#Anthologie

Griechenland

Michael Guttenbrunner

// Rezension von Claudia Holly

Eine Landesstreifung.

„Es ist unmöglich, ein Land wie Griechenland so zu beschreiben und darzustellen, dass es endlich mit allen Formen und in allen Gestalten seiner Höhen und Tiefen und bis in seine Eingeweide, gleich aufgedeckten Irrgängen, klar und wie von oben gesehen, vor unserm Blick liegt.“ (S.24) Und doch spürt man mit jedem Satz dieser „Landesstreifung“ das Bemühen des Verfassers, seiner Leidenschaft für die griechische Kultur und Landschaft ein Gesicht zu verleihen, das sinnlich und rational zugleich ist.

„Des Griechen Gang ist aufrecht, frei und schwebend,/so wie sein Herz und seiner Sinne Land,/ im Meer wie auf der Erde lebend/ spuckt Knoblauch er auf jede Kerkerwand!“ (S.122)
Michael Guttenbrunners poetische, prosaische und essayistische Hymnen auf das Land der alten und der zeitgenössischen Griechen sind vor allem dort berührend, wo man die Schmach desjenigen gewärtig wird, der seine Verehrung und Bewunderung aus Büchern genährt hat und dann mit blossem Auge die Vernichtung dieser Wiege der abendländischen Kultur durch die Kriegsmaschine miterleben musste. Die Konfrontation dieses geschichtsträchtigen Bodens, der gleichsam als jungfräulich beschrieben wird, mit der donnernd lauten, menschenmordenden deutsch-italienischen Lawine ist kaum irgendwo besser beschrieben als in dem Gedicht „Etappe im Süden“ (S.11). Man fühlt sich an Terence Malicks semidokumentarischen Film „The Thin Red Line“ erinnert, wo amerikanische Truppen irgendwo im Südpazifik eine Insel auf der Suche nach dem Feind abgrasen und dabei auf einen alten Buschmann treffen, der gerade in Gedanken versunken durch die Wälder streift. Wie lässt sich anhand eines solchen Bildes der Begriff Zivilisation vernünftig definieren?

So packend viele Bilder und Metaphern der vorliegenden Sammlung sind, so hat sie doch auch ihre schwachen Momente. Dort, wo die humanistische, bildungsbürgerlich-bädekersche Annährung an Phänome wie etwa Heiligenverehrung, antike Skulpturen, die byzanthinische Kirche überhand nimmt, vermisst man als Leser aufgrund der Vernetzung und Unzahl von Zitaten die einfühlsame Stimme Guttenbrunners, die aus allen seinen Gedichten spricht. Seine aufrichtige Hingabe an die griechische Kultur, die er an mancher Stelle mit der deutschen vergleicht, wobei letztere erwartungsgemäß schlecht wegkommt, verliert sich in den oft fragmentarisch anmutenden Kommentaren. Aus Guttenbrunners Gedichten allerdings, aus den von fremden Stimmen, von Zitaten unverfälschten Passagen spricht eine glaubhafte Verbundenheit.

Der Kreis schließt sich, wenn man zum Eingangszitat zurückkehrt: dem Leser widerfährt mitunter dieselbe Schwierigkeit, sollte er ein eindeutiges Statement zu diesem Buch abgeben. So heterogen, verstreut, fragmentarisch die Texte sind, so könnte wohl auch die Beschäftigung mit ihnen ausfallen. Guttenbrunner lässt namhafte Kollegen (Kazantzakis, Prevelakis, Goethe, Bachofen, Hölderlin uvm.) vor einer Kulisse paradieren, die seines Lobliedes sicher sein kann. Er versteht sich als Freund der griechischen Geschichte, Philosophie, Dichtkunst, erweist sich als profunder Kenner der Mythologie. Als verbindendes Element all der verschiedenen Textsorten und Griechenlandthemen kann wohl eines gelten: Michael Guttenbrunners uneingeschränkte Sympathie und Leidenschaft für ein Land, das er mehrmals literarisch und tatsächlich bereist und erfahren hat.
Im Vorfeld der diesjährigen Frankfurter Buchmesse ist Michael Guttenbrunners Textsammlung alldenjenigen ans Herz zu legen, die mit Griechenland nicht nur Urlaub und Sandstrand assoziieren (wollen).

Michael Guttenbrunner Griechenland
Anthologie.
Wien: Löcker, 2001.
159 S.; geb.; m. Abb.
ISBN 3-85409-344-6.

Rezension vom 30.07.2001

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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