#Roman

Gespräche in Tuskulum

Marie-Thérèse Kerschbaumer

// Rezension von Janko Ferk

Marie-Thérèse Kerschbaumer, die Grande Dame der österreichischen Literatur, ist in der Prosa und Lyrik gleichermaßen firm. Nun legt sie zu ihrem umfangreichen Opus ein weiteres Werk, das sie „Ein Fragment“ nennt, vor, die Gespräche in Tuskulum.

Die Dichterin ist bekannt für ihre Sympathie für das Altgriechische, das Altphilologische überhaupt, für ihr ausgeprägtes lateinisches Formgefühl und ihren sicheren Stil samt bezughabender humanistischer Bildung. Ihr Grundvertrauen in die Poesie kommt auch in den „Gesprächen“ zum Zug. Eine weitere Eigenheit der Kerschbaumer-Texte ist das beziehungsreiche Einstreuen von Zitaten. In den „Gesprächen“ stammen sie beispielsweise von Cicero, Dante Alighieri, Eliot, Platon und Shakespeare, aber auch von Schreibern aus unseren Gefilden und Zeiten, Heidi Pataki, Gerhard Kofler oder Thomas Mann sogar.

Das neue Buch lässt sich nicht im eigentlichen Sinn nacherzählen, weil es jede Inhaltsangabe und Textsorte locker sprengt. Der Begriff Enzyklopädisches Tagebuch käme noch am ehesten in die Nähe dessen, was uns die Poetin vorlegt. Es ist eine fulminante Tour d’Horizon durch die Geschichte und Poetik.

Marie-Thérèse Kerschbaumer führt einen großen Diskurs zum Verhältnis von Literatur, Sprache und Gesellschaft. Politik im weitesten Sinn klingt an. Die Umwelt und ihre Beschädigungen durch die Krone der Schöpfung werden thematisiert. Tröstlich dann die Wörter Frühlingsluft, Gemüsekarren oder Landschaft und viele andere. Ihre Assoziationsprosa kommt schon auf den ersten Seiten in Schwung, der bis zum Ende anhält, so dass sich die Leser trotz Informationsfülle auf den Zeilen kurzweilig weiterbewegen können, wobei der Dichterin erstaunlicherweise eines gelingt: Nie kommt das Gefühl auf, sie prunke mit ihrem Wissen. Vielleicht ein bisschen mit ihrem Können, aber das steht ihr zu.

Der literarische Aktionsradius, der an einigen Stellen auch ins (Staats-)Philosophische und sein Gegenteil reicht, ist erstaunlich. Kerschbaumer schreibt beispielsweise über die schändlichsten Eroberer, jene, die zu allen Zeiten auf die Sprache der Unterlegenen zielten, auf das radikale Verschwindenmachen der Spuren der Vergangenheit und dann wiederum leitet sie nach Irakkrieg und chinesischer Dichtung den US-amerikanischen Kongress von der Klassik ab: „…ein Spiegelbild der Antike: Senat, Repräsentantenhaus.“ Und wer es noch nicht gewusst hat, erfährt, welchen Fabrikats die Marken Mundus oder Montblanc sind.

Im Buch heißt es: „Ich schreibe dir aus jenem Punkt im Raum, von dem gesagt wird, er sei das Jetzt, das nun überall ist, und vor allem.“ An diesem Punkt sei gesagt, dass Marie-Thérèse Kerschbaumer aus sprachlicher, inhaltlicher und formeller Sicht ein sehr jetziges Buch geschrieben hat.

Zuletzt sei noch ausdrücklich festgehalten: Es ist angenehm, dass diese Autorin der sogenannten alten Rechtschreibung den Vorzug gibt. Diese Tatsache veranlasst mich dazu, ohne Schwärmerei zu konstatieren, dass hier ein Buch in richtiger Sprache geschrieben wurde.

Marie-Thérèse Kerschbaumer Gespräche in Tuskulum
Ein Fragment.
Klagenfurt/Celovec: Wieser, 2009.
178 S.; geb.
ISBN 978-3-85129-855-0.

Rezension vom 20.07.2009

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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