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Goldsteins Geständnis

Friedrich Strassegger

// Rezension von Eva Magin-Pelich

Johannes Mario Simmel hat recht: Diese Geschichte ist so authentisch erzählt, dass sie keine Erfindung sein kann. Es muss sie jemand erlebt haben. Kurz zusammengefasst klingt sie so: Der Nationalsozialist und SS-Mann Hermann Westermayer versieht 1942 seinen Dienst in einem KZ in Polen. Er ist ein Mann der Vorsorge, der heimlich sein Nachkriegsleben als Opfer der Nationalsozialisten vorbereitet. Er erschleicht sich das Vertrauen des Häftlings Daniel Goldstein, damit der ihm im Gegenzug bei seinen Vorbereitungen hilft. Westermayer gaukelt eine Art Freundschaft vor. So gelingt ihm, was er sich in allen Einzelheiten ausgedacht hat und bis hin zur Beschneidung und Tätowierung akribisch durchführt: Er legt sich für die Zeit nach dem Krieg eine neue Identität zu, wird als Jude Daniel Goldstein, Opfer des Nazi-Regimes, sich sein Leben neu einrichten. Der von ihm begangene Mord am richtigen Goldstein ist dabei nur Teil der Notwendigkeiten.

Hermann Westermayer gelingt seine perfide Verwandlung, er lebt als Daniel Goldstein zunächst in Frankfurt, wo er, ein guter Geschäftsmann, nicht nur am Wirtschaftswunder teilnimmt, sondern auch noch das Vermögen der Goldsteins als deren Erbe einkassiert. Als ihm schließlich der Boden zu heiß wird, emigriert er als gemachter Mann in die USA. Auch dort setzt sich seine Glückssträhne fort, findet er sein privates und materielles Glück. Doch der Unfalltod seiner Frau und seines Kindes machen es jäh zunichte, zutiefst getroffen zieht Goldstein/Westermayer weiter: Ausgerechnet Israel soll seine neue Heimat werden. Dort kommt er wieder auf die Füße, kann sich erneut zu einem erfolgreichen Geschäftsmann entwickeln. Viele Jahre später erst, erhält er einen Brief, der sein gemächliches Leben jäh zerstört. Denn das Schreiben ist an Daniel Goldstein, alias Hermann Westermayer – SS-Sturmscharführer adressiert.

Das ist der Beginn des Zusammenbruchs von Westermayers falscher Identität. Er trifft sich in Europa mit dem Briefschreiber, begeht seinen zweiten Mord. Doch weil es zu einem Autounfall kommt, als die Leiche noch im Wagen ist, wird Westermayer inhaftiert. Der Stein um seine Entdeckung beginnt langsam zu rollen. Diese Geschichte ist so brillant erzählt, dass man Daniel Goldstein vor dem Leserauge sieht, mit ihm lebt und leidet. Der Leser vergisst immer wieder für Momente, dass Goldstein doch gar nicht Goldstein ist, sondern man die Lebensgeschichte des SS-Schergen Westermayer verfolgt. Es ist sicherlich auch keine Spekulation, wenn man solche Geschichten nicht für Singulariäten hält, sondern glaubt, dass es so einige Täter vom Schlage eines Westermayers gab, die auch ohne das Netzwerk der SS neu beginnen konnten .

Dem Buch Goldsteins Geständnis, in das die deutsche Nachkriegsgeschichte bis 1981 in naturgemäß geraffter Version, aber doch plakativ mit eingewoben ist, wünscht man viele Leser: Es zeigt mit aller Deutlichkeit, mit welch perfider Schlauheit oder besser Frechheit sich so mancher zu helfen wusste, als auch für den Letzten absehbar war, dass Nazi-Deutschland verloren hatte.

Und die anfängliche Vermutung, dass diese Geschichte wahr ist, bestätigt eine Fundstelle im Internet: Strassegger soll sie während seiner Zeit, in der er sich als Fluchthelfer für DDR-Bürger betätigt hat, berichtet worden sein. Vielleicht schreibt eines Tages jemand die Geschichte von Friedrich Strasseger auf. Sein Leben scheint auch einiges an Erzählstoff zu bieten.

Goldsteins Geständnis.
Roman.
Wien: Mandelbaum Verlag, 2008.
328 Seiten, gebunden.
ISBN 978-3-85476-287-4.

Verlagsseite mit Informationen über Buch und Autor

Rezension vom 10.12.2008

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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