#Prosa

gnadenlos

Edith Kneifl

// Rezension von Christine Schranz

Kneifls Kriminalgeschichten entführen uns in die Abgründe, die sich hinter den scheinbar makellosen Fassaden von Wiener Bürgertum, Berufsalltag, Urlaub in Las Vegas oder einem idyllischen Bergdorf verbergen. In bewusst einfach gewählten Worten überzeichnet sie die Realität und reduziert die Tiefe ihrer Charaktere auf das Nötigste, ohne dabei je die Grenze zum Banalen oder Lächerlichen zu überschreiten. Das Ergebnis ist ein ungeschminktes, zu gleichen Maßen humorvolles wie schockierendes Gesellschaftsporträt. Egal ob Kneifls Geschichten in Wien, Linz, den U.S.A. oder einem nicht näher bestimmten Ort spielen, sie vermitteln dem Leser stets das beklemmende Gefühl, über sein eigenes Stadtviertel zu lesen.

Kneifl verstrickt Klischees und Gerüchte, abgenutzte Phrasen und Stereotype zu 21 Kriminalgeschichten, deren schwarzer Humor sich aus der beunruhigen Nachvollziehbarkeit der Verbrechen ergibt. Dabei erinnert der Sarkasmus an Harald Sicheritz‘ Klassiker Muttertag. Die Helden sind hier wie dort gewöhnliche Durchschnittsbürger – der nette ältere Herr von nebenan, der höfliche Germanistikprofessor, die vermeintlich naive Geliebte, die junge Kellnerin. Kneifls Morde erfordern keine Planung, sondern ergeben sich meist spontan in einer geeigneten Situation. Während der Leser zusieht, fragt er sich zwangsläufig, wie gut er seinen Nachbarn eigentlich kenne, und ob dieser – oder etwa gar er selbst! – vielleicht auch in der Lage wären…

Indem Kneifl ihre Geschichten mit stereotypen Figuren bevölkert, zeigt sie, wie Realität durch unsere Vorstellung erschaffen wird: Da tummeln sich abgewiesene, verbitterte Frauen und rachsüchtige, verlassene Männer, enttäuschte Ehemänner und Frauen mit einer Schwäche für Süßigkeiten, „üppigen Kurven“ und „mächtigen Busen“. Man schimpft herzhaft über „Scherereien mit den Ausländern“, trägt, so man es sich leisten kann, eine Rolex, und entwickelt einen leidenschaftlichen Hass gegenüber all jenen, die besser aussehen oder erfolgreicher wirken. Die Beschreibungen der Personen beschränken sich zumeist auf Make-up und Kleidung, ihre körperliche Fülle und ihre „Hässlichkeit“. Kneifl mischt ihre abgegriffenen Phrasen und Rollenbilder bewusst mit ausgefallenen Berufen und Berufungen. So beschreibt sie einerseits die „bleiche[n], eingefallene[n] Wangen“ des Notstandshilfebeziehers, einst Professor mit einer Schwäche für die kurzen Röcke junger Mädchen, und die enttäuschte Ehefrau im „kurze[n], knallrote[n] und tief dekolletierte[n] Abendkleid“, die im echten Leben umsonst nach den Protagonisten ihrer 50-Cent-Romane sucht, andererseits aber auch die kuriose Wohnzimmereinrichtung eines Schuhfetischisten, die alte Frau, deren Aufgabe es ist, Leichen aus der Donau zu fischen, oder Jackie, die aus aufgesammelten Zigarettenstummeln auf die Persönlichkeit der Raucher schließt. Der Leser beginnt, die Figuren in ihren unverdient trostlosen Situationen zu bemitleiden, ihre Taten gar zu verzeihen, denn sie wirken plausibel.

Kneifls Männer und Frauen finden einander in der Regel abstoßend und teilen schließlich doch für eine Nacht ein Bett. Die Schauplätze werden zu Metropolen der Einsamkeit, wo man nicht wählerisch sein darf und nehmen muss, was man kriegt. Neben ihrer Einsamkeit teilen Kneifls Protagonisten auch häufig eine Vorliebe für Sex, Schokolade, Alkohol, Nikotin, Autos oder Schuhe. Zudem ist allen eine praktische Veranlagung zueigen. Wenn sich ein Mord anbietet, um die finanzielle Situation kurzfristig aufzubessern, dann wird nicht zweimal überlegt. Erwischt werden die Mörder dabei nicht – sie sind allzu durchschnittlich, haben kein Motiv. Verdächtigt, das ist ihnen klar, werden in der Regel keine rechtschaffenen Bürger wie sie, sondern wie immer „die Junkies“.

In „Eichenlaub“ räumt eine Ehefrau spontan ihren ungemütlichen Gatten aus dem Weg, weil die Situation es gerade anbietet. In „Maria Theresia – ein Stillleben“ entledigt sich ein Mieter seiner boshaften Vermieterin. Im „Royal Hawaiian Motel“ erledigen sich alle Probleme wie von selbst, als der Ehemann im Swimmingpool an einem Herzinfarkt stirbt: „Sie verständigte weder die Rettung noch die Polizei. Sie hasste Scherereien. Nach einer Weile sah sie noch einmal nach ihrem Mann. Lächelnd beugte sie sich über den Rand des Pools und vergewisserte sich, dass sie nun Witwe war.“ Im „Gänsehäufl“ ertränkt Luise eine junge Blondine, als diese ihr und ihrer Freundin den besten Liegewiesenplatz streitig macht, und in „Mutter Donau“ werden angeschwemmte Selbstmörder zur lukrativen Touristenattraktion. Als die Zahl der Toten zurückgeht, hilft der Wirt, der sich von den Touristen, die den Friedhof an der Donau besuchen, ein gutes Geschäft verspricht, kurzerhand nach. In „Nachtschwärmer“ schließlich verordnet sich die Heldin in der einsamen Vorweihnachtszeit eine Eigentherapie, die Whisky in „Wickies Bar“ und das Töten verkleideter Weihnachtsmänner beinhaltet.

Sind die Morde erst einmal erledigt, betrachten die Täter zumeist ihre Opfer und widmen ihnen einen letzten praktischen Gedanken, bevor sie das Weite suchen: „Armer Kerl, wie viele Frauen hätte er wohl noch glücklich machen können […]“ („Mutter Donau“). „Ihre entblößten Schenkel obszön gespreizt, lag sie ausgestreckt auf dem Küchenboden. [… A]us dem Ausschnitt des Hemdes quoll eine weiche, wabbelige Fleischmasse. Ihm graute vor diesem Stillleben“ („Maria Theresia – ein Stillleben“).

Kneifls Kriminalgeschichten bieten nicht nur ein Gesellschaftsporträt à la Muttertag, sie vermitteln außerdem eine Botschaft zum Thema Geschlechterrollen. Weder sind Frauen das sprichwörtliche schwache noch Männer das starke Geschlecht: Kneifls Figuren sind in erster Linie nicht Frauen oder Männer, sondern Menschen – alle mit einer gesunden Portion Egoismus und Überlebenswillen, praktisch, findig, gnadenlos.
– Ein in Wortwahl („präpotent“, „Patschen“, Tschik) und Charakteren durch und durch österreichisches Buch, das uns an 21 Abenden bitterbösen Lesevergnügens in die ganz normalen Abgründe der Seele einweiht.

Edith Kneifl Gnadenlos
21 Kriminalgeschichten aus 21 Jahren.
Wien: Milena, 2008.
175 S.; brosch.
ISBN 978-3-85286-160-9.

Rezension vom 03.06.2008

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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