#Prosa

Gemischter Satz

Daniela Emminger

// Rezension von Erkan Osmanovic

Es war zu spät

„Haben Sie schon einmal mit jemandem per Buch Schluss gemacht? Nein? Ich auch nicht. Aber es gibt bekanntlich für alles ein erstes Mal, wir lernen ja nie aus. Vielleicht handelt es sich in diesem Fall um meines.“ Mit diesen Worten beginnt das Intro in Daniela Emmingers Ode an die Liebe Gemischter Satz. Wer aber nun einen Lobgesang erwartet, wird enttäuscht.

Vielmehr zeigt sich die neueste Novelle Emmingers als Abgesang auf das größte aller Gefühle. Dazu später mehr. Jetzt erstmal ein Blick auf die Anfangstakte dieser Geschichte: Agatha, Mitte zwanzig, bezieht ihr früheres Jugendzimmer und setzt sich ein Limit von 60 Tagen, um ihr „Leben neu zu ordnen, den Kopf aufzuräumen, das Herz auszuräuchern, zu vergeben und zu vergessen.“ Danach muss sie sich der Zukunft stellen, „mit Eltern, die aus dem Urlaub zurückkommen, einem Konto, das leer geräumt ist, einer Job- und Wohnungssuche“ und vor allem „Rechnungen, die beglichen werden wollen, und solchen, die es erst zu stellen gilt und die aufgehen sollen.“

Vor dem Blick in die Zukunft schaut sie zurück in die Vergangenheit. Sie findet sich wieder in einem Lokal am Donaukanal in Wien, es ist kurz nach Weihnachten. Agatha und zwei Freundinnen taumeln zum Ausgang und dann beginnt auch schon der Lovesong: „Noch in dieser Nacht wurde alles gesagt, was zwei Menschen zu sagen im Stande waren, wurde geschwiegen, weil beide den Wert des Goldes kannten, und eine Intensität erzeugt, die zweieinhalb Jahre lang Motor für Glück und Unglück sein sollte“. Schließlich bringt der Motor eines Flugzeuges Agatha nur wenig später nach Berlin. Sie folgt ihrer großen Liebe, die sie „Nummer sieben“ nennt. Sein Job rief ihn in die Stadt an der Spree. So folgt auch Agathas Dasein einer neuen Melodie, „hauptberuflich Liebende und nebenberuflich immer weniger, weil es war ja schwierig mit den Tanzbereichen, waren es doch plötzlich zwei statt nur einem“.

Dass Tanzen allein weitaus weniger Spaß macht ist Agatha klar, gilt doch dasselbe auch für eine Liebesbeziehung. Doch recht bald weicht das Dur der ersten Wochen einem Moll. Agatha weiß nichts mit sich anzufangen, geht keiner Arbeit nach und hat kaum Kontakt zu anderen Menschen. Ihr Leben ist in Wien, in Berlin ist sie nur Beiwerk für „Nummer sieben“. Sie versucht ihren Gefühlen schriftlich beizukommen: „Weißt du, ich sitze hier mit einem Überweisungsschein in die Psychiatrie und kann dir offensichtlich nicht in ausreichendem Maße beschreiben, wie sich das für mich anfühlt, wie sehr mir das Angst macht.“ Doch Ihr Klagelied verhallt. Die Tonspuren der beiden Leben verlieren sich, werden asynchron: „Seit Wochen schon schliefen sie getrennt, nur noch ab und zu verbanden die Körperlichkeiten, was das Leben auseinandertrieb, ließen sie hie und da die Welt vergessen, die sich plötzlich anders drehte, eine andere geworden war.“

Schließlich geht es zurück nach Wien. Nicht allein. Nein, zu zweit. Alles auf Neuanfang sozusagen: Eine Möglichkeit ihre Liebe wieder zu finden. Doch der Akkordwechsel misslingt. Der Rettungsversuch wird zum Unfalltod ihrer Beziehung: Er will nicht mehr, sie will nicht mehr. Schließlich flieht sie. Nach Oberösterreich zu ihren Eltern. Er bleibt in Wien. Doch nicht nur dort, auch in Agathas Kopf hat sich „Nummer sieben“ als Ohrwurm festgesetzt. Ein Urlaub in Kroatien soll helfen: „Mit Musik in den Ohren und einem Gedankenwulst im Kopf, die nach und nach eins wurden und sich in mediterraner Luft auflösten, joggte Agatha sonnige Strände entlang, sprintete karstige Hügel hinauf und hinunter.“ Nach der Heimreise nach Wien begegnet Agatha „Nummer sieben“ und schon wird die alte Platte neu aufgelegt. Der Rhythmus ist aber ein anderer und nimmt die LeserInnen mit in ein erneutes Auf und Ab der Gefühle.

Der emotionale Zickzackkurs Agathas findet sich auch in der Sprache wieder. Die Monologe der Erzählerin erinnern dabei an Thomas Bernhard – allerdings mit einer gewissen Lockerheit gepaart. Die Syntax wird ebenso aufgelockert und Sätze präsentieren sich einem Stakkato gleich, das die inhaltliche Verwirrung einer Trennung nicht nur sichtbar, sondern auch fühlbar macht: „Beide telefonierten sich noch, gehirnerschüttert und mehr oder weniger schuldgeplagt, durch die internationalen Krankenhäuser, Polizeistationen und sonstigen Notfallnummern, wie man das so machte, wenn jemand scheinbar vermisst wurde, wenn man jemanden verloren hatte, vielleicht aber auch nur, um das eigene Gewissen zu beruhigen, um sicherzugehen, dass sie den anderen jeweils nur verletzt und nicht komplett ausgelöscht hatten.“

Daniela Emminger erzählt nicht nur vom Leiden, sondern auch von der Leidenschaft der Liebe. Die umtriebige Oberösterreicherin widmet sich nach Die Vergebung muss noch warten (2015) auch in ihrem neuesten Werk der Krise. Der Krise einer Liebesbeziehung. Weder der Beginn noch das Ende interessiert sie: Die Zwischentöne sind es. Der stetig wechselnde Rhythmus einer Beziehung wird hier beschrieben und durch eine monologisierende Erzählerin hörbar gemacht. Die Gefühlswelt ihrer Protagonistin wird mit aller Wortgewalt offen gelegt. Dass sich Sätze über einen ganzen Absatz hinziehen, unterstreicht die Verwirrung Agathas noch mehr und lässt auch die LeserInnen gleich einem Ohrwurm nicht mehr los.

Daniela Emminger Gemischter Satz
Novelle.
Wien: Czernin, 2016.
112 S.; geb.
ISBN 978-3-7076-0580-8.

Rezension vom 11.10.2016

Originalbeitrag. Für die Rezensionen sind die jeweiligen Verfasser:innen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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