#Prosa

Gibs auf!

Franz Kafka, Peter Kuper

// Rezension von Petra Nachbaur

und andere Erzählungen.

Es soll vorkommen, daß Comic und Literatur sich zusammentun – und dies in verschiedenster Konstellation. Wenn man nicht ohnehin davon ausgeht, daß im anspruchsvollen Comic Bild und Text eine gleichberechtigte Rolle spielen, ebenbürtige Komponenten darstellen, gibt es auch bei klarer Trennung immer noch zwei Möglichkeiten. Variante a: Ein Comicstrip wird zu Literatur, wie in der Literarisierung des „Bandes dessinés“-Klassikers „Tintin“ im Roman „Tim und Struppi in der neuen Welt“ von Frederic Tuten. Umgekehrt wurden beispielsweise Friedrich Glausers Romane „Der Chinese“, „Knarrende Schuhe“ und „Krock & Co.“ als Krimi-Comic umgesetzt; auch Jürg Federspiels „Ballade von der Typhoid Mary“ hat in der zeichnerischen Umsetzung durch Ursula Fürst zusätzliche Dimensionen gewonnen.

In einer eigenen Anthologie „Alice im Comicland. Comiczeichner interpretieren Werke der Weltliteratur“ (Edition Moderne, 1993) bestand die Herausforderung an die Mitwirkenden darin, auf einer einzigen A4-Seite ein Werk des literarischen Kanons zu „erfassen“ bzw. auf den Punkt zu bringen. Es zeigt sich deutlich, worin der Reiz des pointierten bildnerischen Witzes liegt, es zeigt sich aber auch, daß der Umgang mit Text heikel sein kann.

Ein und derselbe Zeichner hat etwa Nabokovs „Lolita“ geradezu genial in drei Bildern eingefangen, bei Kafkas „Verwandlung“ jedoch wenig Gespür bewiesen. Er nimmt der Erzählung einiges an Qualität, wenn er anstelle des unmittelbaren Einstiegs ins Ungeheuerliche in Kafkas erstem Satz erst einmal Gregor Samsa und seine Familie vorstellt, im dritten Panel dann erst die Metamorphose stattfinden läßt und sich relativ planlos bis ans Ende des Insekts vorzeichnet.

Anders Peter Kuper in seiner graphischen Auseinandersetzung mit Franz Kafka – Gibs auf! und andere Erzählungen. Neun Stücke Kafkascher Kurzprosa – aus den „Erzählungen“ und aus „Beschreibung eines Kampfes“ – hat der amerikanische Zeichner sich gewählt, um sie in seine Bildsprache umzusetzen und dabei „excellent, twisted visions of modern society“ zu evozieren, wie die Midwest Book Review attestiert.

Wohl nicht von ungefähr setzt Kupers Kafka-Band ein mit dem berühmten Kurztext „Kleine Fabel“. „Ach, sagte die Maus…“ – ist doch ein gezeichneter Nager, Mickey Mouse, zum Synonym und Inbegriff amerikanischer Comic- und Popkultur geworden und eignet sich bestens als ironisierendes Zitat. Bei Kuper geht die Maus auf zwei Beinen, trägt Anzug, Fliege, Hut und Aktentasche und repräsentiert den gehetzten, verängstigten Angestelltentypus, der – im Profil, laufend, auf der Flucht, ein Schatten seiner selbst – leitmotivisch wiederkehrt und das Kafkasche Menschenbild eindringlich verbildlicht. Die Katze ist als Tier gezeichnet, steht auf vier Beinen und übertrifft das Mausmännchen um ein peinigendes Vielfaches an Größe. Ihr furchteinflößendes breites Grinsen ist das der Mächtigen; es gleicht dem des „Schutzmannes“ aus „Gibs auf!“ (S. 22) und dem aller, „die mit ihrem Lachen allein sein wollen“.

