Faktum ist, dass das, was – neben seiner Lyrik und Prosa – an Dramen vorliegt, von beachtlichem Umfang und längst auch in den Köpfen der Germanisten und auf dem Theater angekommen ist: 40 Theaterstücke nämlich, Minidramen, Ministücke, Dramolette, Parodien, auch größere, mitunter Fragment gebliebene Werke, die allesamt deutlich etwas anderes sind als bloß „Skeletterl mit a bisserl Fleisch drauf“.
Keine leichte Aufgabe also, bei so viel diabolischem Widergeist eines Autors dessen Stücke in den Griff zu bekommen. Sabine Kaar, Kennerin und Publikatorin zahlreicher Untersuchungen zu H.C. Artmann, hat sich systematisch mit dem dramatischen Werk des Autor befasst und ist, ausgestattet mit dem so geschmähten germanistischen Werkzeug, redlich auf Sinnsuche gegangen. Wir erfahren, in welchem literaturgeschichtlichen, spezifisch österreichischen Kontext der Autor und sein Werk anzusiedeln sind, wie die experimentelle Nachkriegsliteratur aussah (Gerhard Rühm, Konrad Bayer, Ossi Wiener), in welchen Traditionen und Kontexten die Stücke zu verorten sind und welche Rolle Wien darin spielt. Zweifellos, Artmann war ein enthusiastischer Leser, der frei über Versatzstücke verfügte, ein Kenner und Liebhaber der Theatertradtion, allem voran des Barocks (Opulenz, Desillusionierung), der Commedia dell’Arte, des Altwiener Volksstückes und des Kasperltheaters. Doppeltitel, irrwitzige Luftfahrten, holzschnittartige Figuren und Kanevasse (vor allem in „die mißglückte Lustreise“, „die liebe fee pocahontas“, „die ungläubige colombina“) geben davon Zeugnis. Ort, Zeit, Handlungslogik – das alles wird jedoch verweigert. Statt Sinn und Botschaft, Einfühlung und Belehrung sehen wir eine unbändige Sprachspiellust (wovon umfangreiche Namenlisten des Autors Zeugnis geben, die, neben der Figurencharakterisierung, rein dem Spiel mit Laut und Sprache gehorchen), überbordende Phantasie, Anspielungen und – im gleichen Atemzug – ihre Auflösung in Maskerade und Verkleidung. Anarchismus pur.
Es muss frustrierend gewesen sein, bei aller professionellen Systematik, bei allen Sinn-Verankerungsversuchen, mit denen die Verfasserin dem Leser unter die Arme greifen will, als Ergebnis immer ein „nicht-“ verzeichnen zu müssen (Titel: Fehlanzeige, Theater: eher im Kopf, Parodie: Bezug ungewiss, Inhaltsangabe: sinnlos, Sinnfrage: suspendiert). Vielleicht hätte die Interpretin bisweilen, einfach weniger gediegen, das Ganze selbst vom Spiel her, als Chaos, Anarchie und Groteske aufziehen sollen (Begriffe, die Sabine Kaar durchaus nennt), eingedenk ihres eigenen Fazits, dass traditionelle Analysen und Kategorien bei Artmann ja doch nie funktionieren. An Substanz mangelt es dieser Untersuchung jedenfalls nicht (materialreich, mit einer leserfreundlichen Zusammenfassung am Schluss, einem Verzeichnis der Sekundär- und Primärliteratur, einem Abriss kommentierter Rezensionen); Auskünfte über einen ideologie- und festlegungsresistenten Hochseilartisten und weit mehr als Nachrichten aus einem (dramatischen) Randgebiet der Literatur.