hausbau einer Beutelmeise, der ihn an seinen Vater erinnert. Mit ihm, einem visionären wie unverstandenen Architekturkritiker, lebte er einst mutterlos in Baumhäusern und Höhlen. Von Unverstandensein und Visionen, aber auch von Analogien zwischen Bau- und Sprachkunst zeugen desgleichen Eichbergers Aphorismen und Tagesnotizen.

„Meine Aufgabe im Leben: Luftschlossbaumeister.“ (19) Reflexionen über das Schreib- und Sozialleben und pointiert philosophische Skizzen wechseln sich ab mit Beobachtungen des direkten Umfeldes, Eichberger distanziert dabei das denkende und notierende Ich in die dritte Person. Die Einsamkeit dieser Benennungs- und Deutungsmacht kann zu Trauer führen, aber auch zu sanguinischen Phantasien, etwa wenn das Schlaraffenland für Trinker oder Pornos mit dem Titel „Deep Thought“ ersonnen werden. Der Autor dekonstruiert Träume und Redensarten, lamentiert über eigenes Unvermögen und das Unverständnis der Außenwelt, schreckt nicht zurück vor Plattitüden und Kalauern – „Andere Menschen haben Freunde, ich habe Ärzte.“ (62) – und gibt paradoxe Erkenntnisse wieder: „Nachdenken: Am eigenen Schopf tief in den Sumpf hineinziehen.“ (26) Auf die Dauer hätten reine Notizen – wie Peter Handkes „Ein Jahr aus der Nacht gesprochen“ – den Leser wohl ermüdet, die Unterbrechung durch Lebensrückblicke in sehr gelungener Gedichtform und Prosastücke tut dem Band gut.

In den für das Architektur-Internetportal GAT verfassten Baukunstphantasien beweist Eichberger die Ähnlichkeiten, bisweilen Übereinstimmungen mit der Literatur, etwa wenn der amerikanische Performancekünstler Gordon Matta-Clark Häuser mit der Kettensäge bearbeitet, um sie vom Gefängnischarakter zu befreien – nicht anders agiert der Sprachdekonstrukteur. Im auf lakonische Art witzigen Stück „Die Bedeutung des Unsichtbaren“ voll trefflicher Portraits monologisiert Rem Koolhaas über sein aus Worten bestehendes Haus, wohnt Zaha Hadid in einem „betonierten Blitz“ (50) und ist Daniel Libeskinds Bau seinen Handflächen nachempfunden. Denn Architektur sei, so der gegen stil- und geschichtslose Scherzbauten der Postmodernde ironisierende anonyme Architekt in „Eine Psyche wie ein Schlafzimmerschrank“, die „Konditionierung eines psychologischen Zustands.“ (61) Erkenntnisse wie diese sind die Verstrebungen des „Flügels“ aus hell-dunklen Selbstbespiegelungen und luziden Kunstphantasien, die Günter Eichberger zu einem geschmackvollen Mischsatz keltert.

Günter Eichberger Halber Flügel
Prosatücke, Aphorismen, Gedichte.
Klagenfurt, Graz, Wien: Ritter, 2010.
120 S.; brosch.
ISBN 978-3-85415-462-4.

Rezension vom 15.02.2010

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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