#Sachbuch

Geräusch, Gerücht, Gerede

Valerie Leyh

// Rezension von Redaktion

Formen und Funktionen der Fama in Erzähltexten Theodor Storms und Arthur Schnitzlers.

„[…] wahre und erlogene Gerüchte wirbeln zu Tausenden durcheinander, und es herrscht ein Gewirr von Stimmen. Die einen füllen unbeschäftigte Ohren mit Gerede, die anderen tragen das Erzählte weiter, und das Maß des Erfundenen Wächst.“ (S. 12) Wie in diesem Zitat aus Ovids „Metamorphosen“ beschrieben, so die Autorin in der Einleitung, gewinnt die antike Göttin der Fama vor allem ab dem 19. Jahrhundert in diesen drei Erscheinungsformen an Relevanz, als „anthropologisches Phänomen sozialer Kommunikation“, losgelöst von der „Kunstfigur“.

Das eröffnet ein spannungsreiches – und letztlich vielleicht noch völlig unüberschaubares Forschungsfeld. Denn ohne „Geräusch, Gerücht, Gerede“ scheint in der abendländischen Literatur tatsächlich kaum etwas zu funktionieren. Diese Gemengelage ist basal für zwischenmenschliche Missverständnisse und kommunikative Reibungsverluste und Dysfunktionalitäten aller Art, an solchen aber Krisenpunkten setzt Literatur mit Vorliebe an. Die zahlreichen illegitimen Verwandtschaftsbeziehungen der romantischen Romanliteratur etwa sind ohne die drei „G“ kaum zu denken. Und „Wirklichkeit als soziales Konstrukt“ (S. 42) scheint beinahe ursächlich mit der Herausbildung der Gattung Roman verbunden.

Ziel der Arbeit sei es, „der Fama in ihren drei maßgebenden Erscheinungsformen als Erzählmittel bzw. als darstellerisches Verfahren in erzählerischen Texten nachzugehen“ (S. 39). Das klingt bescheiden, ist aber ein ambitioniertes Projekt, vor allem, weil die Autorin für die Exemplifizierung ihrer Thesen zwei Autoren zusammenliest, die in den Literaturgeschichten in von einander klar separierten Kapiteln zu finden sind.

Das erste Hauptkapitel gilt Theodor Storm als großer Figur des sogenannten bürgerlichen Realismus, in dem „Gerüchte Hochkonjunktur“ habe, „ja sie grassieren regelrecht in den bekanntesten Werken dieser Zeit“ (S. 47). Das hat mit der wachsenden Diskrepanz zwischen den gesellschaftlichen Moralvorgaben und der gelebten Realität zu tun. Wo es viel zu vertuschen gibt, gibt es viel darüber zu munkeln. Einer genaueren Analyse unterzogen werden dabei u. a. die Erzählungen „Im Schloß“, „Draußen im Heidedorf“, „Eekenhof“ und „Der Schimmelreiter“.

Das zweite Hauptkapitel ist dann Arthur Schnitzler gewidmet mit den Erzählungen „Andreas Thameyers letzter Brief, „Frau Beate und ihr Sohn, „Fräulein Else“ und „Die Frau des Richters“. Tatsächlich hätten hier auch sehr viele andere Erzählwerke Schnitzlers herangezogen werden können, und das hat weniger damit zu tun, dass das „Wiener Kaffeehaus“ ein trefflicher Ort für das Gerücht und das „Hörensagen“ (S. 172) war, als mit Schnitzlers feiner Sensorik für das Faktum, dass nicht „die normwidrige Tat an sich problematisch“ ist, „sondern die Tatsache, dass sie an die Öffentlichkeit gelangt“ (S. 176). Dabei mixt Schnitzler „rumorale Stilelemente“ und klare rhetorische Zeichen oft zu komplexen Erzähl-Arrangements, die eine aktive Mitarbeit der LeserInnen erfordern – vor allem was die Zuverlässigkeit des Mitgeteilten betrifft.

Verzichtet schon Storm häufig auf direkte Stellungnahmen zugunsten von Andeutungen unter Zuhilfenahme einer „Vielzahl von Distanzierungsmechanismen“ (S. 280), lösen Gerüchte bei Schnitzler häufig widersprüchliche Stimmen innerhalb der einzelnen Figuren aus und weitergetrieben wird auch das Spiel mit der Unzuverlässigkeit der Gerede-Instanzen. Prinzipiell aber kann die Untersuchung des Umgangs mit „Geräusch, Gerücht, Gerede“ bei diesen beiden Autoren zeigen, dass sie mit ihren Verfahren wie in ihren Themenstellungen vielleicht enger zusammengehören als das die Literaturgeschichtsschreibung vermuten lässt.

Valerie Leyh Geräusch, Gerücht, Gerede
Sachbuch.
Berlin: Schmidt, 2016.
310 S.; geb.
ISBN 978-3-503-16725-8.

Rezension vom 25.01.2017

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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