„Freundschaft entsteht aus dem Zusammentreffen zweier verbundener Seelen, die diese Verbindung wachsen lassen möchten“ (S. 108), zitiert Maja ihre einzige Freundin Maria, eine taubstumme alte Frau, die zugleich als Mutter-Ersatz fungiert. Denn die eigene Mutter hat Maja seit zwei Jahren nicht mehr gesehen, jede Begegnung mit ihr schroff ablehnend. Die Mutter ist Feindbild, die Biederkeit in Person, ist eine, die den Rasen mit der Nagelschere schneidet. Der Vater, inzwischen tot, ist der zweite Schatten, der Majas Biografie belastet. Ihm zuliebe ist sie Steuerberaterin geworden. Sie hasst den Beruf und ihre Arbeit und flieht in eine soziale Scheinwelt, indem sie sich als wohnungssuchende Studentin ausgibt und als Hobby Studenten-WGs besichtigt. In dieser Welt ist Maria die Einzige, der gegenüber sie Gefühle zeigen will und kann.
Manuels Einsamkeit hat eine andere Ursache: er ist die Unscheinbarkeit in Person. Niemand interessiert sich für ihn und seine schwachen Versuche, sich aus der durchschnittlichen Masse seiner Mitmenschen hervorzuheben, werden im Keim erstickt. Wie Maja vermeidet auch er emotionale Bindungen, zu groß waren die Enttäuschungen der Vergangenheit. Die Mutter und er, dieses vom Vater verstoßene Paar, haben gelernt, dass man besser nicht auf gefühlshafte Bindungen hoffen sollte. Manuels Mutter ist tot, seither ist er alleine. Die Einsamkeit Manuels nimmt anders als bei Maja krankhafte Züge an. Über einige Hindernisse hinweg haben sich Maja und Manuel zwar gefunden, bleiben dem Lebensmuster aber treu. Die „agierende“ Maja hat Manuel als „kleinen Bruder“ auserkoren, Manuel „reagiert“ auf die Freundschaft mit Hunger nach Nähe und mit Rückzug, sobald soziale Erfolglosigkeit droht.
Daniela Meisel entwickelt ein subtiles Diagramm einer Lebensphase, in der von Menschen mit einem abgeschlossenen Ausbildungsweg das Beschreiten des weiteren „normalen“ gesellschaftlich anerkannten Wegs erwartet wird: plangemäßer Broterwerb, Findung des Lebenspartners und Gründung einer Familie. Die große Unsicherheit jener, die trotzdem noch auf der Suche nach sich selbst und dem „richtigen Weg“ sind, ist an sich kein ungewöhnliches Phänomen. Die Einsamkeit aber, die viele betrifft, „outet“ niemand gern. Es ist einmal die aktiv gesuchte Einsamkeit von Maja, die diesen Zustand braucht, um sich über sich selbst klar zu werden und auf der anderen Seite die passive Einsamkeit von Manuel, der sich aus diesem Zustand nicht zu retten weiß. Das Persönlichkeitsbild Majas ist trotz aller vorgeschobenen Gefühlskälte gegen die eigene Familie von Humor gekennzeichnet. Sie hat den Vorteil der lebenserhaltenden Aggression gegen die Außenwelt (die Familie, den Chef, die Kollegen) und vor allem Selbstbewusstsein – eine Eigenschaft, die Manuel fehlt. Jeder persönliche Misserfolg bestätigt nur sein soziales Versagen. Immer weiter zieht er sich in seine eigene künstliche Welt zurück, die er in abstrusen Sammlungen und im Kaufrausch sucht. Durch die fehlende emotionale Sicherheit bewegt er sich ständig am Rand des Abgrunds, von dem ihn Maja in immer neuen Anläufen zurückhält. Geschickt lässt die Autorin die LeserInnen über die Entwicklung der beiden „Lebensentwürfe“ im Ungewissen und hält damit die Spannung bis zum Ende wach.
Durch die kurzen Subjekt-Objekt-Prädikat-Sätze und die Halbsätze wird das Tempo des Romans immer wieder abgebremst. Die vielen Schlusspunkte hämmern ein Stakkato in den Erzählfluss, so als müsste man die „gebremsten“ Gefühle auch im Schriftbild sehen. Wie gegen eine Mauer prallen die beiden Protagonisten auf gesellschaftsdeterminierte Erwartungen, denen sie nicht gerecht werden (wollen).
Daniela Meisel, Jahrgang 1977, zeigt in Gegen einsam den Anpassungsdruck, der immer mehr Menschen „der Welt“ den Rücken kehren lässt. Im ebenfalls neu erschienenen Buch der etwa gleichaltrigen Autorin Milena Michiko Flasar „Ich nannte ihn Krawatte“ wird vom japanischen Phänomen der Hikikomori erzählt, einem jugendlichen Muster der Verweigerung, das mittlerweile auch in Europa angekommen ist. Das Thema der inneren Verlassenheit von Menschen inmitten ihrer Familien, ihrer Berufs-und Arbeitswelt, in ihren Wohnungen inmitten der Großstadt (hier sehr konkret: Wien) und inmitten eines sozialen Netzwerkes, dessen Maschen immer groß genug sind, um umbemerkt zu verschwinden, ist da wie dort gegenwärtig. Daniela Meisel hat einen charakteristischen Ton gefunden, dem schwierigen Erzählstoff eine sachliche, aber auch humorvolle Note zu geben und hinterlässt durch die Einblendung einer positiven Perspektive ein hoffnungsfrohes Lesepublikum.