#Prosa

Glücksversprechen

Andreas Hapkemeyer

// Rezension von Günter Vallaster

Andreas Hapkemeyer zählt mit seiner Forschung und Lehre sowie als Kurator und Kunstvermittler zu den ausgewiesensten Experten für moderne Kunst. Schwerpunkte bilden dabei die Konzeptkunst mit ihrer ästhetischen Hinterfragung und Aufhebung des Bildes und der Trias aus Gegenstand, Zeichen und mentaler Repräsentation, also dem Begriff, oder, von der Literatur her betrachtet, spannungsreiche Verbindungen von Text und Bild, also konkrete, visuelle, konzeptuelle und transmediale Poesie. Schnittstellen und Grenzgänge, Aufhebungen und Verbindungen sind für ihn von großem thematischen Interesse: Zwischen Literatur und Kunst, Text und Bild, Text und Kontext, Material und Begriff, Zeichen und Zeichnung.

Unter diesen Prämissen beschäftigt er sich intensiv etwa mit den Werken der Konzeptkünstler Heinz Gappmayr, Maurizio Nannucci, Lawrence Weiner, des konstruktiven Künstlers Hans Grosch, der „poésie spatiale“ von Pierre und Ilse Garnier, aber auch der Autorin Ingeborg Bachmann, die er beispielsweise anhand von „Bildern aus ihrem Leben. Mit Texten aus ihrem Werk“ (Piper Verlag 1983) porträtierte. Eine Schnittstelle, an der er bis heute federführend mitwirkt, ist auch das Museion in Bozen, das sich unter seiner Leitung ab dem Jahr 2000 als Museum für moderne und zeitgenössische Kunst positionierte, stets mit Mut zum kreativen Wagnis und oft als Begegnungsraum von Sprachkunst und bildender Kunst. In seinen Lehrveranstaltungen, u.a. auch an der Universität Innsbruck, versteht er es, moderne literarische Strömungen von Dada bis zur digitalen Poesie überaus spannend den Studierenden näher zu bringen und der Verfasser dieser Rezension bedauert es, sein Dissertationsprojekt zur visuellen Poesie aus Zeitgründen nie in Angriff genommen zu haben; sie blieb gleichsam im Gedanklichen verhaftet, führte aber immerhin zur visuell-poetischen Reihe „Raum für Notizen“ der edition ch.

Andreas Hapkemeyer ist aber auch und ursprünglich selbst Autor, der die Verbindungslinien zwischen Schrift und Bild abmisst und auslotet. In der renommierten und heute nicht mehr bestehenden Reihe „experimentelle texte“, die von Karl Riha und Siegfried J. Schmidt an der Universität Siegen herausgegeben worden war, erschien 1987 sein Debüt „SEHFELDER“. Dem ebenso verdienstvollen Ritter-Verlag ist es zu verdanken, dass nun mit „Glücksversprechen“ wiederum ein sehr ansprechend gestalteter Band mit konzeptuellen Arbeiten Hapkemeyers, die sich gleichsam zu einem Konzeptband zusammenfügen, vorliegt. Er besteht aus Textzitaten und Zitate enthaltenden Bildern, die, so der Klappentext, nach einem „Kopierverfahren hergestellt“ sind und „zufällig“ (ebd.) arrangiert wurden. Spätestens seit Dada ist der Zufall als wichtiges Stilmittel der Kunst eingeführt mit der möglichen Erkenntnis, dass nichts so zufällig sein kann, um nicht doch einen Zusammenhang darin sehen zu können oder nach einer Art gelerntem Zwang zum Zusammenhang und zur Assoziation bei der Lektüre herstellen zu müssen. Dies ist jedenfalls eine sehr interessante und gewinnbringende Leseerfahrung, ein „Glücksversprechen“, das gehalten wird, wenn, einmal in das Buch eingetaucht, zwischen den Zitaten auf den linken Buchseiten und den Bildzitaten auf den rechten synoptisch gelesen wird. Eine andere aber eben auch genau die erhellende Trennung zwischen Zitat und Bild und die damit verbundene Öffnung des Denkraums.

