#Roman

Greiner

Heinz D. Heisl

// Rezension von Markus Köhle

Da sitzt einer „auf dem Hocker vor der Scheibe des Cafés in der Gaien Higashi Dori“ in Tokyo und rechnet ab mit sich, mit Österreich, mit der Verlagsbranche. Gnadenlos und grob. Konrad Greiner gibt den Grobian. Greiner ist ein „Gummibandinnsbrucker“. Der Vater Geiger, die Mutter Philatelistin. Greiner wechselte von der „Tonfolgenerzeugungsmannschaft“ in die „Sprachniederbringungsgemeinschaft“, wurde zum „Wortzeilenanhäufer“, zu einem, über den das Leben lacht. Greiner ärgert sich über seine „Unsinnigkeiten“ in der Vergangenheit – „Hätte ich bloß nicht. Wäre ich bloß nie.“ – und er ärgert sich auch über seine gegenwärtige Altersgeilheit.

Das alles geht äußerst wortgewaltig und sprachrhythmisch vonstatten, selbstkritisch und ohne Rücksicht auf Verluste wird über „sprachaufgedunsene Popanze“ be-, ja auch gerichtet. Schriftsteller zu sein bedeute einen unerträglichen Charakter zu besitzen, ein unerträglicher Mensch, ein „Betriebsspeichelschlürfer“ zu sein, liest man im Gedankenprotokoll des Schriftstellers Greiner, der all das, was einem als Text vorliegt, niemals würde schreiben wollen, ja mehr noch: „Nichts hätte ich schreiben sollen. Niemals auch nur eine Zeile.“, gibt Greiner vermehrt zu Protokoll. Weit schlimmer noch, als die „Kellner der Literatur“, sind die Verleger, die sind nämlich „Aasgeier“ oder um es blumiger zu formulieren „gewissenlose Ausschlachter“. Die „Verlagshausdünkelvisagen“ riecht der Abrechner Greiner meilenweit gegen Wind.

Der Roman Greiner ist ein formal äußerst komplexes, sprachscharf geladenes, konsequent rundumkritisches, nichtsdestotrotz vergnüglich zu lesendes Buch. Vor allem, wenn sich leicht zu entschlüsselnde, allseits bekannte Figuren in den Text tummeln. Von einem Rudolf Saurwein ist da die Rede – „eine durch und durch groteske Erfolgsexistenz dieser Rudolf Saurwein, wie ich eine durch und durch groteske Erfolgsexistenz bin: Erfolgssüchtig, verdorben und verludert, nichtsnutzige, verabscheuungswürdige, erfolgshungrige und also erfolgsverfressene Schriftstellerexistenzen.“ (S. 110f) – und zu allem Überfluss auch noch von diesem Nikolaus Gerlacher. Man fixiere die Initialen und abstrahiere.

Der Selbstankläger Greiner sitzt auf einem Barhocker irgendwo in Japan, nicht in einem Ohrensessel irgendwo in Österreich. „Ich saß auf dem Hocker. Und ich zerrte an mir.“ (S. 81) Er zerrt ordentlich. Ein Autor sieht rot. Greiner, der selbst ein „Erfolgsautorenverlagsgesicht“ hat bzw. gerade dabei ist, dieses zu verlieren, entledigt sich seiner Vergangenheit. Der Besuch des „Scheidungstempels“ erweckt Vergessengeglaubtes in Greiner, lässt es ihn wiederkäuen und endlich verdauen bzw. ausspucken, der Tempelbesuch festigt Greiner in seinem Entschluss, den österreichischen „Fettwurstwortkessel“ hinter sich zu lassen.
Greiner erinnert sich an seine ritualisierten Kaffeehausgänge (Gritsch), seine Schulzeit „Ein Nazigymnasium, das Akademische Gymnasium in der Angerzellgasse. Ehemalige Nazis, die Professoren, der ganze Lehrkörper, ehemalige Nazis. Ausleselager.“ (S. 121), Greiner analysiert seine Wientage „In Wien, an der Weichheit des Wienerischen, versteinert man. Und in Innsbruck, in der Innsbrucker Härte, bin ich weich geworden.“ (S. 129) und der mid/end-life-crisis-gebeutelte Greiner denkt auch wehmütig an seinerzeitige sexuelle Ausschweifungen mit einer rothaarigen, sekretreichen Kaltenbacherin „Welche Manneszierde nun wohl in dieser Furche zu ackern habe…, dachte ich, […]“ (S. 142)
Außerdem kann der Roman aufwarten mit Episoden über beispielsweise Pünktlichkeitsbemühungspeinlichkeiten oder Kennen-Sie-das-Kufsteinlied-Verlegenheiten mit vermutlich hohem Identifikationspotenzial sowie handfester Heimatkritik, sei’s in Form von Architektur- oder „nur“ genereller Gesellschafts- und Mentalitätskritik.
Dass dem Tod, gegen Ende des Romans, eine nicht unwesentliche Rolle zugedacht ist, diese Vermutung beschleicht einen schon früher. „Das Leben ist das Fremdgehen vor dem Tod.“, ist auf Seite 171 zu lesen.

Greiner registriert, dass ihn Innsbruck auf dem Gewissen hat, dass ihn Innsbruck umgebracht hat „und also“, bleibt dem Helden „naturgemäß“ nur mehr die Flucht, die Flucht nach vorne „gewissermaßen“. Greiner fährt in den Selbstmörderwald. „Deru kui wa utareru, der Nagel der hervorsteht, der wird eingeschlagen, lautet ein Sprichwort in Japan, dachte ich und dachte, dass ich alle hervorstehenden Nägel einschlagen möchte und am Schluß auch mich selbst als einen ebenso hervorstehenden Nagel einzuschlagen hätte.“ (S. 265)
In „Greiner“ von Heinz D. Heisl läuft eine überreife Wortbirne Amok und wird zur Abrissbirne. Im Vorgängerroman „Abriss“ (2008) zielte diese auf das Heimathaus des Helden. In „Greiner“ soll das auf Heucheleifundament gebaute Literaturbetriebshaus zumindest erschüttert werden.

Heinz D. Heisl Greiner
Roman.
Berlin: Dittrich Verlag, 2009.
331 S.; geb.
ISBN 978-3-920862-37-1.

Rezension vom 10.11.2009

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

Informiert
bleiben

Sie können 3 Newsletter abonnieren:

  • Literaturhaus Wien News
  • Literaturhaus Wien Veranstaltungsprogramm
  • Österreichische Exilbibliothek News

Bitte schicken Sie uns eine entsprechende Nachricht mit dem Betreff „Newsletter bestellen“. Für Abbestellungen bitte im Betreff „Newsletter abbestellen“ schreiben.