Ab 1919 beginnt Roth für die neugegründete Wiener Tageszeitung „Der Neue Tag“ ein ganzes Jahr lang fast täglich Feuilletons zu schreiben. Nachdem die Zeitung im April 1920 eingestellt werden muß, geht er nach Berlin, wo seine Karriere als Feuilletonist und Romancier ihren Anfang nimmt. Sehr früh, früher als sein Freund und Gönner Stefan Zweig und früher als viele seiner – auch der jüdischen – Kollegen, erkennt Joseph Roth die drohende Gefahr des Nationalsozialismus. Bereits 1932 soll er in Berlin Freunden gegenüber geäußert haben: „Es ist Zeit, wegzugehen. Sie werden unsere Bücher verbrennen und uns damit meinen. Wenn einer jetzt Wassermann heißt, oder Döblin oder Roth, darf er nicht länger abwarten. Wir müssen fort, damit es nur die Bücher sind, die in Brand gesteckt werden.“ Am 30. Jänner 1933, vier Monate vor der Bücherverbrennung, verläßt Roth mit dem Morgenzug für immer Berlin, begleitet von seiner Freundin Andrea Manga Bell und ihren beiden Kindern.
Ab nun werden seine Romane und Erzählungen nicht mehr in Deutschland erscheinen, sondern in den niederländischen Verlagen Allert de Lange, Querido und De Gemeenschap. Der Briefwechsel zwischen Joseph Roth und den beiden Exilverlagen Allert de Lange und Querido aus den Jahren 1933-1939 liegt nun in verdienstvoller Weise endlich in Buchform vor. Als Herausgeber dieses letzten Briefbandes fungieren die beiden Roth-Kenner und Roth-Forscher Madeleine Rietra und Rainer-Joachim Siegel. Madeleine Rietra betreute bereits gemeinsam mit Theo Bijvoet den Briefwechsel zwischen Roth und dem Verlag De Gemeenschap aus den Jahren 1936 – 1939, der 1991 unter dem Titel „Aber das Leben marschiert weiter und nimmt uns mit“ bei Kiepenheuer & Witsch erschien. Rainer-Joachim Siegel gab 1995 die aufwendige und bestens recherchierte große Roth-Bibliographie im Verlag Cicero Presse heraus.
Geschäft ist Geschäft. Seien Sie mir privat nicht böse Ich brauche Geld betiteln die beiden Herausgeber den letzten Briefband, mit dem nun die gesamte erhaltene Korrespondenz mit Roths Verlegern in den Niederlanden vorliegt. Direkter, weniger poetisch und pointiert als seine „privaten“ Briefe an Freunde, Verwandte und Kollegen ist naturgemäß diese Verlags-Korrespondenz, in der es vor allem um finanzielle Angelegenheiten in Form von Ansuchen geht, um Vorschüsse und um editorische Fragen (Verträge, Subverträge), um Übersetzungsmöglichkeiten oder Erscheinungsschwierigkeiten und Verzögerungen. Vielleicht erstreckt sich auch deshalb die profunde Einleitung der beiden Herausgeber auf über 80 Seiten, um dem Leser abseits von der Geschäftsliteratur genügend „Stoff“ zu bieten. Die beiden Verlage und Verleger werden ausführlichst vorgestellt. So erfährt man z.B., daß De Lange nicht nur konservativ, sondern auch „ein trunksüchtiger Verschwender, ohne Interessen für seinen Beruf war“, was Roth als dessen Trinkkumpane wahrscheinlich manchmal zum Vorteil gereichen sollte. Im Gegensatz zu Gerard De Lange wird von Emanuel Querido gesagt, daß er „ein Verleger aus Leidenschaft und ein radikaler Sozialist“ war. Eine ausführliche Genese der in den beiden Verlagen erschienenen Werke liefert einen umfassenden Überblick.
Dem Einleitungsteil folgt die chronologisch gereihte Briefsammlung mit ausführlich, oftmals bis ins kleinste Detail gehenden Anmerkungen, die die Briefe ergänzen und kommentieren. Im Anhang finden sich … wahrscheinlich vielen nur wenig oder nicht bekannt … Erläuterungen über die ‚Orcovente‘, eine Firma, die zu dem Zwecke gegründet wurde, um Verlagsrechte von Nazi-Deutschland in die Schweiz zu transferieren, was auch Werke Joseph Roths betraf; sowie über den Londoner Verlag Victor Gollancz, mit dem Stefan Zweig für Roth Kontakt aufgenommen hatte. Fotos (hauptsächlich dem Band „Joseph Roth. Leben und Werk in Bildern“, herausgegeben von Heinz Lunzer und Victoria Lunzer-Talos entnommen) trennen den Brief- und den Anmerkungsteil. Ein genaues Verzeichnis der Briefe und ein Register schließen das Buch ab.
Mit vorliegendem Briefband legen die beiden Herausgeber ein interessantes und aufschlußreiches Material zur weiteren Roth-Forschung und Roth-Lektüre vor. Warum sie Joeseph Roth um ein Jahr älter werden lassen, als er tatsächlich wurde („Er starb … Er ist dann nicht einmal 46 Jahre alt.“ heißt es auf Seite 89), kann der Leser nicht vermuten.
Abschließend sei angemerkt, daß sich der besprochene Briefband erfreulicherweise und mit Recht in der SWR-Bestenliste im Februar 2006 mit William Somerset Maughams „Ost und West“ ex aequo auf Platz 9/10 befand.