Und Kupers Maus spricht wie Kafkas: „Ach“ – und nicht etwa „Huch“ oder „Ächz“. Sprachlich hält sich Kuper streng ans Original, faßt nicht in eigene Worte, „modernisiert“ nicht, adaptiert nicht ans Medium Comic. Einziges Zugeständnis: Manchmal gibt es kleine Kürzungen, Auslassungen. Ansonsten wird die Vorlage respektiert und findet – kaum in Sprechblasen, zumeist in Schriftblöcken – zusammen mit dem rauhen, bisweilen fast holzschnittartigen Bild zu einem neuen, faszinierenden Ganzen. Gelegentlich verwendet Kuper das Schriftbild, um die Aussage des Textes zu verstärken. Wenn sich „Der Geier“ (S. 59ff.) auf sein Opfer stürzt und in senkrechtem Flug herabrast, wird durch die vertikale Ausrichtung der Buchstaben „tief in mich“ (S. 63) die Brutalität und Geschwindigkeit des Stoßes aus der Luft noch verschärft.

Jules Feiffer nimmt im Vorwort Skeptikern der Kombination von Literatur und Comic den Wind aus den Segeln. Er teile diese Bedenken, und oft seien sie berechtigt. Im speziellen Fall Kafka/Kuper jedoch sei ein bemerkenswerter Synergie-Effekt erzielt worden, denn: „Dieses Buch ist eine Abfolge von Riffs, von visuellen Improvisationen über die kurzen Stücke des großen Meisters“ [S.3]. Feiffer spricht von zwei Formen der Entfremdung, die hier aufeinanderträfen, „die europäisch-stoische Kafkas und die durch und durch amerikanische, vom Rock ’n‘ Roll geprägte Kupers.“ [S. 3]

Es ist das Großstadtamerika Woody Allens, das Kuper mit Kafkas Literatur auflädt. Tatsächlich beeindrucken Kupers expressive, dunkle, beängstigende Zeichnungen; es gelingt ihnen, „kafkaeske“ Stimmungen zu transportieren, und auch Kafkas schwarzer Humor kommt im Schwarzweiß Kupers zur Geltung. Besonders gelungen wirken bei Kuper die pointierten kurzen Texte, in denen auch die zeichnerische Umsetzung prägnant und eigenständig erfolgt. Am schwächsten ist der Zeichner, wo er sich bemüht – oder vielleicht gezwungen sieht -, Kafka zu illustrieren. Dort wird die Zeichnung manchmal überflüssig, fast störend, dort beeinträchtigt sie die Interpretation. „Ein Hungerkünstler“ (S. 23ff.) wäre ein Beispiel für eine solche Text-Bild-Kombination, die Redundanz ergibt, nicht Synergie.

Der berühmte Text „Die Bäume“ hingegen findet bemerkenswerte bildliche Umsetzung (S. 47ff.). Das Titel-Panel zeigt eine Großstadtsilhouette im Schneegestöber; die Grundrisse der dicht aneinandergedrängten Wolkenkratzer formieren sich zu den Worten „The Trees“. Gezeichnet wird das (Über-)Leben auf der Straße; zwei Obdachlose fristen frierend ihre Existenz, unbeachtet von den vorbeieilenden geschäftigen Menschenmengen. Ein bulliger Cop, bei Kafka würde es „Schutzmann“ heißen, nähert sich dem Liegenden, stößt ihn mit dem Knüppel, dann mit dem Fuß an. Als der Penner nicht reagiert, wird der Notrufwagen gerufen. Erst beim Abtransport durch zwei desinteressiert vor sich hin rauchende Sanitäter werden die Gesichter der Passanten zu einem einzigen Glotzauge. Unbeeindruckt, apathisch bleibt der eine der Sandler zurück – „Aber sieh, selbst das ist nur scheinbar.“ Kombiniert ist diese triste Bildfolge mit dem quantitativ spärlichen Wortmaterial Kafkas, und die Parabel von den Menschen als „Baumstämme im Schnee“ gewinnt durch diese eine nicht einengende Deutung an Bedeutung, an Gewicht.

Wem die Kuper/Kafka-Connection als zu „advanced“ erscheint, der möge einen Blick in das Kultbuch „Kafka for Beginners“ (dt.: „Kafka kurz und knapp“) von Robert Crumb und David Z. Mairowitz werfen – und nicht vergessen, die Laufrichtung zu ändern, bevor – „Ach, sagte der Leser…“ – er den Zeichnungen und/oder den Worten in die Falle geht.

Franz Kafka, Peter Kuper Gibs auf!
Erzählungen.
Illustrationen: Peter Kuper.
Vorwort: Jules Feiffer.
Hamburg: Carlsen, 1997.
63 S.; geb.
ISBN 3-551-72635-3.

Rezension vom 12.08.1998

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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