Die für das Buch verwendeten Zitate sind u.a. von Ingeborg Bachmann, Dietrich Bonhoeffer, Marcus Tullius Cicero, Leonard Cohen, Caspar David Friedrich, Johann Wolfgang von Goethe, Farncisco de Goya, Søren Kierkegaard, Giacomo Leopardi, Eduard Mörike, Piet Mondrian, Péter Nádas, Raqs Media Collective, Stendhal, Giuseppe Ungaretti und Christa Wolf und können als im Laufe der Zeit entstandene „Ansammlungen“ (Gerhard Jaschke) von AutorInnen und bildenden KünstlerInnen gesehen werden, mit denen sich Hapkemeyer intensiv auseinandersetzte. Wichtig ist der erste Klappentexthinweis: „Alle Blätter, auch die Texte, sind Zeichnungen.“ Die Textzitate sind also in Handschrift wiedergegeben und auf den Buchseiten jeweils unten platziert, wodurch der Eindruck entsteht, dass sie zum Bild hin streben oder auch aus dem Bild kommen. Die Zeichnungen sind so gehalten, dass ihnen auch Handschriftcharakteristik inhärent ist, ihnen ein Zug zur Schrift innewohnt. Die filigrane, abstrahierende Linienführung in Text und Bild, verstärkt durch dezente Grautöne, lässt sie wie mit Pauspapier erstellt erscheinen oder wie Skizzen, mit denen Text- oder Bild-Extrakte, die sich auf das möglichst Wesentliche beschränken, festgehalten werden. Noch in der Schrift oder schon im Bild? Noch im Bild oder schon in der Schrift? – So lauten die Fragen bei der Lektüre, die sie in einen spannenden Schweberaum der Begrifflichkeiten leiten. Darin ist auch der Weißraum von Bedeutung, ein Fastleerraum des Gerade-Noch oder Noch-Nicht, und des nur, da nicht anders möglich, über Zitate Gesagten, Geschriebenen und Gezeichneten. Hier zeigt sich auch ein Bezug zur Vakuumpoesie von Ry Nikonova (und der Verfasser dieser Rezension dankt der Petersburger Literaturwissenschafterin und Übersetzerin Juliana Kaminskaja für den Hinweis), die die „Freiheit eines Lesers, einen Text zu vermuten“ bedeutet. Und „die Fixierung dieser Freiheit zeigt zugleich auch die Grenzen der Freiheit, durch das, was wir gelesen und gesehen haben“ (Juliana Kaminskaja). „viel platz zum denken“ jedenfalls, um mit Gerhard Jaschke einen weiteren bedeutenden Vertreter spatial-experimenteller Ansätze zu zitieren, der diesen Satz in seinem Band „stubenrein“ (Das fröhliche Wohnzimmer-Edition 1998) einer ansonsten leeren Seite als Eröffnungssatz obenan stellte.

All diese Aspekte zeigen einige – natürlich aleatorisch – ausgewählte Beispiele aus dem Band: So trifft sich etwa das leicht variierte Zitat „you make me forget to pray for the angels and the angels forget to pray for me“ aus Leonard Cohens Song „So long, Marianne“ wie eine zufällige Begegnung auf einer Reise mit der Darstellung eines antiken griechischen Tempels. Je nach individueller Kenntnis der Literatur- und Kunstgeschichte erschließen sich die Zitate mehr oder weniger vollständig, aber auch dieser Rätsel-Aspekt bringt ein weiteres Spannungsmoment in die Arbeiten. Und bleibt ein Rätsel ungelöst, bleibt die bekannte Frage, ob es überhaupt möglich ist, alle Namen oder Werke zu kennen, wiewohl es natürlich wichtig ist, Urheberin oder Urheber nach Möglichkeit namhaft zu machen. Nicht zuletzt verdeutlicht sich die Einsicht, wie sehr deshalb viel Wissen auch bei aller systematischen und tiefgehenden Beschäftigung mit Kunst vom Zufall der Begegnung mit einem Werk abhängt und dieses zufällige Wissen als Inspiration das eigene künstlerische Denken und Arbeiten prägen kann. Ciceros „omnia mea mecum porto“ (s. Leseprobe) begegnet dem Porträt eines liegenden Kopfes. Aus Goethes „Italienischer Reise“ könnte das Zitat „fuhren wir nach sizilien oder apulien“ stammen, das sich mit einem Werk von Hapkemeyer selbst trifft, nämlich einem Ausschnitt aus seinen „Transformationen zum Wort NIE“, die in „Kritzi Kratzi. Anthologie gegenwärtiger visueller Poesie“, hg. von Franzobel (edition ch, Reihe Logo 1993) abgedruckt sind und in denen sich die Lettern N, I und E zu einem Netz verbinden. Dadurch ergeben sich flächensyntaktisch je nach Lektürerichtung andere mögliche Wörter wie „NEIN“ oder „EIN“, darüber hinaus verlassen die Wörter ihre lexikalische Konventionalität und fügen sich zu einem Bild zusammen. Zum Konzept des Bandes gehört auch, dass sich gewissermaßen polynom intertextuelle Bezüge über die gegenüberliegenden Seiten hinaus nachvollziehen lassen bzw., wie der Klappentext ausführt, ein „Zusammenhang zwischen der Gesamtheit der Bilder und derjenigen der Texte“ besteht. Die genannten Beispiele illustrieren nicht zuletzt eine weitere große Schnittstelle, die für das „Glücksversprechen“ wesentlich ist, nämlich zwischen Nord und Süd: Der „imaginäre Süden“ (Klappentext), der seit der europäischen Romantik im Norden ein wichtiger Topos ist, trifft auf den geografischen Süden, der meist Armut bedeutet, der es zu entkommen gilt. Es sind somit Bewegungen, die von „Glücksversprechen“ unter unterschiedlichen Voraussetzungen ausgehen. Diese Nord-Süd-Fragestellungen ziehen sich auch stark durch Hapkemeyers literatur- und kunstwissenschaftliche Forschungstätigkeit und an seiner Wirkungsstätte Bozen befindet er sich genau an einem Nord-Süd-Übergangsort.

Andreas Hapkemeyers Glücksversprechen hält als Buch, in dem es immer wieder Neues zu entdecken gibt, alle ästhetischen Glücksversprechen, indem es die Grenzen zwischen Text und Bild einerseits und Nord und Süd andererseits anhand der Auslotung der jeweiligen Glücksversprechen auflöst und das Dahinter und Dazwischen sichtbar macht.

Andreas Hapkemeyer Glücksversprechen
Zeichnungen Zitate.
Klagenfurt: Ritter, 2017.
64 S.; brosch.; 28 SW-Abb.
ISBN 978-3-85415-559-1.

Rezension vom 22.08.2017

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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