#Prosa

Grimms

Lisa Spalt

// Rezension von Günter Vallaster

Von Puppenmechanismen und Prinzenrollen

Die Prosa von Lisa Spalt ist Wortschach auf höchstem Niveau. Dazu gehört auch, dass dem König die Krone vom Haupt genommen, die Dame vom Sockel geholt und auf die Türme so manches Graffito gesprüht wird. Exemplarisch vorgeführt wird dieser poetische Ansatz in ihrem neuen Prosaband Grimms, der sich des Genres Volksmärchen annimmt. Das kritisch-analytische Märchenrecycling beschränkt sich dabei nicht darauf, so manche Grimmigkeit und ihre Verklärung aus den Märchenhöhlen zu holen, vielmehr geht es darum, das Märchen als allzu wohlige Hülle für heutige Lebensentwürfe, wie sie Erziehung und Werbung inthronisieren, zu enttarnen.

Rapunzel, Schneewittchen, der Froschkönig und der Machandelbaum – an der im Buch vertretenen Auswahl an Märchen aus Pärchen wird klar, dass insbesondere das Geschlechterrollenverständnis vor dem Hintergrund der durchfetischierten Warenwelt beleuchtet wird. Und die Spots sind hell und scharf. Da gibt es kein „Es war einmal…“, sondern nur beklemmendes „Es ist“. Das Erzählen ist hier immer Erzählreflexion, die schablonenhafte Märchensprache wird an jeder Stelle mit gekonnten Sprachkniffen aufgebrochen, die LeserInnen werden häufig nach dem Motto „Hallo, aufwachen!“ (und nicht wie Eltern zu ihren Kindern: „Schlaft jetzt bitte ein!“) direkt angesprochen. Die erzählende Instanz, auf- und abgeklärt auktorial, zieht sich immer wieder selbst in Zweifel, wodurch auch Slapstickeffekte entstehen. Ja, das Märchen ist hier Material, wird nach allen Regeln avancierter Wortspielkunst geschupft, gedreht und gewendet, dass einem beim Lesen (hoffentlich!) schwindlig wird und die Sätze sind so vielschichtig durchkomponiert, dass einmal lesen nicht genügt. Zu kompliziert?

Nein, genau richtig! Vor allem wenn bei Literatur der Maßstab Kunst eingefordert wird und nicht ein bequemes Bedienen von Erwartungshaltungen. Abwechslungsreich wird der Märchenduktus eingewickelt, vom Neonlicht-nüchternen Seminarraumstil über Kommentare à la Heinz Prüller („Servus, Ewigkeit der von mir erzeugten Texte…“) bis zum Comic-Seufz. Da wird der Erzählzopf Rapunzel – „Sin, Sinn, Sinne“ – durch die Mangel gedreht und mit heutigen psychologischen und naturwissenschaftlichen Kenntnissen zurechtfrisiert. Als Bildstörung, als Kanal, der sich plötzlich in die Rapunzel-Soap einblendet, treten obendrein noch der Wolf und die sieben Geißlein mit kreideverschlucktem „knurrendem Magen-Krr“ in die Triade aus Hexe, Rapunzel und Prinz. Aus Schneewittchen wird der Farbname „Winterweiß“ und aus dem Gebären Warenproduktion und das „Spieglein, Spieglein an der Wand“ erhält den Reim „meine Schönheit von Chirurgenhand“. Diesem Märchen wird der Mutter-Kind-Spiegel vorgehalten und der Prinz, betört von Schneewittchens Busenblitzer, fährt im Porsche vor. Im Froschkönig wird das Froschküssen zum Kröteschlucken zurechtgerückt. „Get wet!“ heißt der Auftrag an diesen Märchenstoff, ihn umzukrempeln und durchzuwaschen, mit viel Fettlöser in der Dosierkugel und Waschpulver der Marke Schubidu, und als Weichspüler dient der Song „kiss that frog!“ des mittlerweile ehrwürdig erkahlten Prog-Rock-Erzengels Peter Gabriel.

Derartig fasertief gereinigt bleiben zum Ende hin nur noch – oder erst so richtig – Subtexte, theoretische Metatexte und ganz im Stile von Gerhild Ebels Versleere in dicken Balken durchgestrichene Zeilen übrig. Das kannibalistisch durchsetzte Märchen vom Machandelbaum liefert schließlich als Empfehlung „Behalten Sie Ihren guten Geschmack!“ eine präzise, stoff- und motivgeschichtlich kenntnisreiche Herausarbeitung der Mär vom Guten und Schönen. Ein klares „Lechz!“ für Grimms!

Lisa Spalt Grimms.
Klagenfurt-Wien: Ritter, 2007.
119 Seiten, broschiert, mit Abbildungen.
ISBN 978-3-85415-413-6.

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Rezension vom 20.02.2008

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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